Mord bei Schloss Mespelbrunn:Stumm wie eine Eiche

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Er bedrängte seine Angebetete mit Gedichten, dann erstach er sie: Alexander R. muss sich nun wegen Mordes vor Gericht verantworten - und schweigt am ersten Prozesstag.

Roman Deininger, Aschaffenburg

Die ältere Dame in der grünen Weste in Reihe eins hat Alexander R. aufwachsen sehen, sie erinnert sich an das Kind, an den Jugendlichen und an den Mann von mehr als 30 Jahren. Immer sei er ein "feiner Kerl" gewesen, sagt sie, "höflich" und "hilfsbereit". Alexander R. sitzt keine fünf Meter entfernt von ihr im Sitzungssaal 168 des Landgerichts Aschaffenburg. Die Dame blickt zu ihm hinüber, sie schüttelt den Kopf und sagt: "Aber diesen Menschen kenne ich nicht mehr."

Der Angeklagte Alexander R. muss sich wegen Mordes vor dem Landgericht Aschaffenburg verantworten. (Foto: Foto: ddp)

Dabei kennt jeder jeden in Mespelbrunn, einem Dorf im Wald. Es gibt ein Schloss dort, und in dem Schloss hat einst Liselotte Pulver das Schlossfräulein gespielt für den hinreißenden Kitschfilm Das Wirtshaus im Spessart. Über Jahrzehnte war die Welt in Mespelbrunn so heil wie die im Kino.

Bis zum 25. Juli 2008. An jenem Morgen hat Alexander R. auf dem Parkplatz vor dem Räuberschloss auf die dreifache Mutter Carmen S. eingestochen. Die Hände und Arme der 32-jährigen Frau seien übersät gewesen mit "Abwehrverletzungen", berichtet eine Gerichtsärztin. Drei Stiche, mindestens drei, habe sie nicht abwehren können. Ein Stich davon habe ihre Lunge durchdrungen, eine Rippe gebrochen und dann eine Scharte in ihre Wirbelsäule geschlagen. Die Ärztin sagt, es könnte zehn Minuten gedauert haben, bis Carmen S. verblutet war.

Der erste Verhandlungstag gegen Alexander R. ist nicht arm an Momenten, die das Publikum schaudern lassen. Da ist etwa die Rede von einem letzten Satz, den Carmen S. ihrem Mörder nachgerufen haben soll: "Du kannst mich doch so nicht liegen lassen."

Festnahme in Frankreich

Knapp ein Jahr war der mutmaßliche Täter auf der Flucht. Knapp ein Jahr lebte Mespelbrunn in Furcht. Einmal, im März 2009, kehrte R. zurück in sein Heimatdorf, mit einem Beil bewaffnet nahm er drei Geiseln, stahl ihr Geld und kettete sie geknebelt an die Heizungsrohre im Keller des Schlosses. Im Juli wurde er am Bahnhof im französischen Colmar festgenommen.

Der Prozess wegen heimtückischen Mordes hätte eigentlich schon am 26. April beginnen sollen. Doch Alexander R. hatte sich in der Justizvollzugsanstalt Würzburg wochenlang schwach gehungert und sich dann, am Wochenende vor dem Auftakt, mit einer Rasierklinge die Unterarme geöffnet. Jetzt sei er wieder "soweit stabilisiert", erklärt die Gerichtsärztin, untergebracht in einem besonders gesicherten Haftraum.

Alexander R. hat sich einen riesigen Vollbart wachsen lassen, er würde als Talib durchgehen damit. Als er den Saal betritt, starrt er unbewegt in die Kameras, die Arme hängen mit geballten Fäusten zu Boden. Er sagt im Laufe eines langen Verhandlungstages kein einziges Wort - nicht zur Sache und auch dann nicht, als der Richter sich persönlich an ihn wendet. Er schaut ihn nicht einmal an.

Es sprechen am ersten Tag dieses von einem großen Medienaufgebot begleiteten Prozesses die Angehörigen der Toten, zuerst Mark S., Carmens Ehemann, zu dem sie kurz vor der Tat nach einer Trennungsphase zurückgekommen war.

Carmen S. arbeitete an der Rezeption des Mespelbrunner Schlosshotels, Alexander R. verrichtete dort Hausmeisteraufgaben. Mark S. sagt, seine Frau, habe ihm anvertraut gehabt, dass R. sie "bedrängte".

Ein unheimliches Gedicht

Ein paar Tage vor jenem blutigen Julimorgen habe sie einen Brief von ihrem aufdringlichen Verehrer bekommen, ein Gedicht. So wie sich Mark S. erinnert, handelte das Gedicht von einer Eiche, die sich in einem Garten zu einer "wunderschönen großen Weide und ihren drei kleinen Weiden pflanzen will".

Als die Weide das ablehnt, lässt sich die Eiche das nicht gefallen, und am Ende "zerspringt die Weide in tausend Teile". Seine Frau, sagt Mark S., habe R.s Dichterei für harmlos gehalten. Er sei sich da nicht so sicher gewesen.

Auch ihrer Mutter hatte Carmen S. von den Annäherungsversuchen berichtet. Christina B. erfuhr in einem Berliner Hotel vom Mord an ihrer Tochter. Was da ihr erster Gedanke gewesen sei, fragt der Richter. Christina B. sagt: "Ich habe sofort gedacht: Das war der R."

Einmal zieht sich das Gericht für ein paar Minuten zurück, Christina B. sitzt da gerade auf dem Zeugenstuhl, direkt gegenüber der Anklagebank. Kaum jemand im Raum bemerkt, wie sie beginnt, auf Alexander R. einzureden, mit leiser, aber fester Stimme.

"Was hast Du meinen Enkelkindern angetan?", fragt sie irgendwann, etwas lauter jetzt, und auf einmal erlischt das Gemurmel im Saal, als hätte jemand einen Schalter umgelegt.

Christina B., hört man später, hat auf diese Gelegenheit lange gewartet. Ihre Fragen gehen auf Alexander R. hernieder wie draußen, vor den Fenstern von Saal 168, der Regen auf Aschaffenburg: "Schämst Du Dich nicht? War es das wert? Gab es keinen anderen Ausweg?" Alexander R. hat keine Antwort auf diese Fragen, nicht für das Gericht und nicht für die Mutter der Toten. Er sitzt einfach da und sieht dem Regen zu.

© SZ vom 07.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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