Theater:Sonnenaufgang in Wasserburg

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Bühnenbild mit Büdchen: In "Nachtasyl" wird viel gesoffen und klug geredet. (Foto: Christian Flamm)

Auch nach dem Tod seines langjährigen Leiters Uwe Bertram macht das Theater Wasserburg mit Euphorie weiter - und zeigt "Nachtasyl" nach Maxim Gorki.

Von Egbert Tholl, Wasserburg

Maxim Gorki schrieb sein Stück "Nachtasyl" zu Beginn des 20. Jahrhunderts, und er lässt darin wenig Zweifel, was er von der Menschheit hält: nichts. In einem Obdachlosenheim hocken knapp 20 Figuren aufeinander, die keine Gemeinschaft bilden. Jeder verfolgt nur sein eigenes kleines Ziel, es gibt Gier und Gewalt, Neid und viel Alkohol. Ausweglos.

Nun hat Nik Mayr das Stück am Theater Wasserburg inszeniert, hat das Personal auf vier Spielende verdichtet, deren Figuren auch Motive der nun fehlenden in sich tragen, hat für die vier einen wunderbaren Ort erschaffen - und auf einmal ist man nicht mehr im Russland um 1902, sondern im Hier und im Jetzt, und am Ende gibt es vielleicht sogar einen kleinen Sonnenaufgang. Zumindest im Inneren.

Auf der Bühne steht ein liebevoll gebautes Büdchen, ein Kiosk, eine Trinkhalle, ein Ort, an dem die Menschen kleben bleiben, die nicht wissen, wohin mit sich. Es gibt einen Wirt, Carsten Klemm, der "so wenig gelebt hat, dass er zu der Vorstellung neigt, niemals zu sterben", einen jungen Kerl, Andreas Hagl, der so gern irgendetwas ausrichten würde, aber beim besten Willen nicht weiß, was. Es gibt einen äußerst profund in sich versunkenen Philosophen, Hilmar Henjes, in dessen Gesicht sich alles widerspiegelt, was man nicht getan hat, jede einzelne verpasste Chance. Und es gibt Annett Segerer, die um die drei Gestalten kreist. Gesoffen wird viel, klug geredet auch, es ist ziemlich konkret, man versteht alle vier in ihrem todesnahen Trübsinn. Am Ende könnte vielleicht ein kleines Glück zwischen dem Jungen und dem Mädchen entstehen, man hört ein Lied von Rocko Schamoni - in Nik Mayrs Inszenierungen gibt es immer exzellente Musik - und denkt, ach, es gibt noch Hoffnung.

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Das ist alles sehr schön, und dass es das alles gibt, ist nicht selbstverständlich. Vor fünf Monaten starb Uwe Bertram, der das Haus seit 2003 geleitet und poetisches Großstadttheater im kleinen Wasserburg gemacht hatte. Das Theater war Bertram, und Bertram war das Theater. Die Fördermittel liefen über ihn, die Verträge, viele Inszenierungen machte er selbst. Aber: Da waren halt auch einige Theatervernarrte, die lange Zeit mit ihm hier gearbeitet hatten. Und die beschlossen, dann machen wir halt weiter. Ohne ihn. Und sie machen weiter. Voller Euphorie. "Nachtasyl" ist die zweite Neuproduktion nach Bertrams Tod.

Es gibt nun "die zehn". Drei davon - Nik Mayr, Annett Segerer, Constanze Dürmeier - teilen die Leitung unter sich auf, sechs sind über Teilzeitverträge fest angestellte Schauspielende, einer hilft in geschäftlichen Belangen. Nachdem die Erb-, Steuer- und sonstigen bürokratischen Verflechtungen aufgedröselt waren und die zehn sich etabliert hatten, zeigten sich der Förderverein, die Stadt und der Freistaat, alle, die das Theater unterstützen, glücklich. Es geht weiter!

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