Mitten in Bayern:Der Wahnsinn von Lohr

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Seit Jahren streiten sie in der selbst ernannten Schneewittchenstadt Lohr um eine - ja genau - Schneewittchenstatute. Jetzt steht sie und wird prompt Opfer von Farbattentaten

Von Olaf Przybilla

Womöglich ist es an der Zeit, den Leuten aus Lohr mal was zuzurufen: Es reicht dann übrigens wieder, liebe Lohrer. Ihr habt euch selbst zur Schneewittchenstadt ernannt, das ist irgendwas zwischen Spessart-Dada und komplett gaga, aber klar, kann man schon mal machen. Dann habt ihr eure neue Identität ("Schneewittchenstadt") auf Autobahnschilder schreiben lassen, und man erinnert sich noch der verstörten Debatten auf der A 3, ob die sich im Spessart neuerdings zu ausgiebig ihrem - übrigens vorzüglichen - Keilerweißbier hingeben. Aber trotzdem, Respekt: ebenso bizarr wie gelungen.

Aber dann wurd's allmählich nervig. Erst die Idee mit dem Kunstwettbewerb: Wer modelliert das schneewittchenhafteste Schneewittchen? Oh je. Dann der Wettstreit ums Modell, ein Gegurke. Hernach die öde Kleinstadterregung: Dem Schneewittchen stehen ja so horrend die Haare zu Berge - och bitte. Schließlich das Gezanke, wo man das, na ja, ästhetisch überkomplexe Ding eigentlich hinstellen soll. Wieder Zoff. Und nun, wo die Skulptur endlich ihren Platz gefunden hat, und man, ehrlich gesagt, "Lohr" und "Schneewittchen" gerne im Archiv versenken würde? Gefallen sich die Lohrer in Schneewittchen-Farbattentaten.

Ist das noch Wahnsinn oder hat das schon Methode? Wie auch immer: Das Ding steht erst ein paar Tage und schon haben es mindestens zwei, wahrscheinlich sogar drei Holzköpfe als passend empfunden, ihr Inneres an der betont hässlichen Außenhaut einer Skulptur widergespiegelt zu sehen. Das mag der Ich-Findung dienen. Aber es macht Arbeit. Und es (sagte man das schon?) nervt.

Vielleicht würde den Lohrern ein Abstecher nach Nürnberg helfen, das sind 80 Minuten auf der Autobahn mit dem Schneewittchen-Schild. Vorm Dürer-Haus liegt dort seit 30 Jahren ein Dürerhase als Ausgeburt an, jawohl, Hässlichkeit. Zwischen Kaiserburg und altfränkischer Fachwerkromantik ist ästhetisch wirklich was kaputt zu machen, das ist anders als an einer zugigen Ecke in Lohr. Trotzdem und gerade: Schön ist das Ding nicht. Ein in einen Verschlag gesperrter Horrorhase mit Glupschauge, der immer neue hässliche Hasen wirft. Widerlich, könnte man sagen. Aber unglaublich erfolgreich als Fotomotiv.

© SZ vom 07.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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