Was ist da los? Gibt's gar schon wieder eine Biergartenrevolution? Manche Münchner, die am Montagmittag am Odeonsplatz vorbeikamen, fühlten sich fast an die Ereignisse vor knapp 20 Jahren erinnert, als 25 000 auf die Straße gingen, um gegen eine frühere Sperrstunde für bayerische Biergärten zu demonstrieren. Diesmal waren es zwar nur gut 5000 Protestierer, aber die machten mit Topfschlagen und Sprechchören trotzdem ganz schön was her. "Gastfreundschaft statt Doku-Wahn" und "Wirtsstube statt Schreibstube" lauteten die Parolen, oder auch "Ich will jeden Sonntag arbeiten" und "Ich will kochen statt dokumentieren".
Es ging also um Arbeitszeiten und das Gesetz zum Mindestlohn, durch das sich die Gastro-Branche besonderen Belastungen ausgesetzt sieht. Deshalb hatte der bayerische Hotel- und Gaststättenverband Dehoga zur Demonstration "gegen Bürokratismus und Dokumentationswahn" aufgerufen, nach München zu kommen. Die seit 1. Januar vorgeschriebene Lohnhöhe von 8,50 Euro ist es freilich nicht, die das bayerische Gastgewerbe stört: Es geht den Hoteliers und Wirten vielmehr um die Pflicht, die geleistete Arbeitszeit minutiös Woche für Woche aufzulisten und gleichzeitig um die Arbeitszeitgrenzen nach dem schon viel länger geltenden Arbeitszeitgesetz, das maximal zehn Stunden Arbeit pro Tag festschreibt. "Wenn ich eine Hochzeit habe", so ein Wirt aus Freyung am Rande der Demo, "dann dauert die doch oft zwölf oder gar 14 Stunden - oder auch nicht. Ich müsste dafür also auf Verdacht neue Leute verpflichten, die nach zehn Stunden den Service übernehmen."
Ärger über "unerträgliches Maß" an Bürokratie
Aus allen Regierungsbezirken hatten die Regionalverbände der Dehoga Abordnungen entsandt, der Demonstrationszug bewegte sich vom Odeonsplatz über den Stachus bis zur Theresienwiese, wo am Nachmittag im Hippodrom-Festzelt des Münchner Frühlingsfest dann die Abschlusskundgebung stattfand, und zwar im Rahmen des alljährlichen "Gastro-Fühlings" der Dehoga, bei dem sich Unternehmer des Gastro-Gewerbes treffen.
Der Präsident des bayerischen Landesverbands, der Oberpfälzer Hotelier Ulrich N. Brandl, sprach in seiner gut 40-minütigen Rede vom "Hilferuf einer ganzen Branche". Das Gastgewerbe drohe unter der Last der Bürokratie zu zerbrechen, "die in diesem Land ein unerträgliches Maß angenommen hat". Er ärgere sich darüber, dass "unsere Branche das Lieblingsbeispiel für Negativentwicklungen schlechthin ist. Liegt das womöglich daran, dass man bei uns tatsächlich arbeiten muss und fürs Schlaudaherreden meist wenig Zeit bleibt?" Es gehe ja nicht nur um die penible Erfassung von Arbeitszeiten, sondern beispielsweise auch um Kennzeichnungen nach der Allergenverordnung und eine Fülle weiterer Aufzeichnungspflichten. In der Summe werde den Familienbetrieben, die vielerorts noch Gaststätten betreiben, das Überleben durch bürokratische Auflagen immer schwerer gemacht.
Das Lob vieler Politiker für den Mittelstand sei letztlich nur "ein absolut inhaltsloses Lippenbekenntnis". Kleinen und mittelständischen Familienbetrieben würde durch immer neue Gesetze und Vorgaben das Wasser abgegraben, erklärte Brandl unter dem Beifall des ganzen Bierzelts, die Politiker bestellten dadurch das Feld "für anonyme Großkonzerne" und schafften so "eine Struktur von Wirtschaft, der sie dann am Ende des Tages machtlos gegenüberstehen". Insbesondere Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) machte Brandl für wachsenden Bürokratismus und andere Fehlentwicklungen verantwortlich.
Wirtschaftsministerin Aigner unterstützt die Wirte
Das gefiel der bayerischen Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) "ganz gut", wie sie zu Beginn ihrer Rede zugab. Sie war zusammen mit Brandl unter den Klängen einer demonstrativ theatralischen Musik ins Hippodrom eingezogen, wie sie eigentlich eher zu Wladimir Klitschko beim Einzug vor dem nächsten Titelkampf passt. Auch Aigner ging mit der Arbeitsministerin hart ins Gericht und sprach von einem "Bürokratiemonster à la Nahles, das da auf den Weg gebracht wurde" und von "Regelungen, die nicht praktikabel sind". Das Grundproblem sei letztlich das Unternehmerbild, das es in der Berliner Koalition vereinzelt gebe: "Es ist geprägt von enormem Misstrauen gegen Sie als Unternehmer."
Aigner vermied es jedoch, irgendwelche konkreten Zusagen zu machen - insbesondere, was die zuvor von Brandl erhobene Forderung nach einem verminderten Mehrwertsteuersatz auch für Gaststätten betraf. Schon für den niedrigeren Mehrwertsteuersatz für Hotels habe die Politik "nicht gerade Begeisterungsstürme geerntet", sagte Aigner: "Wir werden trotzdem dafür kämpfen, dass es dabei bleibt." Der Applaus für diese Absichtserklärung fiel zurückhaltend aus.
Kein Verständnis für die Forderungen der bayerischen Wirte hat die zuständige Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten NGG. Ihr Landesbezirksvorsitzender Freddy Adjan erklärte am Montagmorgen bei einer kurzfristig angesetzten Pressekonferenz, die Dehoga wisse offenbar nicht, was in ihrem eigenen Tarifvertrag stehe. Der Manteltarifvertrag regle eindeutig, "dass in einem Dienstplanformular der Beginn und das Ende der täglichen Arbeitszeit für jeden einzelnen Mitarbeiter zu notieren ist". Mit seiner "populistischen Aktion" wolle der Verband Sonderregelungen erreichen. "In 90 Prozent aller Unternehmen in Deutschland ist die Aufzeichnung von Arbeitszeit Usus. Warum sollen das die Wirte und Hoteliers nicht können?", fragt Adjan und folgert: "Wer sich gegen diese Aufzeichnungspflicht sträubt, will sich nur die Möglichkeit offen lassen, zu betrügen."