Nürnberg:Vader Abraham und die Dunkelkammer de luxe

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Holz auf der Hütte: In das umgebaute Quelle-Gebäude in Nürnberg-Langwasser sind einige Dienstleister und die Agentur für Arbeit einzogen. (Foto: Peter Dörfel)

Helmut Schmelzer scheute nicht vor dem Quelle-Brachialbau zurück. Er entwickelte ihn mit Holz zu einem inspirierenden Ort der Begegnung

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Die vorspringenden zehn Türme verstärken den massiven, fast trotzig wirkenden Eindruck des Bauwerks. So bewarb eine Broschüre in den Siebzigerjahren den Neubau der Foto-Quelle in Nürnberg. Trotzig war ein schönes Wort für den Bau, auf historischen Fotos glaubt man eher auf ein sagenhaft missratenes Burgmodell zu blicken. Auch als Stasi-Zentrale in einem DDR-Film hätte man sich die Betonburg vorstellen können, in Wahrheit wurden dort die Farbfilme der Bundesrepublik entwickelt. Sogar als Europas modernstes Fotolabor wurde die Dunkelkammer de luxe gefeiert. Aber wie das so ist mit Superlativen: Keine 20 Jahre nach der Eröffnung des Brachialbaus galt der nicht nur als veraltet, sondern komplett überflüssig. Der Siegeszug der Digitalfotografie ließ ein 50 000 Quadratmeter großes Gelände für Farbfilmentwicklung ziemlich lächerlich erscheinen. Und jetzt?

Helmut Schmelzer, 60, muss man sich phänotypisch als eine Art Vader Abraham mit New Yorker Intellektuellen-Brille vorstellen, ein angenehm kurioser Typ. Ein bisschen schräg musste man womöglich auch sein, um diese Festung am Stadtrand von Nürnberg-Süd zu kaufen. Der Immobilien-Entwickler Schmelzer wagte es und ließ die Burg nicht etwa schleifen. Er entschied sich dafür, auf die Betonstockwerke mit den wehrähnlichen Doppeltürmen noch einen Holzaufbau draufsetzen zu lasen. Hatte das Riesenlabor schon seinen Superlativ, der Überbau hat es nun auch. "Europas größte Aufstockung in Holz", sagt Schmelzer dazu. Wird schon so sein.

Der dritte Bauabschnitt ist nun fertig, für Architektur-Studenten, die sich für Strukturwandel, Kunst am Bau und Industrieburg-Konversion interessieren, dürfte ein Besuch in Langwasser lohnend sein. Der Stadtteil gilt, was die Bau-Ästhetik betrifft, als einer der gewöhnungsbedürftigsten Ecken der Halbmillionenstadt, aber an der äußersten Ecke tut sich momentan allerlei. Kürzlich hat das Langwasserbad eröffnet, ein Glaskubus mit 50-Meter-Bahn, vor allem in der Nacht schön anzuschauen. In Schmelzers Quelle-Umbau etwas weiter nördlich sind jetzt etliche Dienstleister, eine Kita und die Regionaldirektion Bayern der Bundesagentur für Arbeit eingezogen. Wer dort über die Gänge läuft, trifft offenbar zufriedene Menschen. Ein ganz anderes Arbeiten sei das in dem Holzbau, sagt einer, man sehe sich nun gegenseitig viel öfter, das Raumklima empfinde er als "inspirierend". Zumal das Klima im Vorgängerbau, im berühmten Klotz der Bundesagentur an der Regensburger Straße, für inspirierendes Klima eher nicht berühmt ist. Die Sprecherin der Direktion, Melanie Thumann, empfiehlt Besuchern vor allem den Supermarkt vor der verwandelten Burg.

Den Supermarkt? Der hat auch einen Superlativ, zumindest fast. Nürnbergs Wirtschaftsreferent Michael Fraas nennt ihn "eines der modernsten Supermarktgebäude Deutschlands". Der geschwungene Flachbau sieht aus wie ein umgekippter Kopf eines Rasierapparats, das aber ist nicht der Clou. Der Markt mit Sheddach für Tageslicht und Photovoltaik-Anlage soll 70 Prozent weniger Energie verbrauchen als herkömmliche Schuhschachtel-Discounter. Überhaupt ist die neue Burg grün: Auf dem gesamten Areal sollen pro Jahr mehr als 300 Tonnen Kohlendioxid eingespart werden.

© SZ vom 16.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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