Nürnberg:Stilvoll ertragenes Leid

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Vom Balkon aus eröffnet das Christkind immer den Christkindlesmarkt. Momentan aber trägt die Gemeinde Trauer. (Foto: Olaf Przybilla)

Die tropfnasse FCN-Fahne als Sinnbild eines Seelenzustandes

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Am Morgen danach kann man am Nürnberger Hauptmarkt einen Eindruck davon bekommen, dass der Fußballgott den Club womöglich wirklich auserkoren hat. Nur eben nicht für die makellosen Triumphe, die ungetrübten Feste. Sondern als Sinnbild für stilvoll ertragenes Leid. Selbstverständlich, sagt Pfarrer Markus Bolowich, werde man die Club-Fahne jetzt erst recht nicht vom Balkon der Frauenkirche entfernen. Es regnet seit Stunden, die Fahne tropft so vor sich hin, wenn man den Seelenzustand der Clubberer am Tag nach der Niederlage in der Relegation in ein Bild gießen wollte, es würde in etwa so aussehen. Aber die Fahne bleibt hängen, mindestens noch bis Donnerstag, sagt der Pfarrer. Weil die Liebe zu diesem Verein alle Tiefschläge überdauere. Und, Bolowich holt kurz Luft, "diese Liebe zum Club auch einem zölibatären Pfarrer gestattet ist".

Bolowich ist in Frankfurt geboren, ausgerechnet könnte man sagen, und in Fürth aufgewachsen. Club-Fan ist er schon seit der Schulzeit. Seither wisse er, dass Clubberer leidensfähig sein müssen, in seinem Fall sogar ganz konkret. "Beim Abitur war der selbstgestrickte Club-Schal ein Meter länger als ursprünglich", sagt der Pfarrer. Das Ding habe eben allerlei Zerreißproben zu überstehen gehabt in Fürth, das stähle einen. Rekordabstieg, Rückschläge, einmal sogar Regionalliga, das alles hat Bolowich durchgestanden. "Wir sind eben kein Verein für Schickimickis und Adabeis", sagt er. Wie die Clubberer Niederlagen wie die am Dienstag gegen Frankfurt erdulden und ertragen, "das beeindruckt mich einfach". Dann halt zweite Liga, was soll's?

Eine Club-Kirchen-Fahne hatte der Pfarrer bislang nicht, zum Public-Viewing auf dem Hauptmarkt aber wollte er Farbe bekennen. Er schickte einen Praktikanten zur Vereins-Geschäftsstelle, die haben der Gemeinde eine geliehen. Eigentlich nur bis Freitag. Weil Bolowich aber Gefallen daran gefunden hat, überlegt er nun, die Fahne zu kaufen und künftig bei Heimspielen rauszuhängen. Das Gotteshaus gilt als zentrale katholische Stadtkirche, hat er da keine Bedenken? An der Fassade tritt jeden Tag um zwölf Uhr Kaiser Karl IV. groß in Erscheinung, keine unproblematische Figur, um es vorsichtig zu formulieren, antwortet der Pfarrer. Da fände er es schon merkwürdig, wenn jemand an einer Club-Fahne Anstoß nähme. Mesner Michael Albert sieht das genauso. "Angeblich ist die Kirche ja weltfremd", sagt er, "wir zeigen hier nur, dass sie das nicht ist."

© SZ vom 25.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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