Misshandlungs-Verdacht mit Folgen:Zivilcourage oder üble Nachrede?

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Die Mitarbeiterin einer oberbayerischen Gemeindeverwaltung hört von Gewalt in einer Familie, sie geht dem Gerücht nach, schließlich landet der Fall beim Jugendamt - und sie wird wegen übler Nachrede verurteilt. Nun ist das Verfahren neu aufgerollt worden, zu einem klärenden Urteil ist es nicht gekommen.

Silke Bigalke, Traunstein

Als alles vorbei ist, sieht Frau Meier nicht zufrieden aus, nicht einmal erleichtert. "Sie wollte eigentlich weiterkämpfen", sagt ihr Anwalt Wolfgang Sparrer. Doch die Chancen standen wohl von Anfang an schlecht. Eigentlich sollte am Freitag vor dem Traunsteiner Landgericht eine wichtige Frage entschieden werden: Wenn jemand auf mögliche Kindesmisshandlung in einer Familie hinweist, ist das üble Nachrede oder Zivilcourage?

Was darf man sagen, wenn Kindern möglicherweise Gewalt angetan wird? Die Handakte des Anwalts. (Foto: N/A)

Die Frage bleibt offen, die Parteien einigten sich ohne Gerichtsurteil. Frau Meier muss ein Bußgeld von 300 Euro zahlen, 150 gehen ans Rosenheimer Frauenhaus, 150 an den Kinderschutzbund.

In erster Instanz war die 59-Jährige Gemeindeangestellte, die ihren richtigen Namen nicht nennen möchte, wegen übler Nachrede verurteilt worden. Der Prozess vor dem Amtsgericht Rosenheim hatte im November großes Aufsehen erregt, denn die Geschichte ist verzwickt: Im Sommer 2010 wurde Frau Meier auf der Straße angesprochen. In einer Familie im Ort würde laut gestritten, die Kinder würden geschlagen, die ganze Straße wüsste davon, erzählte man ihr.

Die mehrfache Mutter und Großmutter hörte das nicht zum ersten Mal. Sie überlegte lange hin und her. Was war dran an den Vorwürfen? "Ich habe immer wieder gedacht, wenn den Kindern etwas passiert, mache ich mich mitschuldig", wiederholt sie vor Gericht ihre Beweggründe.

Zuerst fragte sie im Frauenhaus. Dort riet man ihr, sich an den Kindergarten zu wenden. Meier sprach mit einer Erzieherin. "Ich dachte, im Kindergarten kann man feststellen, wenn die Kinder vom Verhalten her auffällig sind", erklärt Meier. Die Erzieherin meldete den Fall dem Jugendamt. Als dieses die betroffene Familie besuchte, konnte es keine Missstände feststellen. Der Vater erstattete Anzeige gegen Unbekannt wegen falscher Beschuldigungen. Das Gericht entband die Erzieherin von ihrer Schweigepflicht. Sie musste ihre Quelle schließlich preisgeben, und Frau Meier wurde wegen übler Nachrede zu 1050 Euro verurteilt. Ihr Anwalt ging in Berufung, ebenso der Staatsanwalt, dem die Strafe zu gering war.

Ein Vorwurf war immer, dass Frau Meier den Zeugen nicht nennen wollte, der ihr von der mutmaßlichen Misshandlung erzählt hatte. Er hätte schließlich dem Jugendamt nützen können. "Wir leben in einem kleinen Dorf, viele schütten mir ihr Herz aus", erklärte die Gemeindemitarbeiterin, die sich auch um Soziales kümmert. "Wenn ich da etwas weitererzähle, bin ich gleich unten durch."

Wie schon in erster Instanz bot der Staatsanwalt vor dem Landgericht an, das Verfahren einzustellen und den Fall mit einem Bußgeld zu beenden. Dazu riet auch der Vorsitzende Richter Volker Ziegler.

Das Problem seien die widerstreitenden Interessen, der beschädigte Ruf des betroffenen Familienvaters und das Gefühl von Frau Meier, sie müsse etwas zum Wohle der Kinder unternehmen. "Der Zweck heiligt nicht alle Mittel", sagte der Richter. Und: "Gut gemeint ist nicht gut gemacht."

Sparrer und seine Mandantin hatten sich von einem Urteil viel erhofft. Sie wollten Klarheit darüber, was erlaubt ist und was nicht, wenn es um das Wohl von Kindern geht. Das Urteil im November hatten viele als Abschreckung für diejenigen kritisiert, die den Mut haben, zu helfen. "Die öffentliche Wirkung ist groß. Wenn das schiefgeht, dann ist das noch verheerender", sagt Sparrer. Wenn er wieder verloren hätte, hätte er dem Kinderschutz damit einen Bärendienst erwiesen. Der Anwalt möchte das Thema nun auf politischem Weg weiterverfolgen.

© SZ vom 28.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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