Oktoberfest-Anwohner:Das Fenster zum Suff

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Maßkrüge im Vorgarten, lärmende Betrunkene und Rettungsfahrzeuge bis in die Morgenstunden: Martin Staber wohnt seit fast 20 Jahren an der Theresienwiese - in diesem Jahr mit Blick auf den "Höllenblitz".

Monika Maier-Albang

Die Karawane, die jetzt wieder täglich vor Martin Stabers Fenster vorüberzieht, nimmt gegen Mittag Gestalt an. Zunächst hat die Menschenkette noch Lücken. Am Nachmittag bewegt sich die Menge dann wie ein nicht enden wollender Strom durch die Mozartstraße Richtung Theresienwiese, und wenn nachts die Zelte schließen, wogt dieser Strom in die entgegengesetzte Richtung an Stabers Wohnhaus vorbei. Sein Auto hat er längst abgeschafft. Früher, als Staber noch einen Wagen hatte, kam er an den Oktoberfest-Tagen kaum aus der Ausfahrt. "Man musste sich rollend durch die Menge tasten." Freiwillig jedenfalls habe keiner angehalten.

Martin Stuber wohnt an der Theresienwiese. Früher ist er vor den Massen des Oktoberfestes geflohen, mittlerweile hat er sich mit der wilden Wiesnzeit abgefunden. (Foto: Stephan Rumpf)

Seit fast 20 Jahren wohnt Martin Staber in der Mozartstraße 23. Der grüne Altbau ist das Eckhaus mit Blick auf den Esperantoplatz - ein Blick, für den jene Amerikaner, Australier und Italiener, die sich derzeit zwei Stockwerke über ihm in der "Pension Westfalia" eingemietet haben, eine Menge Geld bezahlen. Steht man auf dem Treppenabsatz vor der Eingangstür, sieht man den Wasserfall des "Höllenblitz" die Steilwand hinabstürzen, hört die Bässe des Toboggan und das Rattern der Alpina-Bahn.

Rettungsfahrzeuge im Halbstunden-Rhythmus

Seit diesem Jahr hat Staber auch einen guten Blick auf die verkleideten Beton-Poller, die den Wiesnzugang aus Sicherheitsgründen verengen. Der Sperrgürtel rund um die Theresienwiese hat für die Anwohner sogar einen Vorteil: Jene Autofahrer, die sonst immer vor seiner Haustür verzweifelt nach einem Parkplatz gesucht und Runde um Runde durch die Mozartstraße gedreht haben, sind jetzt verbannt. Wobei es ihm, sagt der 51-Jährige, im letzten Jahr schon etwas mulmig geworden sei beim Anblick der Müllfahrzeuge, die man als provisorischen Sperrgürtel an den Zugängen abgestellt hatte. Ein Anschlag, eine Massenpanik direkt nebenan - daran will er lieber nicht denken.

Die Wiesn - für Staber ist sie ambivalent. Einerseits geht er selbst gern und jedes Jahr vier bis fünf Mal die paar Meter hinüber in eines der kleineren Zelte. Andererseits bringen die zwei Wochen jede Menge Unbill: den Lärm der Betrunkenen bis in die frühen Morgenstunden und im Halbstunden-Rhythmus auch den der Rettungsfahrzeuge. Den Müll im Vorgarten: Essensreste und Maßkrüge; Rekord waren 21 Krüge in einer Nacht. Wobei Staber extra betont, dass die Straßenreinigung gute Arbeit leiste; am Morgen seien die Wege wieder tipp topp.

Und doch hängt in diesen Tagen der Geruch der "anderen Hinterlassenschaften" in der Luft, die an Zäunen und in Einfahrten liegen, wenn die Besucher schon lange wieder weg sind. Während der Wiesnzeit, sagt Staber, sei es kaum möglich, das Tor in den Hof wieder zu schließen, ohne dass sich ein Betrunkener an ihm vorbeizwängt und den Hosenschlitz öffnet. Selbst Frauen seien schon ungeniert neben ihm in die Hocke gegangen. Da ist man als Mensch im nüchternen Zustand dann doch peinlich berührt.

Außerhalb der Wiesn ist es in dieser Gegend ruhig

In den ersten Jahren, nachdem er an die Mozartstraße gezogen war, ist Staber stets zur Wiesnzeit weggefahren. Einige Nachbarn halten das noch heute so und fliehen nach Italien, wenn das "Italienerwochenende" droht. Andere Nachbarn lassen in diesen Tagen selbst tagsüber die Rollos herunter, damit die Fenster im Erdgeschoss nicht von herumfliegenden Maßkrügen oder Flaschen demoliert werden. Martin Staber aber hat sich mit der Wiesn arrangiert: Zwei Wochen im Jahr, das könne man aushalten, sagt er. Dafür ist die Gegend ja den Rest des Jahres eine ruhige. Und außerdem habe die Wiesn ja auch ihre schönen Seiten: die ausgelassene Stimmung, in der man leicht Menschen kennenlernt, auf die man sonst nicht trifft.

Die beiden Wienerinnen etwa, die Staber vor drei Jahren im Weinzelt kennenlernte. Sie waren ihm aufgefallen, weil sie sich mit den Händen unterhielten. "Eine war taub, die andere konnte auch kaum hören", sagt er , "aber sie haben sich an den Bässen erfreut." Und natürlich hat so eine Wohnung direkt an der Wiesn noch einen Vorteil: Man sieht gute alte Bekannte wieder. Meist melden sich so viele an, dass Martin Staber gut planen muss, damit alle in seiner Zwei-Zimmer-Wohnung Platz finden. Und für die Freunde ist der Blick von der Haustür aus auf die Wiesn die reine Freude: Looping, Toboggan und Höllenblitz im Sonnenschein.

© SZ vom 24.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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