Prozess in Nürnberg:Freund vor U-Bahn gestoßen - Angeklagter entschuldigt sich unter Tränen

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  • Vor Gericht hat ein 22-Jähriger zugegeben, seinen Freund in Nürnberg vor eine einfahrende U-Bahn gestoßen zu haben. Der Mann ist wegen versuchten Mordes angeklagt.
  • Er habe einen Filmriss gehabt und deshalb keine Erinnerung an die Tat, erklärt er zum Prozessauftakt.
  • Sein Freund wurde bei der Tat im vergangenen Juni nur leicht verletzt.

Aus dem Gericht von Katja Auer

Der kurze Film ist so schockierend wie eindeutig. Da stehen zwei junge Männer am U-Bahngleis im Nürnberger Hauptbahnhof, frühmorgens an diesem Sonntag im Juni, sie sind auf dem Heimweg, während andere längst wieder aufgestanden sind. Die beiden haben die ganze Nacht gefeiert, erst am Stadtstrand, dann in ein paar Kneipen. Sie torkeln ein wenig, stützen sich scheinbar gegenseitig. Sie haben viel getrunken. Gesoffen, könnte man sagen.

Als die U-Bahn einfährt, schubst der eine den anderen ins Gleis. Einfach so. Der 30-Jährige wird überrollt. Und hat riesiges Glück. Er hat nur ein paar Schürfwunden am Schienbein und am Ellenbogen.

Am Donnerstag treffen sich die beiden vor dem Landgericht in Nürnberg wieder, zum ersten Mal seit jener Nacht. Auf der Anklagebank ein 22-Jähriger aus Fürth, der bittere Tränen weint über das, woran er sich angeblich nicht mehr erinnern kann. Filmriss, von der letzten Kneipe bis zum Aufwachen in der Zelle. Ja, er sei das in dem Film der Überwachungskamera, sagt er, ja, er sei derjenige, der schubst. Er bereue das außerordentlich. Und nein, er könne sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass er seinen guten Freund töten wollte. So sieht es die Staatsanwältin, der junge Mann ist des versuchten Mordes angeklagt.

Auf dem Zeugenstuhl der 30-Jährige, dem auch immer wieder die Tränen kommen. Ein lustiger Abend sei das gewesen, erzählt er, ein Männerabend. Die beiden gingen regelmäßig miteinander aus, oft mit mehreren Leuten, es komme ihm vor, als kenne man sich schon viel länger, sagt er. Nie habe es Streit gegeben, nie, der Angeklagte sei ein guter Mensch. "Wie hätte man ihn nicht mögen können", fragt er.

Gut, jener Abend sei schon ein bisschen anders gewesen, da sei der 22-Jährige sternhagelvoll gewesen. Das sagt er selbst, so viel habe er sonst nicht getrunken, auch wenn Alkohol regelmäßig dazugehörte. Zählt man zusammen, müssen es an jenem Juniabend wohl um die zehn Bier und ein gutes Dutzend Schnäpse und Whisky-Cola gewesen sein. Eine Alkoholkonzentration von 1,71 Promille hatte er am Morgen noch im Blut.

In der letzten Kneipe habe es eine kleine Auseinandersetzung zwischen ihnen gegeben, erzählt der später Verletzte, aber das habe er nicht besonders ernst genommen. So was passiere schon mal, wenn man viel Alkohol getrunken habe. Als sie hinuntergingen zur U-Bahn, sei alles wieder gut gewesen. Und dann der Schubser.

Ein ganz normales Leben - bis zum Schubser

Diese Geschichte spielt nicht in einem Milieu, in dem Alkoholexzesse wie auch Gewalt scheinbar alltäglich sind. Der junge Mann auf der Anklagebank stammt weder aus schwierigen familiären Verhältnissen noch hat er sein Leben bislang nicht im Griff gehabt. Er machte den Quali und schloss eine Lehre ab, arbeitete als Elektroniker, bis er nach der Tat in die Untersuchungshaft musste. Familie und Freunde sitzen als Zuschauer im Gericht und werfen ihm Kusshände zu. Seine Verlobte ist darunter, nächstes Jahr wollen sie heiraten. Immer wieder kommen ihm die Tränen, es werden Taschentücher gereicht.

Ein solches braucht auch der 30-Jährige, der den Vorfall "doch nicht so gut verkraftet hat, wie ich dachte". Er ist in psychiatrischer Behandlung, nach der Tat konnte er eine Weile nicht arbeiten, "vom Kopf her" sei ihm alles zu viel gewesen. Seinem Kumpel will er nichts Schlechtes, sagt er, "ich hege keinen Groll gegen ihn". Sie hätten nicht gestritten als sie am Gleis standen, sagt er, unvermittelt habe ihn der andere vor die Bahn gestoßen. Warum, kann er sich auch nicht erklären. Der Alkohol. Unmittelbar darauf fuhr der Zug über ihn hinweg. Er habe sich zusammengerollt, erzählt er, und als die Bahn stand, konnte er körperlich nahezu unverletzt unter dem Waggon hervorkrabbeln.

Die Familie des Angeklagten habe sich um ihn gekümmert, sagt er, in der Verhandlungspause gibt es Umarmungen. Und der Angeklagte entschuldigt sich noch persönlich bei seinem Opfer. "Ich hoffe, du weißt, dass ich dir nie was Böses wollte", sagt er. Er wünsche sich, dass sie auch in Zukunft Freunde bleiben könnten. Schon, meint der, aber er müsse erst mal selber klarkommen.

Der Prozess wird fortgesetzt.

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