Prozess um Mord an Schülerin:Spuren im Netz

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Im Internet haben sich Linda und der junge Mann, der sie wenig später getötet haben soll, kennengelernt. Im Internet haben Lindas Freunde einen Suchtrupp organisiert, haben um die 16-Jährige getrauert. Nun steht der mutmaßliche Täter in Coburg vor Gericht - im Netz ist das Urteil längst gefallen.

Katja Auer und Olaf Przybilla

"Der Kopf von ihm sollte über den Marktplatz rollen", schreibt "Robert" auf der Seite einer rechtsextremistischen Organisation. Er nennt den vollen Namen des 21-Jährigen, der zurzeit vor dem Coburger Landgericht steht, weil er die 16-jährige Linda getötet haben soll. Im Online-Portal Facebook tauschen sich Lindas Freunde aus. Sie höre sich die Lügen an und wünsche ihm den Teufel, schreibt eine Frau.

Tod einer Schülerin: In Coburg steht ein junger Mann vor Gericht, der eine Neuntklässlerin brutal getötet haben soll. (Foto: dpa)

Immer wieder das Internet. Im Internet sind Linda und der junge Mann, der sie wenig später getötet hat, zum ersten Mal aufeinander getroffen. Im Internet haben Lindas Freunde einen Suchtrupp organisiert, als das Mädchen nicht heimkam. Im Internet haben sie um Linda getrauert.

In der Realität sitzt auf der Anlagebank ein gebrochener Kerl mit Bubengesicht, der seine 1,90 Meter Körpergröße im Stuhl zusammengekrümmt. Unablässig zittert seine rechte Hand, das schnelle Pochen, wenn die Hand auf die Tischplatte schlägt, vertont den Prozess. Die Augen hat er meistens geschlossen.

Am 8. April 2011 soll er Linda umgebracht haben. 13 Hammerschläge, neun Messerstiche. Er hat die Tat gestanden.

Freunde und Arbeitskollegen zeichnen das Bild eines zurückhaltenden, hilfsbereiten und freundlichen jungen Mannes. Die Geschwister seiner Freundin hat er in die Schule gefahren, einem Kumpel den Computer repariert. Auf dem Fußballplatz sei er ein passabler Verteidiger gewesen, erzählt ein Freund, wenn auch kein besonders guter Stürmer. Er liebt Lasagne, schreibt Gedichte.

"Damit ein Mann aus ihm wird"

Aber er war viel krank, hatte Depressionen; der Vater, mit dem er eine Zeit lang in North Carolina in den Vereinigten Staaten lebte, prügelte ihn. "Der hat sich auf sein gebrochenes Bein gestellt, damit ein Mann aus ihm wird", erzählt unter Tränen seine Ex-Freundin. Sie studiert, kommt aus einer intakten Familie. "Ich habe immer versucht, ihn zu retten, aber ich habe es nicht geschafft", sagt sie.

32 Bewerbungen hat sie ihm geschrieben, sowas hat er nie hinbekommen. Einen Versager nennt er sich selbst. Schulabschluss erst nach mehreren Anläufen, eine Lehrstelle hatte er gerade erst angetreten. Die Ex-Freundin beschreibt einen liebesbedürftigen Jungen, der Angst hatte vor dem Alleinsein, der im Schlaf nach ihr tastete, um sicherzugehen, dass sie noch da sei.

Den Familienanschluss fand er bei seiner späteren Freundin. "Er hatte einen Platz bei uns eingenommen", sagt ihr Vater. Der Angeklagte weint. Er will etwas sagen. "Es tut mir leid, dass ihr das mitmachen müsst wegen mir", sagt er, und, "dass du mir mehr gegeben hast als die meisten anderen."

Das ist die eine Seite. Die andere wird im Prozess auch deutlich. Dass er aggressiv war, austicken konnte wegen Kleinigkeiten. "Wie ein Fünfjähriger", sagt die Ex-Freundin. Als Linda tot war, vergrub er die Leiche im Wald, wischte Blutspuren weg, warf Hammer und Messer aus dem Auto. Lindas Freunde, die schnell herausgefunden hatten, dass sie zuletzt bei ihm war, log er ebenso beharrlich an wie die Polizei. Man möge ihm Bescheid geben, wenn Linda auftauche, sagt er den Beamten noch, damit er beruhigt sein könne.

Selbstbewusst wirkte er, sagen die Polizisten, konzentriert. Abgebrüht, sagt ein anderer. Wenn die Beweise nicht immer mehr geworden wären, "hätte man ihm glauben können, was er da erzählt". Er schickt sogar SMS an Linda - da ist sie längst tot. "Die Polizei hat bei mir angerufen, du bist gestern nicht heim", schreibt er. "An deiner Stelle würde ich mich melden."

Nach der Tat, Lindas Leiche liegt im Kofferraum seines Opel Astra, verbringt er die Nacht mit seiner Freundin, das ganze Wochenende. Sie leihen sich einen Horrorfilm aus, besuchen ihre Oma. Zwischendurch vergräbt er die Leiche. Das Mädchen soll nicht stutzig geworden sein, obwohl die Polizei mehrmals da war. Will ihm nichts angemerkt haben. Schützt sie ihn? Verstellte er sich so glaubwürdig?

Das ist unklar, wenn der Prozess am 1. Februar fortgesetzt wird, muss die 17-Jährige noch mal aussagen. Im Internet ist auch das Thema. Da wird das Mädchen beschuldigt, ihn zu decken oder ihm sogar geholfen zu haben. Dafür gebe es keine Anhaltspunkte, sagt Richter Gerhard Amend.

"Sie war meine kleine zweite Hälfte"

Immer, wenn der 21-Jährige weint, wenn er mit dem Kopf auf den Tisch sinkt, wenn sein Verteidiger eine Pause fordert, schütteln sie auf der anderen Seite den Kopf. Lindas Mutter sitzt da als Nebenklägerin, ihre Schwester, ihr Vater. Sie verfolgen den ganzen Prozess, zehn Stunden am ersten Tag, elf Stunden am zweiten. Oft unter Tränen. Nur als der Gerichtsmediziner den Obduktionsbericht vorstellt, verlassen sie den Saal.

"Sie war meine kleine zweite Hälfte", sagt ihre ältere Schwester im Zeugenstand, "wenn ich in den Spiegel schaue, sehe ich ihr Gesicht." Im Internet, natürlich, gibt es Fotos von Linda. Ein zierliches Mädchen, ihrer Schwester sehr ähnlich. Lebensfroh sei sie gewesen, offen, auch sturköpfig. In der Schule lief es nicht gut, aber den Hauptschulabschluss wollte sie woanders nachmachen, sagt ihr Vater.

Und Linda war frisch verliebt. Gerade drei Wochen war sie mit ihrem neuen Freund zusammen. Der war damals in einer Klinik in Hildburghausen, sie soll einen Fahrer gesucht haben an jenem Abend, um ihn zu besuchen. Trotzdem hat sie mit dem Angeklagten geschlafen. Warum? Auch das ist noch unklar. Danach fragte sie ihn, ob er sie hinfahren würde. Er wollte nicht. Darüber soll es zum Streit gekommen sein. Am Ende lag Linda tot im Hausflur.

"Damit kann man eigentlich nicht leben", sagt ihr Vater. "Weihnachten, Silvester, Geburtstag, das hat alles keinen Sinn mehr."

© SZ vom 23.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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