Prozess um bissiges Wildschwein:Heftige Keilerei

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Er zog sich blutige Fleischwunden zu und verlor sogar Teile seines rechten Mittelfingers: Ein 150 Kilogramm schwerer Keiler attackiert seinen neuen Besitzer. Jetzt beschäftigt der Verkauf des bissigen Wildschweins die Gerichte.

Christian Rost

Auch im "Bayernpark" im niederbayerischen Reisbach ist die Zeit nicht stehen geblieben. Weil Kinder heutzutage lieber rutschen oder Karussell fahren und sich nicht mehr so sehr für heimische Tiere interessieren, entschied die Geschäftsleitung 2009, ihren Wildbestand herunterzufahren. Aussortiert wurde damals auch ein 150 Kilogramm schwerer Keiler, der allerdings nicht in einen anderen Wildpark nach Oberösterreich gebracht werden wollte.

Manchmal werden Keiler zum Transport betäubt. Der Bayernpark verzichtete auf die Betäubungsspritze, das Wildschwein galt als ruhig. Das stellte sich als Fehler heraus. (Foto: Robert Haas)

Beim Verladen in einen Transportanhänger riss das Wildschwein aus und attackierte seinen neuen Besitzer. Der Österreicher Josef S. zog sich blutige Fleischwunden zu und verlor sogar Teile seines rechten Mittelfingers. Vor dem Oberlandesgericht München klagte der 42-Jährige am Mittwoch gegen die Bayernpark GmbH auf Schmerzensgeld und Verdienstausfall.

S. ist ausgebildeter Tierpfleger und gilt als Experte für Transporte auch exotischer Tiere wie Nashörner, die er für Zoos schon umgesiedelt haben soll. Insofern sollte es eigentlich eine Routineangelegenheit werden, als der Mann am 16. September 2009 den Keiler in Reisbach abholen und in seinen Wild- und Erlebnispark nach Enghagen bringen wollte, in dem 400 Tiere 62 unterschiedlicher Arten leben.

S. zahlte 200 Euro für den Schwarzkittel und versuchte dann, ihn gemeinsam mit einem Tierpfleger des Bayernparks vom Gehege zum Anhänger zu lotsen. Zwei längere Gatter sollten Fluchtversuche unterbinden. Eine Betäubung hielten die Akteure offenbar für nicht nötig, weil das sieben Jahre zuvor im Bayernpark geborene und von Hand aufgezogene Wildschwein als relativ gutmütig galt. Es stürmte allerdings plötzlich durch die Gatter hindurch ins Freie.

Josef S. lief hinterher und versuchte, es mit Futter zurück ins Gehege zu locken. Der Keiler reagierte darauf extrem aggressiv und griff seinen neuen Besitzer an. Der Mann erlitt Bisswunden am Unterarm, an der Brust und der rechten Hand. Auch als einige Zeit später ein alarmiertes Notarztteam eintraf, hatte sich der Keiler noch nicht beruhigt. Er jagte den Helfern hinterher, die sich auf die Ladefläche eines Lastwagens retten mussten. Spätestens mit dieser zweiten Attacke hatte das Wildschwein sein Leben verwirkt. Beamte der Dingolfinger Polizei erschossen den Ausreißer mit einer Maschinenpistole.

Bis heute kann Josef S., der nebenher auch eine Landwirtschaft betreibt, seine Hand nicht mehr richtig bewegen. Seine österreichische Berufsgenossenschaft zahlt ihm bereits eine Rente wegen 35-prozentiger Erwerbsminderung, doch auch von der Bayernpark GmbH verlangte S. Geld für die Folgen der Attacke: Allein 20 000 Euro Schmerzensgeld wollte er haben.

In ersten Instanz vor dem Landgericht Landshut war er mit seiner Schadenersatzforderung noch gescheitert. Das Oberlandesgericht München sah den Fall nun etwas anders. Zwar sei auch S. "unvorsichtig" gewesen. Es sei schließlich ein "höchst gefährliches Unterfangen, mit bloßen Händen ein Wildschwein einfangen zu wollen", so die Vorsitzende des Zivilsenats, Andrea Kempmann. S. trage deshalb zu einem Viertel Mitschuld an dem Vorfall.

Die Hauptschuld müssen aber die Verantwortlichen des Bayernparks auf sich nehmen. Bis zum Zeitpunkt der Übergabe seien vor allem sie für das Schwein zuständig, so das Gericht: "Man hätte Sorge tragen müssen, dass beim Verladen des Tieres niemand zu Schaden kommt." 7500 Euro zuzüglich 75 Prozent seines Verdienstausfalls müssen die Parkbetreiber Josef S. zahlen.

Seit dem Vorfall gibt es übrigens keine Wildschweine mehr im Bayernpark. Neben Gams und Rotwild versuchen nun Berberaffen, die Ansprüche der Besucher zufriedenzustellen.

© SZ vom 09.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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