Mitten in Bayern:Flut der Helfer

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Nach der Flut erlebt das Simbach nun eine Jahrtausendwelle der Hilfsbereitschaft. Wären nicht Tote zu beklagen, wären nicht Existenzen vernichtet, wären der Schlamm und die eingerissenen Wände nur Kulisse, dann wäre es direkt schön in Simbach

Von Rudolf Neumaier

Wäre es nicht die grauenhafte Wirklichkeit, dann wäre es ein wunderbarer Rosenmüller-Film. Eine Helden-Saga. Das Setting: niederbayerische Provinz, Sonnenschein, eine Stadtsilhouette aus Neoklassizismus und Jugendstil. Und Hunderte Komparsen, extrem kräftige Burschen mit verstaubten Haaren und sternvolldreck, wie man auf Bairisch sagt. Die einen in Feuerwehrler-Montur, die anderen in Jeans, T-Shirts und Gummistiefeln, deren Farbe man unter der dicken Dreckschicht nicht mehr erkennt. Und mittendrin auch Komparsinnen - Dutzende, Hunderte. Sie tragen Oberteile mit Spaghettiträgern und Schaufeln auf den freien Schultern. Das Catering besorgen Rettungsdienstler. Den Soundtrack bildet hier La Brass Banda und ein paar Häuser weiter, wo eine American-Football-Truppe aus Salzburg beim Kellerausräumen schweres Gerät ersetzt, Gangsta-Rap. Weil ja wieder ausreichend Strom vorhanden ist, um die Boxen aufzudrehen. Getrunken wird: Mineralwasser. Später auch Bier. Simbach im Juni 2016 ist ein gigantisches Hilfsfestival.

Dem Jahrtausendhochwasser folgte an den ersten vier Tagen eine Jahrtausendwelle der Hilfsbereitschaft. Am Samstagmittag ist Simbach so voll mit Hilfsbereitschaft, dass die Polizei bittet: bitte daheim bleiben! Das galt aber nur für diesen einen Nachmittag - und für Leute, die mit dem Auto kommen wollten, obwohl die Südostbayernbahn anbietet, Helfer samt Schaufeln und Schubkarren kostenlos aus allen Himmelsrichtungen nach Simbach zu befördern. Nicht nur die freiwilligen Schaufler verdienen sich Lob und Dank - vom Ministerpräsidenten bis zum Simbacher Stadtpfarrer. Auch ihre großzügigen Ausstatter, die sie mit Werkzeug und Brotzeit auf den Weg schickten. Ein Mühldorfer sitzt mit Schaufeln und Karren von seinem Bauunternehmer Rigam im Zug, ein Erhartinger mit dem Samstagsrestsortiment vom Eicher-Bäcker und ein Töginger mit fünf Leberkas und 20 Paar Wiener Würstel vom Springerwirt.

Wäre es nicht die grauenhafte Wirklichkeit, wären nicht Tote zu beklagen, wären nicht Existenzen vernichtet, wären der Schlamm und die eingerissenen Wände nur Kulisse, dann wäre es direkt schön in Simbach.

© SZ vom 06.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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