Prozess:Läutende Kuhglocken - eine Lärmbelästigung?

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  • Ein Nachbar klagt über zu laute Kuhglocken auf der Wiese neben seinem Haus in Holzkirchen. Die Landwirtin will aber nicht darauf verzichten.
  • Der Streit geht schon seit Monaten, Aussicht auf Versöhnung gibt es auch vor Gericht in München nicht.

Von Maximilian Gerl, München/Erlkam

Wer zu spät kommt, den bestraft die Justiz mit Verweisen des Saals. Da hilft es auch nichts, eine Viertelstunde vor Beginn zu erscheinen. Der Ort des Geschehens, mehr Sitzungszimmer als Sitzungssaal, ist schon bis auf den letzten der rund 20 Stühle besetzt, dazwischen irren Menschen auf Platzsuche umher. Wer keinen findet, muss wieder gehen. "Der Sitzungssaal ist einer der größten", sagt die Richterin, was den Suchenden wenig hilft, der Andrang am Landgericht München II ist größer.

Es steht ein ungewöhnlicher Prozess auf der Tagesordnung. Es geht um Kuhglocken und die Frage: Zählt ihr Geläut als Lärmbelästigung? Nein, findet die Beklagte, eine Landwirtin aus Erlkam, einem Ortsteil von Holzkirchen (Landkreis Miesbach). Ja, findet der Kläger, ihr Nachbar. Anders formuliert: Der ewige Kampf zwischen Mensch und Kuhglocke geht an diesem Donnerstag in eine neue Runde. Es wird wohl nicht die letzte sein.

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Der Streit hat eine lange Vorgeschichte. 2014 erwirkt der Nachbar gegen Regina Killer eine einstweilige Verfügung. 100 Meter Abstand müssen ihre glockentragenden Kühe nachts zu Nachbars Haus halten - er könne wegen des Geläuts nicht schlafen. Killer legt Widerspruch ein. 2015 kommt es vor dem Amtsgericht Miesbach zu einem Vergleich, der salomonisch anmutet. Die 1,2 Hektar große Weide wird geteilt, Kühe mit Glocken sind nur noch auf der zum Nachbarn abgewandten Hälfte erlaubt. Doch die Fronten zwischen den beiden Erlkamern sind längst verhärtet. Und die Glocken läuten ja weiter.

Darum entschließt sich der Nachbar im Sommer dieses Jahres zu weiteren rechtlichen Schritten und klagt gegen Killer und die Gemeinde. Das Ziel: Die Wiese vor seinem Haus darf nicht mehr zur Weidehaltung genutzt werden. Argumente führt er mehrere ins Feld. Wegen des anhaltenden Lärms litten er und seine Frau unter Schlaflosigkeit und Depressionen. Die vom Kuhdung angelockten Weidestechfliegen könnten Krankheiten übertragen. Der durch die Kühe hervorgerufene Wertverlust seines Hauses summiere sich auf rund 100 000 Euro. Und: Die Glocken seien Tierquälerei.

Es gibt also viel zu klären in dieser neuen Runde des Kuhglockenstreits. Sogar der Bürgermeister von Holzkirchen ist erschienen, Olaf von Löwis of Menar (CSU). Er befindet sich in einer Zwickmühle: Einerseits soll er qua Amt überparteilich sein, andererseits sitzt seine Gemeinde mit auf der Beklagtenbank, weil sie die Weide an Killer verpachtet hat - und in der Haltung von fünf bis sieben Kühen kein Problem sieht.

Die Sitzung beginnt. Wer keinen Sitzplatz hat, muss zurück in den ungemütlichen Vorraum, blauer Teppichboden, niedrige Decke, weiß-grau-beige Wände. Ein älterer Herr nimmt es gelassen: "Mei, was sollst da machen." Immerhin bleibt so Zeit, den Kuhglockenstreit einzuordnen, er ist schließlich nicht der erste seiner Art in Bayern. So lagen sich in Marzoll (Landkreis Berchtesgadener Land) Landwirt und Anwohner jahrelang über Kuhglocken in den Haaren, der Richter musste sogar einen Ortstermin auf der Weide anberaumen. Man fand schließlich zu einem Kompromiss. Der Erlkamer Fall ist allerdings komplizierter. Zwar lebt der Kläger erst seit ein paar Jahren im Ort; als er sich jedoch für das Haus in Erlkam und für die Landruhe entschied, standen nebenan noch keine Kühe auf der Weide.

Zu einer Einigung kommt es an diesem Donnerstag nicht, trotz aller richterlichen Bemühungen. Schnell wird klar, dass es weniger um die Kuhhaltung an sich als um das Glockengeläut im Speziellen geht. Der Vergleich von 2015 reicht dem Nachbarn wegen des anhaltenden Lärms nicht. Für Killer wiederum sind keine Glocken auch keine Lösung, die Tiere könnten verloren gehen. Die Situation ist festgefahren. Entscheidung des Gerichts: keine Entscheidung. Beide Seiten bekommen Zeit, ihre Argumente in schriftlicher Form einzureichen. Mitte Dezember will das Gericht entscheiden, ob es die Klage zulässt - oder ob weiter der Vergleich von 2015 gilt.

Alles beim Alten also in Erlkam. Der Kläger verlässt wortlos das Gerichtsgebäude. Sein Anwalt deutet an, dass, sollte die Klage abgelehnt werden, mit dem Gang in die nächste Instanz zu rechnen sei. Löwis of Menar hofft, dass kein "Präzedenzfall" geschaffen werde, der es der Gemeinde und ihren Landwirten erschwere, vernünftig zu wirtschaften.

Anwältin Marina Bichler, die Killer vertritt, sieht diese Gefahr nicht: Jedes Grundstück sei ein Einzelfall, die Gegebenheiten von Ort zu Ort unterschieden sich zu sehr, um daraus pauschale Vorgaben abzuleiten. Zudem habe die Richterin durchblicken lassen, dass sie Zweifel habe, ob die formellen Voraussetzungen für eine Klage gegeben seien. Killer selbst fühlt sich ein bisschen bestätigt, spricht von einem "kleinen Sieg". Wie es weitergehe? "Der rührt sich nicht mehr, ich auch nicht, die Glocke bleibt dran. Fertig." Zeit für die nächste Runde.

© SZ vom 20.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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