Niedriglöhne:"Die Wirtschaft beugt die Bayerische Verfassung"

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Arbeiten unter dem Existenzminimum - auch viele Mitarbeiter in Hotels sind betroffen. (Foto: Oliver Berg/dpa)

Der Subunternehmer des Subunternehmers lässt seine Leute für ein paar Euro in der Stunde schuften. Für mehr als 600.000 Menschen in Bayern ist das die Realität. Warum die "modernen Sklaven" keine Möglichkeit haben, sich gegen Dumpinglöhne zu wehren.

Von Heiner Effern und Viktoria Großmann

Zimmermädchen, die für drei bis sechs Euro die Stunde im Akkord putzen. Arbeiter im Schlachthof, die für sechs Euro Schweine zerlegen. Lagerarbeiter, die für geringes Geld Lastwagen leeren. Viele kommen nach Erfahrung der Gewerkschaften aus Osteuropa, ausgestattet mit sogenannten Werkverträgen oder vermittelt über Agenturen.

Doch auch immer mehr Deutsche arbeiten so. Oft ist ihre Firma der Subunternehmer oder der Subunternehmer des Subunternehmers. Sie sind fast nie zu sehen und sie schuften für so wenig Geld, dass ihr Auftraggeber in Bayern ordentliche Gewinne einfahren kann. "Damit wird modernes Sklaventum betrieben", sagt Hans Hartl, Landesvorsitzender der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten in Bayern (NGG).

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) schätzt, dass mehr als 600.000 Beschäftigte in Bayern für Niedriglöhne arbeiten. "Immer mehr Arbeitgeber versuchen, Tarifverträge zu umgehen und gut bezahlte Vollzeitstellen durch Billig-Jobs zu ersetzen", sagt Bayerns DGB-Chef Matthias Jena. "Wer solche Jobs anbietet, begeht ein Sozialfoul." Die Palette der Strategien reiche von Mini-Jobs über Leiharbeit bis zu Werkverträgen. "Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft forciert die Ausbreitung solcher Ausbeutungsjobs. Damit beugt sie die Bayerische Verfassung."

Versagen von verschiedenen Seiten

Doch nicht nur die Arbeitgeber, auch die Politik versagt in Augen der Gewerkschaften beim Thema Lohndumping. "Die Regulierung von Werkverträgen, die Gleichstellung von Leiharbeit und ein gesetzlicher Mindestlohn sind die Gebote der Stunde." Leider erkenne die Staatsregierung teilweise nicht einmal das Problem. "Vielleicht schaut man dort die falschen Fernsehsendungen", sagt Bayerns DGB-Chef Jena.

Vielleicht hat aber auch einer der bayerischen Politiker die Reportage "Alpen abgezockt" am Montagabend im WDR gesehen. Der Journalist Jo Angerer traf bei seinen Recherchen in Garmisch-Partenkirchen Zimmermädchen, die angeben, ein Stundenlohn für drei bis sechs Euro sei die Regel. Vor der Kamera traute sich keine der Betroffenen über ihren Lohn zu sprechen. Zwei junge Frauen aus der Slowakei sagten nur: "Das ist nicht schön." Weil es so wenig sei. Er habe "ein Klima der Angst" bei den Billigarbeitern gespürt, sagt Angerer.

Der Garmisch-Partenkirchener Tourismusdirekt Peter Ries kennt das Problem, das räumt er selbst in der Dokumentation ein. Es habe Gespräche mit Hoteliers gegeben, ob sie nicht ein bisschen mehr zahlen könnten. Doch die Hotelbetreiber würden nicht mit sich reden lassen, wenn es um den Geldbeutel gehe.

Bayerns NGG-Chef Hartl wirft den Hoteliers, aber auch anderen Arbeitgebern wie etwa Brauereien oder Schlachthöfen vor, sich aus der sozialen Verantwortung zu stehlen. Oft verdienten die bei ihnen direkt oder indirekt Beschäftigten weit unter Tarif und hätten keine Möglichkeit zur Mitsprache. Die NGG habe Fälle erlebt, in denen Arbeiter "menschenunwürdig" untergebracht seien und dafür noch ordentlich Miete zahlen müssten, sagt Hartl.

Bayerns Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) sieht trotzdem keinen Anlass für den Gesetzgeber, zu handeln. Werkverträge seien ein "unverzichtbares Instrument" und "aus dem Arbeitsalltag vieler Unternehmen" nicht mehr wegzudenken. Wegen "einzelner Missbrauchsfälle" dürfe man sie nicht unter Generalverdacht stellen. "Gegen Missbrauch, etwa durch Scheinvertragskonstruktionen, müssen wir vorgehen. Das ist mit dem bestehenden Recht bereits möglich", sagt Zeil.

Dass ein Mensch mit Werkvertrag unter "Sachkosten" läuft, sagt nach Ansicht von Hagen Reimer von der IG Metall schon alles über seinen Status. Die Gewerkschaft der Metall- und Elektroindustrie fordert, dass Betriebsräte über Werkverträge informiert werden müssen. Seit im letzten Tarifvertrag ausgehandelt wurde, dass Leiharbeiter auf dem Niveau der Stammbeschäftigten bezahlt werden müssen, wichen viele Betriebe auf Werkverträge aus. "Bei einem Werkvertrag ist natürlich nicht sichergestellt, dass die Leute entsprechend ihrer Qualifikation bezahlt werden."

Bezahlung nach Status

Nach Qualifikation möchte der Einzelhandel am liebsten gar nicht mehr zahlen. So sieht es Hubert Thiermeyer von der Gewerkschaft Verdi. Der Handel versuche durchzusetzen, die Angestellten lediglich nach ihrem Status, nicht nach der Tätigkeit zu bezahlen. Stundenlöhne der Kassenkräfte und Regaleinräumer seien sittenwidrig.

"Verdi will nur über Geld reden", sagt hingegen Bernd Ohlmann vom Handelsverband Bayern. Die Arbeitgeber wollten hingegen den gesamten Manteltarifvertrag modernisieren. "Tarifverträge müssen attraktiv und zeitgemäß sein." Nur dann nämlich würde er auf viele Beschäftigte Anwendung finden. In anderen Worten: Wenn Verdi höhere Löhne durchsetzt, werden noch mehr Handelsunternehmen aus dem Vertrag aussteigen. "Der Einzelhandel ist hart umkämpft", sagt Ohlmann. "Da geht es um jeden Cent."

Am meisten dürften darunter Angestellte leiden, deren Lohn nicht zum Leben reicht. Was ihnen fehlt, zahlt oft der Staat. Die meisten Erwerbstätigen, die zusätzlich Sozialhilfen beziehen, kommen aus dem Handel, sagt Thiermeyer. So muss der Kunde, der im Supermarkt sparen will, sich am Ende doch am Gehalt der Kassiererinnen beteiligen: als Steuerzahler.

© SZ vom 02.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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