Mitten in Bayern:Kulturgut Telefonzelle

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Das Freilandmuseum in Fladungen bekommt einen denkwürdigen Zugang

Kolumne von Johann Osel

Auf die Erfahrung, den Bandsalat einer Musikkassette mittels Bleistift aufzuspulen, muss die heutige Jugend verzichten. Ohnehin ist es erstaunlich, wie rasch Dinge außer Mode und Gebrauch geraten. RTL ist dazu eine durchaus amüsante Nostalgie-Show gelungen: "Comeback oder weg?". Darin führen Eltern ihren Kindern Gegenstände der Vergangenheit vor, der Nachwuchs muss raten, was es damit auf sich hat. Man sieht dann Mädchen und Buben, verwirrt starrend auf Wählscheiben, Briefmarkenanfeuchter, Trockenhauben oder Rollschuhe. Letztere waren mal "cool" (was auch längst keiner mehr sagt, eher "fresh" und "nice"), man düste damit in die Rollschuhdisco, die heute Club heißen würde. Wie der Alltag sich mit der Zeit ändert, lässt sich bestens in den Bauern- und Freilandmuseen des Landes erkennen, wie im unterfränkischen Fladungen, der nördlichsten Stadt Bayerns. Das fränkische Freilandmuseum dort hat aber gerade einigen Bürgern einen Schrecken eingejagt.

Wie die Mainpost meldete, soll dort kommende Saison eine gelbe Telefonzelle präsentiert werden, man sei "das erste Freilandmuseum, das solch ein Exponat aufstellt". Im Internet rief das bei Lesern Entsetzen hervor. "Jetzt bin ich schon so alt, dass Dinge aus meiner Jugendzeit im Museum enden", meint eine Frau. Auch der Autor dieser Zeilen, der einst gerne 30 Pfennige Taschengeld für Telefonstreiche in die Häuschen investierte, kommt ins Grübeln ob seines fortschreitenden Alters. Soll ihm diese Zelle zwischen Holzfass-Büttnerei und ehrwürdigem Truchseß-Haus zeigen, dass sogar die 1990er-Jahre längst museumsreif sind wie mechanische Waschmaschinen oder Ochsengespanne mit Pflug? Zumindest: Das gelbe Ding soll eine Art Info-Theke werden.

Abwegig ist freilich der Gedanke der Museumsreife nicht. Der Rückbau von Telefonzellen verläuft rasant. Regionaldaten bietet die Telekom nicht, nach Schätzungen dürften in Bayern aber nur noch ein- bis zweitausend Häuschen stehen, sehr selten in Gelb. Es fehle an Wirtschaftlichkeit, heißt es, weil die Zellen fast keiner mehr nutze - so wie auch kaum einer mehr in Nachttöpfe pinkelt, mit Bügeleisen ohne Strom Gewänder plättet oder Fleisch in die Gemeinschaftsgefrieranlage des Dorfes bringt. Eine solche ist übrigens in Fladungen auch zu besichtigen.

© SZ vom 27.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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