Natürlich bauen Städte vor, alles andere wäre ja fahrlässig. Acht deutsche Bewerber gehen ins Rennen als Kulturhauptstadt Europas 2025 und wer herumfragt, wer es denn wird am Ende, dürfte nirgends mehr als Achselzucken ernten. Chemnitz? Da lässt sich fraglos eine Geschichte erzählen und auch eine, die vom Bedürfnis nach kulturellem Wandel kündet. Dresden? Da auch, trotz existierender Hochkultur. Nürnberg? Wäre historisch interessant, hat eine kulturelle Infrastruktur und trotzdem die für eine Bewerbung hilfreichen Bedürftigkeiten. Womöglich aber wird es keine von den dreien. Sondern Zittau, eine Kleinstadt im Dreiländereck. Oder Hannover, Hildesheim, Gera, Magdeburg. Alle haben sie Chancen. Und deshalb bauen alle Städte vor und zwar auf eine Niederlage und die Frage: Was bitte hat denn der ganze Aufwand jetzt gebracht?
Der Stadt Nürnberg könnte da auf etliches verweisen, die Beteiligung der Menschen am Bewerbungsprozess, auch die Gespräche rund um die Frage: Wer sind wir und wo wollen wir hin? Wem das zu flüchtig ist, den könnte die Stadt kurz vor den Jurypräsentationen am 10. Dezember auf etwas sehr Handfestes hinweisen, selbst wenn es nicht für die zweite Runde reichen sollte: Seit Kurzem liegt ein ziemlich ziegelsteinförmiges Buch in den Läden, "Kulturstadt Nürnberg. Herkunft und Zukunft in Europa" ist der wuchtige Titel eines wuchtigen Bandes, erschienen im Schrenk-Verlag. Es verstehe sich, schreibt Verleger und Herausgeber Johann Schrenk, als "begleitendes Lesebuch" zu der Bewerbung. So einen ambitionierten Band einer kulturellen Selbstvergewisserung würde es ohne Bewerbung gewiss nicht gegeben haben.
Beginnen darf den Reigen der Beiträge der Oberbürgermeister Ulrich Maly. Was man zu lesen bekommt, war so schon mal beim Neujahrsempfang der Stadt zu hören. Das schadet aber nichts, Nürnbergs OB neigt in derlei Ansprachen zum Grundsätzlichen und Komplexen. Die Aufgabe für Nürnberg? Maly ist nicht als Langweiler berüchtigt, die aber möchte er wörtlich wiedergegeben haben. Laut Ausschreibung gehe es darum, "die Vielfalt der Kulturen in Europa zu bewahren und zu befördern, das ihnen Gemeinsame herauszustellen, das Bewusstsein der Bevölkerung, zu einem gemeinsamen kulturellen Raum zu gehören, zu stärken und den Beitrag der Kultur in der langfristigen Stadtentwicklung in sozialer, ökonomischer und urbaner Sicht, eng abgestimmt mit den entsprechenden Strategien und Prioritäten, deutlich zu machen." So hört sich so etwas an im verschwiemelten Kultursoziologen-Duktus. Maly findet, das klinge "auf den ersten Blick nicht wirklich nach einem fröhlichen Kulturevent, schließt es erfreulicherweise aber auch nicht aus". Nun gelte es natürlich, die Erwartungen der Europäischen Union ernst zu nehmen und das "spezifisch Nürnbergerische" heraus zu destilieren. Die Stadt versucht das mit dem - ebenfalls nicht ausschließlich leichtgängigen - thematischen Dreiklang aus "Menschlichkeit als Maß, Welt als Aufgabe und Miteinander als Ziel".
Was sich dahinter exakt verbirgt, lässt sich gleich anschließend in den "Notizen zur Bewerbung Nürnbergs" von Hans-Joachim Wagner nachlesen, dem Leiter des Bewerbungsbüros. Dass man offenbar auf eine Kultursoziologen-Aufgabe mit einer angemessenen Kultursoziologen-Antwort reagieren muss, ließe sich daran ganz gut ablesen - es geht in dem Beitrag viel um die "Diversität transkultureller Praxen der Stadtgesellschaft" und solche Sachen. Wie nebenbei aber kann man in den historischen Grundlegungen Wagners auch noch viel über Nürnberg erfahren, was nicht unbedingt zum Allgemeinwissensschatz über eine Stadt gehört, die mal als des "Deutschen Reiches Schatzkästlein" gewürdigt und missbraucht wurde: So war Nürnberg Sitz des ältesten Gymnasiums im deutschsprachigen Raum, in Nürnberg wurde nicht nur die älteste deutsche Sprachgesellschaft - der Pegnesische Blumenorden - gegründet, sondern auch die älteste deutsche Kunstakademie und der heute älteste Kunstverein Deutschlands.
Kulturelles Wurzelwerk also gibt es genug in Nürnberg, im Band wird das von Spezialisten aufgefächert. Horst Brunner etwa, bis 2006 Lehrstuhlinhaber für deutsche Philologie in Würzburg, beschreibt Nürnberg als Literaturstadt in Spätmittelalter, Früher Neuzeit, Barock. Breiter Raum wird auch Hermann Glaser eingeräumt, jenem Nürnberger Kulturpolitiker, ohne den der Begriff der Soziokultur nicht ernsthaft zu diskutieren ist. Am intensivsten aber geht es um die Rolle Nürnbergs in der NS-Zeit - und was die Stadt daraus gelernt hat. So spricht etwa der israelische Künstler Dani Karavan, der für die Straße der Menschenrechte verantwortlich zeichnet, in einem Interview über Kunst, Politik und sein Verhältnis zu Deutschland.