Prozess um entführten Steuerberater:"Saudumm gegrinst"

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Ein halbes Jahr nach der Entführung eines Steuerberaters hat einer der angeklagten Rentner ein umfassendes Geständnis abgelegt.

Heiner Effern, Traunstein

Auf seiner Mission für Gerechtigkeit schont Roland K. niemanden. Die beiden Staatsanwälte nicht, die Verteidiger nicht - und schon gar nicht sich selbst. Der 74 Jahre alte Angeklagte wirft sich vor den Richtern auf den Boden, um zu demonstrieren, wie sein Entführungsopfer auf der Fahrt im Kofferraum des Autos gekauert ist.

Zwei der Angeklagten im Gerichtssaal: Den Senioren wird vorgeworfen, ihren Steuerberater entführt zu haben. (Foto: Foto: ddp)

Nur das lichter werdende graue Haar mit der Welle im Nacken lugt noch hinter dem Zeugentisch hervor. Vorher schon hat er seinem Verteidiger die Hände übereinander gelegt, um zu zeigen, wie er sein Opfer mit einem Klebeband gefesselt hat. Und wenn er auf seinem Platz sitzt, dann redet Roland K., als ob er für jede Silbe einen von den 2,4 Millionen Dollar zurück bekommen würde, um die ihn sein Opfer betrogen haben soll.

"Lügner und Betrüger"

Dabei stehen Roland K. und seine drei Mitangeklagten vor dem Landgericht Traunstein, weil sie im Sommer 2009 endgültig gemerkt haben, dass sie mit Reden nicht zu ihrem Geld kommen.

Um fast 3,5 Millionen Dollar fühlten sie sich von James A. betrogen. Und die wollten sie zurück.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem früheren Bauunternehmer K. und seiner Frau Sieglinde, 79, sowie ihren Bekannten Willi D., 60 und Iris F., 65, nun vor, den Mann in Geiselhaft genommen zu haben, um sich das Geld mit Gewalt zu holen. Das Verfahren gegen den ebenfalls angeklagten Mann von Iris F. wurde aus gesundheitlichen Gründen vorerst eingestellt.

Die anderen vier Senioren, die sich vor dem Landgericht verantworten müssen, wirken jedoch körperlich fit. Willi D. strahlt die Vitalität eines 60-Jährigen aus, der auch zehn Jahre jünger sein könnte. Iris und Sieglinde - die eine in einem weinroten Hosenanzug, die andere mit dunkler Jacke und Hose - sind immer noch schicke Frauen, sitzen jedoch in ihren Stühlen, als ob sie es nicht fassen könnten, wie ihnen hier geschieht.

Gedankenverloren starren sie in Sitzungspausen vor sich hin. Sie waren ja auch nur am Rande beteiligt. Dafür ist die Energie von Anführer Roland K. selbst durch die Richter kaum zu bremsen.

Der frühere Bauunternehmer gewährt in seiner mehr als sechsstündigen Vernehmung einen tiefen Einblick, wie er sich die Welt nach dem Verlust seines Geldes zurechtgezimmert hat. Der entführte Anlageberater ist "ein Lügner und Betrüger", er selbst fühlt sich als Opfer.

Auch von der Entführung und Geiselnahme hat er sich ein spezielles Bild gezeichnet. Diese bösen Worte kommen in seinem Vortrag gar nicht vor. Er spricht davon, seinen Anlageberater "für ein paar Tage zu einem Oberbayern-Urlaub" eingeladen zu haben. So wie er den unfreiwilligen Reisestart seines Opfers beschreibt, muss es die wohl sanfteste Entführung aller Zeiten gewesen sein.

Am Abend des 16. Juni 2009 seien er und sein Helfer Willi in der Wohnung des Steuerberaters in Speyer abends zu einem "Finalgespräch" verabredet gewesen. Er habe zwar dem Mann die "Argumente um die Ohren hauen wollen", an Gewalt habe er aber nie gedacht. Ans Mitnehmen allerdings schon: Sie hatten eine Kiste dabei, in der sie ihr Opfer von der Wohnung ins Auto transportieren wollten. Beim "Arretieren", so nennt K. die Fesselung, sei das Opfer gemütlich auf der Couch gesessen, "die Beine oben" und habe nur "saudumm gegrinst".

Wie er sich die Rippenbrüche des Mannes erklären könne, fragt der Richter. Die müsse der sich wohl schon vorher zugezogen haben, sagt der Angeklagte. Und das blutige Hemd am Ende der Fahrt in K.'s Haus nach Hart nahe des Chiemsees? "Keine Ahnung."

Am Tag nach der Ankunft kam das Arztehepaar Gerhard und Iris aus Schliersee herüber. Sie brachten noch Kuchen mit. Danach hätten alle zusammen - inklusive Entführungsopfer - auf der Terrasse gesessen, sagt K. vor Gericht. Anschließend sei man in die Garage, die auch als Büro diene, hinübergegangen. In dieser Sitzung soll das Opfer nach eigener Aussage massiv bedroht worden sein. Auch davon will K. nichts wissen.

Mit Kaschmirmantel über dem Nadelstreifenanzug

Man habe eine Liste über die angeblichen Geschäftspraktiken des Anlageberaters gehabt, das hätte ausgereicht, damit dieser in die Zahlung aller Forderungen einwillige. Er sollte in Hart "nur nachdenken, aus welchen seiner Geldverstecke er uns bezahlen will", sagte der frühere Bauunternehmer. Schließlich fertigte man gemeinsam ein Fax an einen Finanzexperten in der Schweiz an, der für die Zahlung sorgen sollte.

Doch eine Antwort kam nicht. "Wir haben nicht gewusst, dass der vier Wochen in Urlaub ist. Er schon", sagt er und deutet auf A., der als Nebenkläger im Saal sitzt.

Mit Kaschmirmantel über dem Nadelstreifenanzug, Brille und Krawatte sagt James A. schon vor Prozessbeginn an der Tür zum Verhandlungssaal, was er von den Vorwürfen gegen sich selbst hält: "Alles Quatsch. Ich bin froh, dass hier jetzt reiner Tisch gemacht wird." Natürlich könne er verstehen, wenn viele Leute enttäuscht seien, die bei ihm investiert und dabei Geld verloren hätten.

Doch dass er entführt und "vier bis fünf Mal mit dem Tod" bedroht worden sei, das könne er nicht fassen. "Ich kenne die seit 15 Jahren." Vier Tage lang war er gefangen, bis ihn die Polizei befreite. Noch heute leide er unter den Folgen, sagt der Anlageberater. "Ich bin zweimal die Woche in psychologischer Behandlung."

© SZ vom 09.02.2010/vbe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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