Mitten in Bayern:Pissoirknigge für Teilzeitproleten

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Warum der Fünf-Seidla-Steig an den Ballermann erinnert - und wie sich die Oberfranken dagegen wehren.

Von Olaf Przybilla

Das eben ist der Fluch der bösen Tat, dass sie, fortzeugend, immer Böses muss gebären. Schreibt Schiller. Im fränkischen Gräfenberg wollen sie das nun um einen Aspekt erweitert wissen. Da setzt sich gerade der Gedanke durch, dass es auch so etwas wie den Fluch der guten Tat gibt.

Die gute Tat, darüber bestand lange Einigkeit in Franken, war die Erfindung des "Fünf-Seidla-Steigs". Fünf Brauereien, die ihr eigenes Bier ausschenken. Dazwischen eine sanfte fränkische Hügellandschaft. Musste man nur noch einen lustigen Namen erfinden, den Bahnanschluss nach Nürnberg verstetigen und etwas Werbung machen: perfekt.

Kam auch ganz vorzüglich an, dieses Wandern von Frankenbier zu Frankenbier. Bis jetzt die Stimmung gekippt ist, zumindest zum Teil. Weil sich das mit dem Steig offenbar nicht allein bei den Freunden der zünftigen Sommerfrische herumgesprochen hat, sondern auch bei präpotenten Junggesellen, notorischen Feiertagsgruppensäufern und allerlei komatösen Pappnasen, die denken, nur beim Verlust der Muttersprache stelle sich ein Gefühl für die Heimat ein.

Das böse Wort vom fränkischen Ballermann macht die Runde. Und wenn der Vergleich auch noch so schief sein mag, eines verbindet Gräfenberg tatsächlich mit Mallorca: Hier wie dort sieht man sich inzwischen gezwungen, Wegweiser mit Benimmregeln aufzustellen. Mit einem Unterschied allerdings: Auf Malle drohen fürs Sangria-Komasaufen seit 2014 empfindliche Strafen. Der Lauf&Trink-Wanderknigge aus Oberfranken belässt es bei ein paar sachdienlichen Hinweisen.

Nachzulesen sind diese am Bahnhof und am Wegesrand zwischen den fünf Seidla-Anbietern. Aber auch oberhalb der Pissoirs in den Gasthäusern. Letzteres darf als untrüglicher Hinweis darauf gewertet werden, welches Geschlecht sie in Gräfenberg konkret im Verdacht haben, sich nachts in den Vorgärten der eigenen atavistischen Natur aufs Widerlichste zu vergewissern. "Das Belästigen von Anwohnern und anderen Gästen ist untersagt" - nicht schön, wenn man so was erst betonen muss. Und so sind die Schilder in Gräfenberg nicht unumstritten. Lesen Gelegenheitsproleten einen Pissoirknigge? Man wird sehen müssen.

© SZ vom 10.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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