Oberbürgermeister Ude:"Passt meine Lederhose noch?"

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Die Historische Wiesn ist eröffnet - und damit beginnt für ihn ein regelrechter Terminmarathon: Oberbürgermeister Ude über seine heimlichen Wiesn-Ausflüge als Kind und seine spät erwachte Begeisterung für die Tracht.

P. Fahrenholz, D. Hutter und S. Lode

Wenn Oberbürgermeister Christian Ude am Samstag das erste Fass Wiesnbier anzapft, beginnt für ihn ein Marathon an Terminen auf dem Oktoberfest. Aber für den Münchner Ude gibt es auch eine Wiesn jenseits der Amtspflichten. Peter Fahrenholz, Dominik Hutter und Silke Lode haben mit dem OB über seine ganz persönlichen Wiesnerinnerungen gesprochen.

Münchens Oberbürgermeister Christian Ude im Interview: "Wer einmal erlebt hat, wie andere Millionenstädte das Oktoberfest nachahmen, stellt rasch fest, wie gottserbärmlich das ist." (Foto: dpa)

SZ: Wie oft geht ein Oberbürgermeister auf die Wiesn?

Christian Ude: Sicherlich an zwölf oder mehr Tagen. Schließlich gibt es ja nicht nur das Anzapfzeremoniell. Gleich am nächsten Tag bin ich beim Trachten- und Schützenzug, es folgen diverse Pressekonferenzen, das Festkonzert aller Wiesnkapellen, die Auszeichnung der Schützenkönige, Dienstbesprechungen mit Sicherheitskräften, Besuche bei den städtischen Mitarbeitern im Behördenhof und und und.

SZ: Hat man bei so vielen Terminen denn überhaupt noch Lust, privat auf der Wiesn zu feiern?

Ude: Aber ja! Nach dem Trachten- und Schützenzug trifft sich meine Familie in der Ochsenbraterei - was schon deswegen angemessen ist, weil diese Ochsen ja ausnahmslos aus einem städtischem Gut im Münchner Norden stammen. Es handelt sich wohl um die bekömmlichsten Vertreter des städtischen Dienstes. Denen muss man die Aufwartung machen. Genauso traditionell ist es, dass ich am letzten Wiesnabend in der Bräurosl bin. Ich bekomme auch heute noch Gänsehaut, wenn ,,Il Silenzio'' auf der Trompete erklingt und man weiß: Jetzt ist die Wiesn aus.

SZ: Können Sie auch mal ungestört einen Wiesnbummel machen - ohne Terminstress?

Ude: Ich kann leider nicht als Einzelperson über die Wiesn gehen. Neben Veranstaltungen, die von Rechtsradikalen bedroht werden, ist das Oktoberfest der einzige Termin, bei dem ich Polizeibegleitung habe. Man erkennt sie nicht sofort, weil sie so wunderbar in Tracht daherkommen. Aber Polizeibegleitung ist wirklich erforderlich, und zwar nicht zum Schutz vor Gegnern, sondern vor den Fans. Da wollen gleich alle per Handy ein Foto von sich und dem Oberbürgermeister machen, man wird pausenlos umarmt und angebusselt. Da hilft es schon, wenn einer der Sicherheitsleute sagt: Sie, der Herr Oberbürgermeister hat es jetzt eilig.

SZ: Eine ungestörte Achterbahnfahrt ist nie drin?

Ude: Doch, selbstverständlich. Ich bin leidenschaftlicher Achterbahnfahrer und zwar sehr parteiisch für die Wilde Maus. Da bin ich nämlich früher immer schon mit meinem Opa gefahren. Es gibt keinen Ehrengast der Stadt, der um diese Fahrt herumkommt. Das kann für mich aber auch bedenklich werden.

SZ: Warum das denn?

Ude: Als Elisabeth Mann-Borghese, die jüngste Tochter von Thomas Mann, die damals immerhin schon 82 war, vor Jahren einmal mein Gast war, hatte ich zunächst vorgeschlagen, Krinoline zu fahren. Worauf sie nur vorwurfsvoll meinte, das sei ja wohl etwas für alte Leute, und sie wolle etwas erleben. Ich dachte dann, mit der Wilden Maus einen Höhepunkt setzen zu können, aber als wir an der Stelle der Bahn angekommen waren, wo man so einen schönen Überblick hat, entdeckte sie den Freefall und wollte ihn unbedingt ausprobieren. Ich wollte es ihr ausreden, hatte aber keinen Erfolg. Zu meinem Glück kamen wir auf dem Weg dorthin an der Wildwasserbahn vorbei. Die haben wir ausprobiert, und dabei ist sie so patschnass geworden, dass sie sofort zurück ins Hotel wollte. Und auf den Freefall verzichtet hat.

SZ: Welche Kindheitserinnerungen haben Sie an die Wiesn?

