Mitten in Bayern:Frankenfasching auf oberbayrisch

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Das Phänomen der Pseudo-Tracht hat sich von der Wiesn längst auf alle Volksfeste in Bayern ausgebreitet. Sogar bis nach Franken. Warum das so ist? Das lässt sich offenbar nur psychologisch erklären

Kolumne von Olaf Przybilla

Im Kriminalroman "Requiem" lässt der Autor Dirk Kruse einen holländischen Wissenschaftler auftreten, der bei einem Kongress in Nürnberg zu Gast ist. Der Mann ist Psychiater, war noch nie in Franken und blickt zusammen mit der Hauptfigur Frank Beauforts von der Burg über die Stadt. "Sehen Sie ganz weit hinten das Riesenrad? Das steht schon mitten auf dem Gelände", sagt Beauforts und meint das ehemalige Reichsparteitagsgelände. Ob das da immer stehe, will der Psychiater wissen. "Nein, nur wenn Volksfest ist." Darauf der Psychiater: "Auf dem Reichsparteitagsgelände findet ein Jahrmarkt statt? Ist das nicht pietätlos?"

Darüber hat sich Beauforts noch nie Gedanken gemacht, er kommt nur bis zur Feststellung: "Für ihn gehörte das zu den gegebenen Dingen, die er noch nie infrage gestellt hatte." Ja, so ist das manchmal: Es gibt Fragen, die man sich noch nie gestellt hat. Und wenn man sie sich dann doch stellt - findet man keine Antwort.

Das ist so mit dem Rummel auf dem NS-Gelände. Und das ist genauso mit den jungen Frauen, die auf diesem Areal - es ist Volksfest in Nürnberg - gerade ausschauen, als würden sie im großen fränkischen Lookalike-Oberbayerin-Contest gewinnen wollen in ihren Pseudodirndln. Wobei, Achtung, an der Stelle wird's ethnologisch gleich an zwei Fronten heikel. Erstens würde sich jede gestandene Bayerin dagegen verwahren, ein schrilles Discounterdirndl zur Oberbayern-Tracht erklären zu lassen. Zweitens gibt's eine Franken-Tracht schon seit Jahrhunderten. Die sieht nur ganz anders aus als das, was man da heute auf der Kerwa in Erlangen, Bamberg und (wenn auch nicht so hochfrequent) nun auch beim Nürnberger Volksfest vor die Augen bekommt.

Was ist das also? Stammesunterwerfung nach 200 Jahren des Grolls? Frankenfasching im Hochsommer? Oberbayernveralberung von der fiesesten Sorte? Man ist ratlos und dankbar, dass es andere gibt, die offenbar auch ratlos sind, und das getan haben, was man tut, wenn man nicht mehr weiter weiß. Der Fränkische Tag hat einen Psychologen befragt. Der sagt: Das ist eher Party- als Volkstracht, eher Lebens- als Heimatgefühl, eher situationsgebunden als kulturbezogen. Der Mensch zeige damit: "Wir sind jetzt unterwegs auf der Kerwa, wir werden feiern, wir machen das zusammen." Hm.

© SZ vom 31.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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