Niederbayern:Dieser Mann will beweisen, dass Passau das schönere Salzburg ist

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Zeit, um in Cafés zu sitzen, hat Thomas E. Bauer wenig. Dafür hat er als Sänger, Chef des Konzerthauses Blaibach oder Intendant der Europäischen Wochen Passau einfach zu viel zu tun. (Foto: Rudolf Klaffenböck)

Sänger Thomas E. Bauer will als Intendant die Europäischen Wochen wieder zum Leuchten bringen.

Von Sabine Reithmaier

Vermutlich passiert es nicht oft, aber manchmal doch: Thomas E. Bauer ist erschöpft und hat obendrein schlechte Laune. Sein Hausmittel dagegen sind ein Cordon Bleu und zwei Bier in seinem Passauer Stammlokal. Kann er dann trotzdem nicht schlafen, wandert er nach Mitternacht auf den Passauer Domplatz und singt Verdi-Arien. Nicht bloß der Entspannung wegen: Der neue Intendant der Europäischen Wochen Passau ist immer im Dienst. "Ich probiere die Akustik aus und denke nach, wann wir da was machen."

An diesem sonnigen Tag aber ist der Sänger gut gelaunt. Schließlich ist er angetreten, um zu beweisen, dass Passau das schönere Salzburg ist. Deshalb steht er auf der Veste Oberhaus, blickt auf die Altstadt hinunter und schwärmt von dem einzigartigen, unverwechselbaren Festival, in das er die Europäischen Wochen verwandeln will. International sollen sie sein, aber doch in Passau verwurzelt. "Ich will das Festival auf eine andere Ebene heben." Künstlerisch und gesellschaftlich.

Die diesjährigen Europäischen Wochen vom 1. Juli bis 6. August hat der 47-Jährige nur aufpoliert und ein bisschen konsolidiert, wie er sagt. Genau genommen hat er aber, seit er im September 2016 seinen Posten antrat, gründlich aufgeräumt. Bauer kürzte die Wochen von 72 auf 48 Veranstaltungen, konzentrierte sie, der besseren Vermarktung zuliebe, auf sechs verlängerte Wochenenden. Er senkte die Eintrittspreise - "Karten über 30 Euro kannst du im Bayerischen Wald nicht verkaufen" - sparte das zweisprachige Programmbuch ein und schickte den Engel, das langjährige EW-Logo, in den Orkus, was für Empörung sorgte. Die heftigen Leserbriefdebatten hat er gut überstanden.

Es ist keine leichte Aufgabe, ein Festival, das nicht nur seine überregionale Zugkraft verloren hat, sondern auch die Passauer selbst relativ kalt lässt, wieder zum Leuchten zu bringen. Bloß gut, dass Thomas E. Bauer gern Schwieriges verwirklicht. Wie zäh er seine Ziele verfolgt, hat er bereits mit dem Konzerthaus in Blaibach bewiesen, als er nicht nur das Dorf von der Notwendigkeit eines spektakulären, architektonisch ungewöhnlichen Bauwerks in der Dorfmitte überzeugte, sondern auch sämtliche Politiker und andere Geldgeber.

Intendant zu sein versteht er auch als politischen Auftrag für die Region. Wie oft er seine magische Formel - "Kultur ist ein Vehikel der Infrastrukturentwicklung" - inzwischen zitiert hat, weiß er nicht. Aber gefühlt spricht er zu jeder Tages- und Nachtzeit und in jeder Lebenslage über dieses Thema. Oder jedenfalls immer, wenn er nicht auf einer Bühne steht und singt. "In Blaibach hat jeder kapiert, es geht nicht bloß um Konzerte, sondern um positive, gesellschaftliche Veränderungen und die haben mit Kultur zu tun."

Das werden die Passauer auch noch kapieren. Wobei - Bauer lässt den Blick über die Altstadt schweifen - die Situation in der Domstadt ist nicht vergleichbar mit dem bis zum Konzertsaal kulturfernen Blaibach. Passau dagegen erfand sich als Gesamtkunstwerk in der Barockzeit neu, nachdem ein Brand die Stadt 1662 in Schutt und Asche gelegt hatte. "Die ganze Stadt ist eine verwegene Skulptur."

Der Blick von der Veste ist grandios. Erhaben thront der Stephansdom auf seinem Hügel, umgeben von den Häusern der Altstadt, umflossen von grünem Inn und brauner Donau. Bauer blickt zur Festung. Im ersten Überschwang hatte er für die Eröffnung der Europäischen Wochen den Saal der Festung vorgesehen. Erst später entdeckte er, dass der Saal viel zu klein ist. Und dass sich in Passau so kurzfristige Ansagen nicht leicht umsetzen lassen, weil sich andere Menschen, vorzugsweise in Behörden, überfahren fühlen. "Ich muss diplomatischer werden, nicht immer so ungeduldig sein", sagt er. Aber mit dem Landestheater Niederbayern, das auf der Festung im Sommer auch Opern aufführt, hat er sich schon auf eine Kooperation verständigt. Künftig helfen die Europäischen Wochen bei der Ausstattung oder bei der Vermittlung von Sängern. "Durch vereinte Kräfte heben wir die Aufführungen auf ein anderes Niveau."

