Mitten in Bayern:Kersbachs Liebreiz - genau wie Paris

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Frankens beschauliche Ecken kennt nicht jeder, was einen großen Teil ihrer Beschaulichkeit ausmacht. Ein Kreisverkehr nahe Erlangen allerdings avanciert gerade zur Sehenswürdigkeit. Auch weil er gelistet wird neben sehr prominenten Rondells

Glosse von Olaf Przybilla

Für die wohligen Ecken in Franken sollte man keine Reklame machen, das Wohlige daran ist ja, wie beschaulich es dort zugeht. Den Hügel bei Rathsberg aber darf man schon mal erwähnen, der ist kein Geheimnis. Am Fuße der Wölbung weiß man Erlangen, dessen universitärer Liebreiz enorm zugenommen hat zuletzt. Im Süden blickt man auf den Kalchreuther Sattelberg, diesen fränkischen Wirtshaustraum, im Norden aufs Walberla, Kultberg der Franken. Und vor der Pandemie trank man im Garten von Schloss Atzelsberg so kontemplativ, dass es eine wahre Wonne war.

Und ja doch - man hat dort oben ständig Ludwig Tieck im Ohr: "Es war schon finster, als wir noch eine halbe Meile von Erlangen entfernt waren. Die Lichter aus dem Dorfe Rathsberg herunter machten einen äußerst romantischen Effekt. Müde kamen wir in Erlangen spät an, tranken Schokolade und legten uns schlafen."

1793 hat Tieck die Fränkische Schweiz durchmessen, und wenn man die "Pfingstreise" schon nicht zur Geburtsstunde einer literarischen Epoche aufblasen muss, die Geburtsstunde des romantischen Tourismus in der "Fränkischen" (der sprachknappe Franke lässt die Schweiz nonchalant weg) war's allemal.

Für die muss man längst keine Reklame mehr machen, aber wer schon mal da ist, der sollte sich drei Minuten Zeit nehmen für den Kersbacher Kreisel (und dabei dem fränkischen Vollbier nur in vertretbaren Dosen zugesprochen haben).

Mit dieser neuen Sehenswürdigkeit hat's eine eigene Bewandtnis: Wer will schon Kreisverkehre anglotzen, nicht mal aussteigen möcht' man, muss man aber auch nicht, man bleibt einfach im Auto sitzen, versucht, Moment, die heckenhohen Lettern, im Kreis gruppiert und leicht ansteigend, nacheinander zu entziffern, die ganze Natur, Vorsicht, Abbiegeverkehr, ist dem Menschen, kann der nicht schneller radeln, wenn er poetisch, dritte Runde, gestimmt ist, noch eine, nur ein Spiegel, wie hat das Zitat eigentlich begonnen, worin er nichts, langsamer jetzt, als sich selbst, herrje , wiederfindet.

Kunst im öffentlichen Raum, aus beschichtetem Alu und logisch: ein Tieck-Zitat. Ein Kreisverkehr, den man gesehen haben sollte, genauso wie zum Beispiel die Place Charles de Gaulle. Findet jedenfalls der ADAC. Und der sollte es wissen.

© SZ vom 12.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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