Neue Aufgaben:Offensive gegen die Angst

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Bayerns Gesundheits- und Pflegeministerin Melanie Huml will die Angehörigen von Pflegebedürftigen verstärkt unterstützen. (Foto: Dietrich Mittler)

Ministerin Melanie Huml will pflegebedürftige alte Menschen und ihre Angehörigen im Alltag mehr entlasten

Von Dietrich Mittler, München

Nur zu oft gebraucht Gesundheitsministerin Melanie Huml derzeit das Wort "Herkules-Aufgabe". Seit der Kabinettsklausur in St. Quirin Ende Juli nutzt sie es, um zu beschreiben, wie es war, innerhalb von gut drei Jahren ein neues Ministerium aufzubauen. Und was es bedeutete, mit diesem sich gerade erst entwickelnden Konstrukt in ein neu einzurichtendes Gebäude am Münchner Ostbahnhof zu ziehen. Huml hätte das vielleicht gar nicht groß erwähnt, müsste ihr Haus nun nicht erneut das Quartier wechseln - gemäß der Ministerratsentscheidung in St. Quirin steht dem Gesundheits- und Pflegeministerium der Umzug nach Nürnberg bevor.

Am Mittwoch sprach die Ministerin erneut von einer "Herkules-Aufgabe". Dieses Mal aber im Zusammenhang mit der Kraftanstrengung, die Menschen auf sich nehmen, wenn sie ihre Angehörigen im Alter pflegen. Und damit war Huml auch schon voll dabei, deutlich zu machen, dass auf der Kabinettsklausur in St. Quirin eben nicht nur der Umzug nach Nürnberg festgezurrt wurde. Auf ihr Haus kommen neue Aufgaben zu, die Huml in den kommenden Jahren umsetzen soll und will - das nicht nur im Bereich der Pflege, sondern auch in der Gesundheitspolitik, die zunehmend zentralistischer werde.

"Zentralismus ist nicht mehr zeitgemäß", sagte Huml. Bayern werde sich dagegen auf Bundesebene zur Wehr setzen. Deshalb schon, weil die Beitragszahler im Freistaat viel mehr Geld einzahlten, als über den Gesundheitsfonds zu den Krankenkassen hier zurückfließe. Davon profitiere dann zwar das Gesundheitssystem jener Bundesländer, deren Wirtschaftskraft nicht so hoch sei wie die in Bayern. Im Endeffekt sei es nun aber so, dass die Kassen im Freistaat nicht genügend Geld hätten, um die anfallenden medizinischen Leistungen finanziell einfach so zu stemmen. Eine Folge sei, dass die Kassen in Bayern höhere Zusatzbeiträge einfordern müssten als zum Beispiel jene in Sachsen.

Allein von 2011 bis 2014 hätten Bayerns Versicherte mehr als 5,5 Milliarden Euro mehr geleistet und damit "solidarisch", wie Melanie Huml sagte, die bundesweite Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung gestützt - das aber zum eigenen Nachteil. "Das muss sich in meinen Augen ändern", sagte sie. Es gelte, hiesige regionale Strukturen und Kapazitäten künftig besser nutzen zu können. Wenn Berlin das weiterhin blockiere, so drohte die Ministerin, dann "muss der Gesundheitsfonds insgesamt auf den Prüfstand".

Dies anzustoßen, dafür könnte ebenfalls der Begriff "Herkules-Aufgabe" herhalten, auch wenn Bayern hierbei auf die Unterstützung jener Bundesländer hoffen kann, denen es ähnlich ergeht - Hamburg etwa. Schneller umsetzbar sind die Ziele, die sich Huml gesetzt hat, um pflegebedürftigen Menschen mehr Sicherheit zu geben. "Sicherheit ist das Grundbedürfnis jedes Einzelnen", sagte sie, deshalb greife ihr Konzept "das Grundbedürfnis der Menschen nach einer sicheren medizinischen und pflegerischen Versorgung auf". Auch im Alter sollten pflegebedürftige Menschen die Chance haben, selbstbestimmt leben zu können: "Wir wollen ihnen die Angst nehmen, nicht gut versorgt zu sein", sagte Huml. Mehr noch: Man müsse ihnen die Sorge nehmen, "der Familie zur Last zu fallen oder sie finanziell zu überfordern".

Konkret will die Ministerin diese Ziele unter anderem so angehen: Angehörige von Pflegebedürftigen sollten sich "künftig erst ab einem Jahreseinkommen von mehr als 100 000 Euro an den Pflegekosten beteiligen müssen", sagte Huml. Das heißt: Sie sollten künftig nicht mehr befürchten müssen, dass die jeweiligen Sozialhilfeträger mit Rückzahlungsforderungen auf sie zukommen. Huml will hier allerdings auch durchsetzen, dass die dafür anfallenden Kosten der Bund übernimmt. An Bayerns Bezirken dürften die Ausgaben jedenfalls nicht hängen bleiben.

Alles in allem gelte es, die pflegenden Angehörigen mehr zu entlassen. In diesem Sinne will Huml in jedem Regierungsbezirk ein Demenzzentrum schaffen - als Anlauf- und Beratungsstelle. Auch will sie sich in Bayern für ein "Demenzquartier" einsetzen, "das dementen Menschen ein attraktives Wohnumfeld bieten soll". Was ein solches Vorhaben betrifft, hat sich Bayerns Pflegeministerin in den Niederlanden und in Schweden umgesehen, wo es entsprechende Projekte bereits gibt. Und ja, so räumt Huml schließlich ein, dann steht da ja auch noch der sukzessive Umzug nach Nürnberg bevor. Der sei einerseits eine "historischen Chance" für Franken, aber nun eben auch eine "Herkules-Aufgabe".

© SZ vom 11.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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