Bauer nutzt den Weg zum Auto zurück, um über den aktuellen Zustand der Europäischen Union zu reden. Katastrophal. Um so wichtiger daher die Europäischen Wochen, die 1952 ins Leben gerufen wurde, um Mauern in den Köpfen niederzureißen. "Das ist immer noch aktuell." Nicht zu unterschätzen ist für ihn auch die identitätsstiftende Funktion solcher Wochen für eine Region. Bislang ist es den Landshutern noch ziemlich egal, was Bauer in Passau macht. Das muss sich ändern, weshalb der Intendant darüber nachdenkt, was er in den Herzogstädten präsentieren könnte. Straubing musste sich bislang mit einem Wochenende Neuer Musik begnügen, aber vielleicht - Bauer steigt ins Auto - braucht es dort und in Landshut mal eine ganz gewichtige Veranstaltung.

Vorsichtig steuert er das Auto abwärts mitten durch die Festung. Eigentlich nicht erlaubt. Während er die Verbotsschilder beharrlich ignoriert, philosophiert er über kommende Veränderungen. "Der Ausbau von Kooperationen ist mir wichtig." Dadurch entstünde eine andere Verortung, eine Verwurzelung in der Bevölkerung. "Die hat in letzter Zeit gefehlt." "Festspiele dahoam" sollen es nicht werden. Bauer schüttelt sich angewidert. "Das wäre der Tod der Europäischen Wochen." Musik könne zwar Räume öffnen, aber nur mit ausgezeichneten Künstlern. "Durchschnitt haben wir überall."

Seine Tage in Passau sind streng getaktet. Er besucht Bürgermeister, singt in Gottesdiensten, lädt zum Ideenaustausch, stellt in Vereinen seine Pläne vor, klappert Schulen ab, wirbt mit Karten, die er aus eigener Tasche bezahlt, um junge Besucher. "Ich sage ihnen, dass ich jemanden brauche, der kräftig klatschen kann." Zuschauerreihen, in denen auch junge Gesichter auftauchen, sehen eben viel besser aus.

In der Altstadt parkt Bauer sein Auto im Halteverbot und sinniert kurz über die Charaktere von Parküberwachern. Manche strafen einen Intendanten nicht, andere gerade erst recht. Er kramt nach seinem Hausschlüssel. "Ich wollte so dicht wie möglich am Dom wohnen." Das wollen wahrscheinlich viele, aber es passt zu Bauer, dass es ihm gelungen ist, im einzig privaten Domherrenhof - alle anderen sind in staatlicher oder kirchlicher Hand - eine Wohnung zu finden.

Uraltes Gemäuer, gotische Spitzbögen, kaum Möbel, dafür ein alter Empire-Kachelofen, Stuckdecken, Schlafzimmer mit Blick in den Garten. "Da stehst du in der Früh auf und denkst dir: Europäische Wochen, jawohl." Billig ist der Traum mit Blick auf die Donau nicht. Eigentlich völlig übertrieben, so viel Geld auszugeben, sagt Bauer, schließlich sei er als Sänger ständig unterwegs. "Aber mir geht es nicht ums Geldverdienen, sondern um die Entwicklung der Infrastruktur."

Ein schmaler Pfad führt durch den Garten auf den Domplatz, der in der Nachmittagshitze weiß flirrt. Gesang würde da sogar ohne Verstärkung funktionieren, sagt Bauer. Jedenfalls wenn man an der richtigen Stelle steht, das weiß er durch seine nächtlichen Versuche. Ein guter Platz, um Menschen zum Staunen zu bringen, sie ein wenig zu irritieren. So wie es ihm im Vorjahr mit Wagners "Rheingold" in Aldersbach gelang. Jetzt denkt er darüber nach, wie das ehemalige Kloster dort genutzt werden könnte. Vielleicht als Probenort für junge Profimusiker.

Und Blaibach? Läuft hervorragend, sagt Bauer, jetzt als Geschäftsführer der Kulturwald GmbH. Vielleicht könnten Blaibach und die Europäischen Wochen ja Partner werden, eine Kooperation eingehen, so wie er es mit dem Landestheater oder Aldersbach plant. "Wenn ich vier, fünf Kooperationen habe, kann ich mit der geballten Kraft dieser Initiativen in München auftreten." Und als Excellenzcluster behandelt werden. Bauer biegt in ein Café ein. "Ich brauche einfach eine Aufgabe", sagte er dann und rührt in seinem Cappuccino. Bloß Konzerte veranstalten, langweilt ihn, "dann würde ich lieber Sänger bleiben." Aber ganz Passau in eine einzige große Festspielbühne zu verwandeln, der Gedanke fasziniert ihn. Kann gut sein, dass ihm das gelingt.

© SZ vom 01.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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