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Ude: Prägend waren die verbotenen Ausflüge mit dem Großvater, das war für mich die schönste Verschwörung meiner Kindheit. Mein Vater war ja 70 Jahre lang für ein Pressehaus in der Sendlinger Straße tätig, knapp bezahlt und deswegen der Meinung, man solle das sauer verdiente Geld nicht für so kurze Vergnügungen wie eine Karussellfahrt verpulvern. Er fand, die Wiesn sei Bauernfängerei, aber nichts für gebildete Stände. Deswegen haben die Eltern mich nie auf die Wiesn mitgenommen, sie sind ja selber nicht hingegangen.

SZ: Und der Opa war nicht so streng?

Ude: Der Großvater hat einen Trick gefunden, der hat einfach gesagt: Heute machen wir eine lange Wanderung durch den Englischen Garten. Wir sind dann auch in der richtigen Richtung losgegangen, aber am Kurfürstenplatz in die Trambahnlinie 8 hineingesprungen und zum Goetheplatz gefahren. Auf der Wiesn fand ich dann einfach alles toll: Da gab es ja noch die Raubtierschau und die Zuban-Schau oder die Rekommandeure beim Schichtl, die dann auch die Frau ohne Unterleib vorgestellt haben. Es ging immer nur um ein paar Mark, ich bekam eine Fischsemmel und dann gleich hinterher eine Zuckerwatte, sodass mir speiübel war. Dann haben wir eine Stunde beim Teufelsrad zugeschaut, und beim Bier hat mich mein Opa auch mittrinken lassen. Dann sind wir mit der Trambahn wieder heimgefahren und haben erzählt, wie schön es beim Aumeister war. Und wie herrlich der Blick vom Monopteros.

SZ: Da hätte eine zünftige Lederhose vermutlich Ihre Tarnung beeinträchtigt ...

Ude: Nein, nein, als Schulbub bin ich immer mit der kurzen Lederhose herumgelaufen, ein besseres Kleidungsstück gab es nicht. Das hatte aber nur mit der Strapazierfähigkeit zu tun, nicht mit der Folklore. Später in den Gymnasialjahren sind wir praktisch alle nur mit Jeans und Parka auf die Wiesn gegangen. Wenn da einer mit Lederhose aufgekreuzt wäre, wäre der ausgelacht worden. Oder man hätte gesagt: Der kommt wahrscheinlich vom Land, der darf das.

SZ: Das war wohl lange vor dem allgemeinen Trachtenboom . . .

Ude: Richtig. Dass ein Münchner Oberschüler eine Lederhose anzieht, um auf die Wiesn zu gehen, wäre damals unvorstellbar gewesen! Ohnehin haben wir den "Nationalrausch" auf der Wiesn abgelehnt, diese Art der Volksbelustigung galt als intellektuell unterirdisch. Sich mit Bier zu besaufen erinnerte an die schlimmsten studentischen Verbindungen. Dass die Leute plötzlich mehr und mehr wieder Tracht tragen, fing nach meiner Erinnerung erst in den frühen neunziger Jahren an.

SZ: Und? Haben Sie inzwischen Frieden mit der Lederhose geschlossen?

Ude: Ja. Ich selbst bin ja zwangsbekehrt. Denn ich habe zweimal mit normaler Straßenanzugshose das erste Fass angezapft. Aber dann ist etwas Merkwürdiges passiert: Am Tag nach der Verhaftung von Gerhard Bletschacher, als alle Zeitungen die Schlagzeile hatten ,,CSU-Fraktionschef sitzt in U-Haft'', hatte ich bei einem Radlausflug etwas mehr Radlermaß getrunken als sonst. Ich bin in sehr angeheiterter Verfassung am Chinesischen Turm an einen Tisch geraten, wo eine Gruppe netter Damen saß. Und eine der Damen, eine Anwältin, hat mir gesagt, dass ich meinen Job gut mache - woraufhin ich sie erst einmal sehr vernünftig fand -, dass es aber unerträglich sei, in einer Straßenanzugshose das Oktoberfest zu eröffnen. Ich habe dann zugesagt, mir eine Lederhose zu kaufen.

SZ: Und es danach wieder vergessen?

Ude: Richtig. Aber in der Woche vor der Wiesneröffnung bin ich dieser schönen Münchnerin in der Fußgängerzone wieder begegnet, und sie hat mich gefragt: Hast du deine Lederhose schon gekauft? Das war nicht der Fall. Ich musste sofort beim Loden-Frey eine Lederhose kaufen. Die Resonanz beim Anzapfen war verblüffend positiv, denn ich hatte mich vorher gefürchtet, dass alle sagen: Jetzt kommt der Schwabinger Ude schon mit der Lederhosn daher. Aber es kam wunderbar an, und seitdem trage ich immer dieselbe Lederhose. Für mich ist deshalb nicht die spannende Frage: Wie viele Schläge brauche ich zum Anzapfen? Sondern: Komme ich in meine Lederhose noch hinein?

