Alexander Hatz konnte am Freitag kaum fassen, was um ihn herum geschah. Anrufe im Minutentakt, wildfremde Menschen, die ihm in der U-Bahn ihre Unterstützung zusicherten: "Total geplättet" sei er von der "Welle der Solidarität", die ihm da entgegenschlage. Ein ihm unbekannter Mann aus Hamburg hatte tags zuvor sogar eine Online-Petition gestartet. Unter dem Titel "Freispruch für den Notarzt Alexander Hatz" konnte man zusehen, wie die Liste sekündlich länger wurde. 40 000 Menschen hatten bis zum frühen Nachmittag unterzeichnet. Falls es in diesem Tempo weiterginge, wäre die erhoffte Zahl von 120 000 Unterschriften, die dem Bayerischen Landtag übergeben werden soll, noch an diesem Wochenende erreicht.
Ob die Petition Hatz im konkreten Fall helfen wird, bleibt indes abzuwarten. Der Notarzt aus Neuburg an der Donau soll laut einem Strafbefehl sechs Monate seinen Führerschein abgeben und 4500 Euro Strafe zahlen, weil er bei einer Fahrt zu einem Rettungseinsatz angeblich zu rasant unterwegs war.
Sein Anwalt Florian Englert ist über die Resonanz nicht verwundert. Jeder Mensch, der auf die Hilfe eines Notarztes angewiesen sei, werde sich fragen: "Was soll das?" Zumindest symbolisch könne die Petition etwas bewirken. Jedes Urteil werde im Namen des Volkes gesprochen, sagt Englert. Die Unterschriften zeigten, dass das Empfinden der Menschen mit dem bisherigen Vorgehen der Justiz nicht übereinstimme.
Warum der Notarzt den Strafbefehl bekam
Auch Florian Jornitz, der Initiator der Petition, denkt so. Er habe die Geschichte zuerst gar nicht glauben wollen, sagt der Hamburger. Ein Mann hatte gegen Hatz Anzeige erstattet, weil er scharf abbremsen und ins Bankett habe ausweichen müssen. Ein Zeuge bestätigte diese Aussage. Die Staatsanwaltschaft Ingolstadt hat gegen Hatz daraufhin einen Strafbefehl wegen Verkehrsgefährdung beantragt, das Amtsgericht Neuburg hat ihn zugelassen.
Der bislang unbescholtene Notarzt war auf dem Weg zu einem zweieinhalbjährigen Mädchen, das zu ersticken drohte. Er sei gefahren wie immer, sagt Hatz: mit Martinshorn, Blaulicht und Lichthupe.
Der Fall hat eine Grundsatzdiskussion über die Sonderrechte von Rettungskräften im Straßenverkehr ausgelöst, die Jornitz so nicht nachvollziehen kann. "Eine Frechheit" sei der Strafbefehl, daher habe er die Petition gestartet. Er habe selbst zwei kleine Kinder und wünsche sich, dass im Notfall rasch ein Arzt eintreffe. Gerade im ländlichen Raum würden einerseits Notarztstellen abgebaut, andererseits erwarte man schnelle Hilfe. Außerdem habe er als früherer Lastwagenfahrer schon in der Fahrschule gelernt, das Tempo zu drosseln und rechts ranzufahren, wenn Rettungskräfte entgegenkämen.
Münchner Generalstaatsanwalt fordert Akten an
Auch in Justizkreisen ist man hellhörig geworden. Der Münchner Generalstaatsanwalt Christoph Strötz sagte am Freitag, er könne verstehen, dass der Fall Fragen aufwerfe. Strötz hat die Akten deshalb bereits angefordert, er will sich ein eigenes Urteil bilden. Im konkreten Fall könne er sich noch nicht äußern. Es gibt zwei Möglichkeiten: Die Gerichtsverhandlung wird wie geplant stattfinden, dann voraussichtlich im April - oder die Staatsanwaltschaft zieht die Klage wieder zurück.
Rechtsanwalt Englert bezweifelt, dass die Staatsanwaltschaft Ingolstadt von sich aus aktiv werde. Der leitende Oberstaatsanwalt Helmut Walter führt als Begründung für den Strafbefehl "eine potenzielle Überschreitung von Sonderrechten" im Straßenverkehr an. Hatz hat dagegen Einspruch eingelegt. Laut Englert seien die Aussagen des Anzeigenerstatters und des Zeugen "floskelhaft und nicht sehr ausführlich". Beide seien mit dem Notarzt nicht bekannt. Er hätte sich gewünscht, dass die Staatsanwaltschaft selbst nachhake, etwa warum die Zeugen angesichts des Blaulichts nicht zur Seite gefahren seien.
Hatz freut sich, dass das Thema auch grundsätzlich diskutiert werde. Schließlich seien auch andere Rettungskräfte betroffen. Die Mutter der kleinen Magdalena, der Hatz zur Hilfe kam, sagte: Sie hoffe, dass für den Notarzt alles gut ausgehe, sollte es wirklich zum Prozess kommen.