München:Die schwache Seite der Tüchtigen

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Viele Bachelorstudenten haben klare Ziele - und Existenzängste

Von Martina Scherf, München

Bachelorstudenten sind karriereorientiert, mit ihrem Studium im Allgemeinen zufrieden und international versiert. Die Mehrheit von ihnen hat mit Anfang 20 schon klare Vorstellungen von Familie, Beruf und Einkommen. Aber: Viele fühlen sich überlastet, leiden an Prüfungs- und Existenzängsten. Zu diesen Ergebnissen kommt - grob zusammengefasst - eine Studie der Technischen Hochschule Ingolstadt (THI).

Wie leben und denken Bachelorstudenten? Dies wollte der Pädagoge Alfred Leurpendeur wissen. Er ist Lehrbeauftragter für Arbeitspsychologie an der Fakultät für Betriebswirtschaft, zugleich aber auch in der psychologischen Beratung der Hochschule tätig. Zunächst wollte er nur Studenten an der eigenen sowie an benachbarten Hochschulen befragen, doch als er den Fragebogen online stellte, haben sich binnen Kurzem mehr als 1400 Studenten beteiligt. "Mit so einem Rücklauf hatte ich nicht gerechnet", sagt Leurpendeur, "es besteht offenbar ein Mitteilungsbedürfnis."

Die Teilnehmer stammen überwiegend von Fachhochschulen aus dem nord- und ostbayerischen Raum und meist aus den technischen und wirtschaftswissenschaftlichen Bereichen. Universitätsstudenten und Geisteswissenschaftler waren seltener darunter.

Rund drei Viertel der Befragten, so ergab die Studie, sind mit ihrem Studium sehr zufrieden bis zufrieden. Etwa 60 Prozent streben nach dem Bachelor einen Masterabschluss an. Zwei Drittel haben schon Auslandserfahrung oder planen einen Auslandsaufenthalt. Gut die Hälfte der Befragten gab an, mindestens zwei Fremdsprachen zu sprechen. Alles positive Merkmale, sagt Leurpendeur.

Doch die hohen Ambitionen haben offenbar auch eine Kehrseite: Gleichzeitig fühlen sich nämlich 28 Prozent der Befragten in ihrem Studium überlastet, 37 Prozent leiden unter Prüfungsängsten, die sie alleine nicht bewältigen können. Und ein Viertel aller Befragten spricht gar von Existenzängsten. Das entspricht der Erfahrung, die der promovierte Pädagoge auch in der psychologischen Beratung macht: "Da kommen Examenskandidaten, die haben schon einen gut dotierten Arbeitsvertrag in der Tasche und 34 Prüfungen absolviert, aber bei der letzten sind sie zweimal durchgefallen. Wenn es wieder nicht klappt, sind sie draußen. Diese Angst lähmt sie regelrecht."

Karriere ist den Studenten also wichtig, 53 Prozent der Befragten gaben an, sie sei "genauso wichtig wie Familie". Aber immerhin 47 Prozent halten Familie für wichtiger als die Karriere. "Die Work-Life-Balance zählt heute viel", sagt Leurpendeur, was andere Studien bestätigten. Darauf müssten sich die Personalberater der Firmen, die um die besten Köpfe konkurrierten, künftig noch mehr einstellen.

Überrascht sei er gewesen, sagt der Wissenschaftler, dass die Teilnehmer seiner Studie das gängige Klischee von den "Jobhoppern" deutlich widerlegten: 77 Prozent der Befragten gaben an, dass sie sich gerne länger als fünf Jahre an ein Unternehmen binden möchten. Auch haben sie offenbar sehr konkrete Vorstellungen von ihrem Einstiegsgehalt, die Hälfte erwartet ein Jahresgehalt von 45 000 Euro aufwärts.

Während des Studiums sind die meisten jedoch finanziell abhängig: Der Zuschuss von ihren Eltern macht den größten Teil des Geldes aus, mit dem die Befragten ihr Studium bestreiten, dicht gefolgt von Nebenjobs und Ersparnissen. Etwa zwei Drittel wohnen in einer eigenen Wohnung, einer WG oder im Studentenwohnheim, 35 Prozent bei Eltern oder Verwandten. Ehrenamtliches Engagement gaben 37 Prozent der Befragten an. Bei der Freizeitgestaltung favorisieren sie Freunde treffen und Sport, dicht gefolgt von Schlafen und Medienkonsum. "Alles in allem leben sie sehr zweckoptimiert", resümiert Leurpendeur.

© SZ vom 22.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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