München:Umstrittenes Heilmittel

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Methadon spielt bei der Substitutionstherapie von Opiatabhängigen eine tragende Rolle. Aber auch Krebspatienten setzen Hoffnungen in dieses Mittel. (Foto: Frank May/dpa)

Methadon wird gegen Schmerzen eingesetzt, immer wieder wird aber auch eine mögliche Wirkung gegen Krebs diskutiert

Von Dietrich Mittler, München

Josef Schmidbauer, Krebspatient aus dem oberbayerischen Krailling, macht sich nichts vor. "Man muss ja irgendwann lernen, mit dieser Krankheit zu leben", sagt er. Die Betonung bei Schmidbauer liegt auf dem Wort "leben". Ja, er habe noch Träume. Ende Oktober will er von Teheran aus den Iran kennenlernen, der Flug ist schon gebucht, der Pass für das Visum eingereicht. Gleichwohl, Schmidbauer - "alle Welt nennt mich Sepp" - hat auch schon bestimmt, wo er bestattet werden will. Er weiß, es kann schnell gehen, der Tumor hat sich von der Prostata aus im ganzen Körper verteilt, die Metastasen in der Wirbelsäule verursachen Höllenschmerzen. Aber: "Den Löffel gleich abgeben - nein, dazu ist das Leben noch zu schön", sagt er. Gegen seine Schmerzen nimmt er bereits seit 2016 Methadon, den meisten Menschen eher bekannt als Heroin-Ersatzstoff für Opiatabhängige.

Die Gefahren, die es trotz aller Erfolge in der Substitutionstherapie zu beachten gilt, sind dem 59-Jährigen bewusst. "Methadon ist nicht irgendein Nahrungsergänzungsmittel, das ist ein Opiat", sagt er. Methadon kann bei falscher Dosierung zu gefährlichen Herz-Rhythmus-Störungen und Atemlähmungen führen. Aber ihm helfe es eben, für viele Stunden am Tag die Schmerzen abzublocken. Viele von Schmidbauers Leidensgefährten hegen jedoch die Hoffnung, dass Methadon weit mehr kann, als Schmerzen zu lindern. Dass dieses Medikament womöglich gar die Bekämpfung des Tumors bei der Chemotherapie wirkungsvoll unterstützen könnte. Bis hinein in die Kreise der Mediziner löst diese These kontroverse Diskussionen aus. Nicht wenige Ärzte hegen große Zweifel, ob sich Methadon tatsächlich "als Hoffnungsträger im Kampf gegen den Krebs" eignet. Angesichts des nahenden Münchner Krebsinformationstages am kommenden Samstag bot nun die Bayerische Krebsgesellschaft am Dienstag im Münchner Presseclub die Möglichkeit zur Diskussion. Volker Heinemann vom Krebszentrum München rät zur Vorsicht. "Wir brauchen weitere Forschung", mahnte er. Bis auf eine laborbasierte Studie, an der aus seiner Sicht zu wenige Patienten beteiligt waren, gebe es keine weiteren, in denen die Rolle von Methadon als Wirkungsverstärker bei der Chemotherapie sichtbar werde.

Gleichwohl, Heinemann will Krebserkrankten nicht auch noch den Strohhalm nehmen, an den sich manche klammern. "Die letzte Entscheidung beruht auf der Hoffnung des Patienten, dass wir hier ein wirksames Medikament haben", sagte er.

"Warum greifen Patienten nach jedem Strohhalm?", lautete denn auch eine der Kernfragen, die an die im Presseclub versammelten Experten gestellt wurde. Oberärztin Pia Heussner, die Leiterin des interdisziplinären Zentrums für Psycho-Onkologie am Klinikum der Universität München, hat darauf eine klare Antwort: Menschen mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung, bei denen die bisherigen Behandlungsschritte die Heilung nicht sichern konnten, "werden sich logischerweise auf die Suche nach allen Wegen begeben, die das vermeintliche Schicksal" noch abwenden könnten.

Josef Schmidbauer indes macht sich da nurmehr wenig Hoffnung. Methadon ist für ihn in erster Linie ein durchaus wirksames, also hilfreiches Schmerzmittel. Aber das Überleben sichern? "Beim Prostata-Krebs", so sagt er, "ist es so, dass 90 Prozent der Betroffenen mit dem Krebs sterben, aber nicht am Krebs. Ich gehöre halt zu den zehn Prozent, bei denen die Krankheit so aggressiv ist, dass sie mich in naher Zukunft trotz der Behandlung umbringt."

Seit mehr als 70 Jahren bereits, so heißt es seitens der Bayerischen Krebsgesellschaft, sei die schmerzstillende Wirkung von Methadon bekannt. Und in diesem Sinne werde es auch weltweit eingesetzt. Gleichwohl sei es eben ein Opiat, das nur unter professioneller Begleitung von Ärzten eingenommen werden sollte, wie Günter Schlimok, der Präsident der Krebsgesellschaft, betonte. Da komme es stark auf eine ordnungsgemäße Dosierung an. "Deswegen sind wir sehr zurückhaltend", sagte er. Nähmen Krebskranke Methadon ohne Kenntnis des behandelnden Arztes ein, brächen sie gar eigenmächtig die Krebstherapie ab, so gefährdeten sie damit ihr Leben.

"Es ist mit Vorsicht zu genießen", sagt auch Josef Schmidbauer. Indes, er versteht jene, die mit aller Kraft um ihr Weiterleben kämpfen. Er selbst habe sich letztlich ja auch noch nicht in sein Schicksal gefügt. "Ja, ich kämpfe weiter", sagt er. Nun aber packt er erst einmal seine Koffer für die Iran-Reise

© SZ vom 19.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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