Reaktionen auf Geiselnahme:Herrmann warnt vor Hemmungen bei Psychiatrie-Einweisung

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Bayerns Innenminister Joachim Herrmann fordert von den Gerichten besondere Sorgfalt bei der Begutachtung psychisch gestörter Täter. (Foto: dpa)

Kaum ist die Geiselnahme im Alten Rathaus von Ingolstadt beendet, tauchen Fragen zur Sicherheit auf. Bayerns Justizministerin Merk fordert härtere Strafen für Stalker, Innenminister Herrmann fordert besondere Sorgfalt bei der Begutachtung psychisch gestörter Täter.

Nach der Geiselnahme in Ingolstadt hat Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) erneut härtere Gesetze gegen Stalking gefordert. Der 2007 auf bayerische Initiative eingeführte Straftatbestand reiche nicht aus, sagte Merk der Augsburger Allgemeinen.

Ein wegen Stalkings vorbestrafter Mann hatte am Montag mehrere Geiseln im Rathaus von Ingolstadt fast neun Stunden lang in seiner Gewalt. Ein Spezialeinsatzkommando der Polizei beendete die Geiselnahme am Abend, der Täter wurde dabei angeschossen. Die Geiseln blieben unverletzt. Eine von ihnen war eine junge Frau, der der Geiselnehmer schon seit mehreren Monaten nachgestellt haben soll. An diesem Dienstag soll der Mann einem Haftrichter vorgeführt werden.

Merk forderte nun politische Konsequenzen: Das jetzige Gesetz greife erst, wenn das Opfer durch die Tat schwerwiegend in seiner Lebensgestaltung beeinträchtigt worden sei. Es komme jedoch nicht darauf an, "wie stark ein Opfer seelisch belastet wird - dabei aber Stärke zeigt und sich einfach nicht unterkriegen lässt", kritisierte Merk. "Es muss reichen, dass die Attacken eines Stalkers geeignet sind, die Lebensführung des Opfers schwerwiegend zu beeinträchtigen." Der bayerische Entwurf für eine Gesetzesänderung liege auf dem Tisch, sagte die CSU-Politikerin an die FDP im Bund und andere Bundesländer gerichtet, die bislang einer Verschärfung skeptisch gegenüberstehen.

Auch die Deutsche Stalking-Opferhilfe fordert schärfere Gesetze. "Bisher haben wir das Problem, dass der Stalking-Paragraf nicht richtig greift", sagte die Vorsitzende des Vereins, Erika Schindecker, der SZ. "Die Hürden sind zu hoch. Erst muss etwas ganz Schlimmes passieren, bis ermittelt wird." Schärfere Gesetze könnten manchen Stalker davon abhalten, massiv gegen das Opfer vorzugehen, sagte Schindecker. In Deutschland gebe es jährlich schätzungsweise zwischen 600.000 und 800.000 Fälle von Nachstellungen.

Innenminister warnt vor Hemmungen bei Psychiatrie-Einweisung

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) forderte von den Gerichten besondere Sorgfalt bei der Begutachtung psychisch gestörter Täter. "Dass im Fall Mollath vielleicht jemand zu Unrecht in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wurde, darf nicht jetzt zu einem Pendelschlag ins andere Extrem führen", sagte Herrmann dem Bayerischen Rundfunk. "Wenn Gerichte jetzt falsche Hemmungen haben sollten, wirklich gefährliche Gewalttäter hinter Gitter zu bringen, wäre das fatal für unsere Sicherheit."

Außerdem warnte er vor überzogenen Reaktionen nach dem Geiseldrama im Ingolstädter Rathaus. "Eine Ganzkörperkontrolle jedes Besuchers eines Rathauses, wie wir es an einem Flughafen kennen, das würde letztendlich zu einer derartigen Distanz zur Bevölkerung führen", sagte Herrmann dem Bayerischen Rundfunk. "Das würde den Gedanken einer bürgernahen Verwaltung - glaube ich - kaputt machen."

Auch Polizei-Gewerkschafter und der Bayerische Städtetag haben sich gegen verschärfte Sicherheitsmaßnahmen in Rathäusern ausgesprochen. Die Tat in Ingolstadt sei ein Einzelfall gewesen. "Jetzt sofort verstärkte Sicherheitsmaßnahmen in Rathäusern zu fordern, halte ich für übertrieben", sagte der stellvertretende bayerische Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Peter Schall. Sollten sich solche Fälle künftig jedoch häufen, müssten die Sicherheitskonzepte dann doch auf den Prüfstand gestellt werden, sagte Schall. Grundsätzlich sollten Rathäuser aber weiterhin offene Gebäude sein, die von jedem Bürger ohne Leibesvisitation betreten werden können, fügte der GdP-Funktionär hinzu.

Dieser Einschätzung schloss sich der bayerische Ableger der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) an. "Ich sehe nicht, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, nach verstärkter Sicherheit in Rathäusern zu rufen", sagte DPoLG-Sprecher Rainer Schaller. Als "schwieriges Spannungsfeld" betrachtet der Bayerische Städtetag die Sicherheit in den Rathäusern. "Einerseits muss es natürlich Schutzmaßnahmen für die Mitarbeiter in den Rathäusern geben", sagte Städtetags-Sprecher Achim Sing. "Andererseits dürfen die Rathäuser nicht zu abgeschotteten Bastionen werden."

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