SZ: "Zwangsbekehrt" klingt nicht gerade nach echter Zuneigung zur Tracht.

Ude: Natürlich stimmt es, dass das keine echte alte Tracht ist, und schon gar nicht städtisch-münchnerisch. Es hat mit Lederhosen nichts zu tun, wie die Münchner vor 200 Jahren auf die Wiesn gegangen sind. Trotzdem finde ich den Trend zur Tracht durchaus positiv: Einmal zeigt es, dass man nicht nur als Konsument kommt, der sich einen hinter die Binde kippen will, sondern dass man sich selbst auch als Mitwirkender des Festes versteht: Jeder wirkt ja am Erscheinungsbild der Wiesn mit, indem er als Statist auftritt und zum bayerischen Charakter dieses Volksfestes beiträgt. Und dann ist da der Wunsch nach regionaler Identifizierung in einer globalisierten Welt. Das klingt wahnsinnig pathetisch, aber dieses Bedürfnis stelle ich in anderen Ländern auch fest. Ich finde es höchst erfreulich, regionale Eigenständigkeiten zu betonen, auch wenn das eben keine echte Münchner Tracht ist, sondern die Arbeitskleidung vom Land. Nur bei Landhausmode hört es bei mir auf.

SZ: Ist die Wiesn noch ein münchnerisches oder zumindest bayerisches Volksfest?

Ude: Ja, auch wenn es aus merkwürdigen Gründen bestritten wird, weil so viele Ausländer auf die Wiesn kommen. Man muss aber sagen: Die Ausländer sind eine kleine Minderheit unter den Wiesnbesuchern, die überwältigende Mehrheit kommt aus München und seinem Umland. Und die Ausländer kommen ja, um ein münchnerisches, ein bayerisches Volksfest zu erleben - gerade, weil das Fest diesen Charakter hat. Wir achten auch bei der Auswahl sehr darauf, dass Traditionsgeschäfte eine Chance haben, ob das nun der Schichtl ist oder der Toboggan oder der Steilwandfahrer. Außer der Zuban-Schau, die kostenlos Varieté angeboten hat, gibt es eigentlich alles noch, was in meiner Kindheit auf der Wiesn war.

SZ: Das stimmt zwar einerseits - auf der anderen Seite ist die Wiesn auch ein globalisierter Exportschlager mit Dutzenden Imitaten auf der ganzen Welt.

Ude: Wer einmal erlebt hat, wie andere Millionenstädte das Oktoberfest nachahmen, stellt rasch fest, wie gottserbärmlich das ist. Dann weiß man die weltweit einmalige Stimmung in einem Münchner Bierzelt wieder zu schätzen. Ich habe einmal in Washington eines dieser Oktoberfeste eröffnet, da gab's das Bier aus kleinen Zahnputzbechern, es war schrecklich!

SZ: Droht das Oktoberfest nicht an seinem eigenen Erfolg zugrunde zu gehen? Durch die Jagd nach immer neuen Rekorden - noch mehr Bier, noch mehr Hendl, noch mehr Menschen?

Ude: Das ist richtig, die Gefahr gab es. Wobei die Rekordjagd ja nie von den Wirten oder vom Stadtrat ausging. Es ist wirklich mein Ernst, wenn ich sage: Der einzige wirklich zentrale Wunsch lautet, es möge eine friedliche Wiesn sein. Wir wissen seit dem schrecklichem Attentat von 1980, wie verletzlich jede Großveranstaltung ist. Ich mag mir gar keine Massenschlägerei im Bierzelt vorstellen - oder eine Panik, die durch einen Fehlalarm ausgelöst wurde. Mir ist es vollkommen wurscht, ob bei Hendln oder Souvenirs ein Rekordumsatz entsteht - wer auf der Wiesn verkauft, hat ohnehin sein Auskommen. Es geht eher um den entspannten Charakter, der durch eine Rekordjagd beschädigt würde. Ein großer Schaden wäre auch kommerzieller Missbrauch. Wobei jeder Kritiker recht hat, der sagt: Die ganze Wiesn ist doch Kommerz.

SZ: Aber darum geht es doch auch.

Ude: Natürlich wollen die Wirte Gewinn machen, die Schausteller ihre Investitionen wieder hereinholen. Aber es muss eben im Rahmen bleiben. Wenn ein Automodell präsentiert wird oder ein missglückter Schlager vor der Kulisse eines Münchner Bierzeltes oder für Prosecco in Dosen geworben wird, dann ist das ein Missbrauch, und da schreiten wir ein. Wenn wir das zulassen würden, würden die Zelte wahrscheinlich bald nach Sponsoren benannt, dann gäbe es das Nokia- und das BP-Zelt. Das stelle ich mir schrecklich vor. Nein, der Kreis der Beschickerbrauereien soll gleich bleiben, und auch das Erscheinungsbild.

© SZ vom 17.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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