Mitten in Bayern:Platznot in der Urnenwand

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Der Trend zur Feuerbestattung hat auch das erzkatholische Altötting erreicht

Von Matthias Köpf

Nach allem, was den Menschen auf Erden zu wissen vergönnt ist, lässt sich ein Platz im Himmel nicht buchen, und eine Reiserücktrittversicherung gibt es dafür auch nicht. Dabei könnten Gläubige speziell in Altötting den Eindruck haben, der Ticketschalter fürs Paradies müsse doch irgendwo hier am Kapellplatz zu finden sein. Unabhängig davon gibt es in Altötting neuerdings eine Möglichkeit weniger, zumindest für das Ende im Diesseits zu reservieren. Denn die 72 freien Nischen in der neuen Urnenwand am städtischen Friedhof, so berichtet es der Alt-Neuöttinger Anzeiger, sind jetzt jedenfalls ausschließlich den bereits Toten vorbehalten. Reservierungen von lebendigen Frühbuchern werden in Altötting nicht mehr entgegen genommen.

Ganz genau genommen stehen in der neuen Urnenwand zwar nicht alle 72, sondern doch wieder nur 71 neue Nischen zur Verfügung. Aber die eine Reservierung ist eben eine Ausnahme, und das auch nur eine halbe, weil der dafür vorgemerkte Leichnam bereits eingeäschert ist. Einstweilen hat er in einer Gruft seine vorletzte Ruhestätte gefunden, bis an der Urnenwand die Türen der Kammern montiert sind und der Segen gespendet ist. Dabei ist die erst vor zwei Jahren eingeweihte erste Urnenwand ja noch gar nicht voll, aber schon lange im Voraus ausgebucht.

Mit seinen beiden Urnenwänden liegt Altötting gut im Trend. Der geht zur Feuerbestattung, und nun geht er eben auch am traditionsseligen Altötting nicht mehr vorbei. Erst ein halbes Jahrhundert ist es her, dass die katholische Kirche während des Zweiten Vatikanischen Konzils ihren Gläubigen erlaubt hat, sich nach dem Tod verbrennen zu lassen. Deutschlandweit liegt der Anteil der Einäscherungen nach Angaben des Kuratoriums Deutsche Bestattungskultur inzwischen bei 60 Prozent. So eine Nische in der Urnenwand ist eben pflegeleichter und außerdem deutlich billiger als das klassische Erdgrab.

Aber selbst wenn die Einäscherungsquoten irgendwann auch in Altötting bei hundert Prozent liegen sollten, dann wird die Politiker die Retterin der Särge sein. Denn um mal wieder irgendwas symbolisch zu Grabe zu tragen, wird der Sarg immer unterverzichtbar bleiben.

© SZ vom 18.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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