Medizinische Versorgung:Klinisch krank

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In Bayerns Krankenhäusern arbeitet das Personal oft bis in an die Grenze der Leistungsfähigkeit. Wie den Kliniken zu helfen ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Einig sind sich alle: nicht mit einem von Berlin diktierten neuen Sparkurs!

Von Dietrich Mittler, Nürnberg

Günter Niklewski, der Ärztliche Direktor des Klinikums Nürnberg, ist einer der wenigen Optimisten in seiner Branche. Klar, sagt er, die gesetzlichen Bedingungen seien nicht optimal. Und ja, ein Krankenhaussterben sei vom Bundesgesetzgeber offenbar erwünscht. "Aber mit einem ordentlichen Management kann ein Haus auch Herausforderungen schultern", ist sich der 63-Jährige sicher. Zumindest die großen Häuser, wie etwa das Klinikum Nürnberg. Mit 2200 Betten ist es nach München das zweitgrößte kommunale Krankenhaus in Bayern. Aber einige kleine Häuser unter den mehr als 360 Kliniken in Bayern dürften dem Wettbewerb nun zum Opfer fallen - und das sei nicht einmal deren Schuld, sagt Niklewski. "Es gibt da kritische Größen, Geburtshilfe für 400 Fälle im Jahr, das geht gar nicht." Eine Hürde bildeten hier nicht nur die hohen Versicherungsprämien. Durch zu geringe Fallzahlen könne mitunter auch "gefährliche Medizin" drohen, sprich kritische Situationen, die durch mangelnde Praxis entstehen.

Günter Niklewski, der Ärztliche Direktor des Klinikums Nürnberg, geht davon aus, dass sich Krankenhäuser auf harte Zeiten einrichten müssen. (Foto: Peter Roggenthin)

Günter Niklewski weiß, das sind Aussagen, die ihm etliche Kollegen, aber auch Kommunalpolitiker in Bayern verübeln werden, weil Geburtsstationen ihr Überleben bisweilen auch dem Lokalpatriotismus verdanken. Doch der Nürnberger Chefarzt ist gestählt durch das zähe Ringen um Reformen im eigenen Haus - sei es um einen flexibleren Personaleinsatz, sei es, die medizinischen Sachkosten zu überdenken. "Kleinvieh macht unglaublich viel Mist", sagt Niklewski. Mit den gesparten Beträgen ließen sich wieder Stellen finanzieren.

Die Stationsschwester

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Landshut - In der Woche zuvor hätte Karolina Steinbauer wohl nicht eine Minute Zeit gehabt, über ihren Beruf als Stationsschwester auf der Onkologischen Abteilung des Klinikums Landshut zu sprechen: Gleich vier Patienten waren ihrem Krebsleiden erlegen. Zwei von ihnen kannte Steinbauer schon seit langem. Schwester Karolina, so wird die 49-Jährige auf Station gerufen, nimmt sich die Zeit, mit den Trauernden zu reden. Zeit, die sie später mit routinierten Handgriffen und, sobald sie aus den Patientenzimmern tritt, mit hastigen Schritten reinholen muss. "Alles wird schnelllebiger", sagt sie. Das heißt: Untersuchungen werden rascher durchgezogen, Patienten schneller entlassen. Um sechs Uhr begann Steinbauers Dienst - Stationsübergabe und die Visite liegen hinter ihr. In Windeseile erfasst sie nun Patientendaten. "Jetzt brennt's langsam schon", sagt sie - all die Aufgaben im Sinn, die noch auf sie warten: Dazu zählt nicht zuletzt die Grundpflege, die vom Waschen über das Absaugen der oberen Atemwege bis hin zum Überprüfen der Infusionen je nach Patient mehr als eine Stunde dauern kann. Draußen auf dem Gang wird ihr Schritt wieder hastig. "Heute ist noch ein ruhiger Tag", sagt Schwester Karolina.

Der Assistenzarzt

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Nürnberg - Assistenzarzt Fahed Husri ist Herzchirurg aus Leidenschaft. Und er weiß, dass er für eine Karriere in dieser Fachrichtung Opfer bringen muss. "Wenn man mehr Freizeit haben will, geht man in andere Fächer", sagt er. Seit einigen Monaten ist er im Klinikum Nürnberg tätig, zuvor war er gut fünf Jahre lang als junger Arzt in Erlangen beschäftigt. Grundsätzlich wird in Schichten gearbeitet. "Von 7.30 bis 20 Uhr als Stationsarzt, das ist einer der schwersten Dienste von der Arbeitsverdichtung her", sagt er. Immer wieder müssen rasch Entscheidungen fallen, etwa, ob ein Patienten ans Beatmungsgerät angeschlossen werden muss. OPs, die bis zu neun Stunden dauern können, empfindet Husri indes eher als willkommene Herausforderung. Mühseliger seien bürokratische Pflichtaufgaben: wie Entlassungsbriefe diktieren, Reha-Anträge ausfüllen, neue Patienten aufnehmen - und dabei immer für Notfälle einsatzbereit zu sein. "Massen an Anträgen", sagt er, "das bleibt alles am Arzt hängen." Viele schrecke das mittlerweile ab, "als Arzt in einer Klinik zu arbeiten". Weniger die vielen Überstunden. Die Visite sei im Grunde der einzige Kontakt mit dem Patienten, bei dem man kurz ins Gespräch komme. Einmal am Tag.

Der Geschäftsführer

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Rosenheim - Günther Pfaffeneder, Hauptgeschäftsführer der RoMed Kliniken mit Sitz in Rosenheim, kennt die Krankenhaus-Branche aus 38 Berufsjahren. "Für alle Beteiligten ist es schwieriger geworden", sagt er. Die zunehmende Bürokratisierung des Gesundheitswesens sorge dafür, "dass die Zeit für Aufgaben am Schreibtisch mehr und für die Arbeit am Patienten weniger wird". Das gelte gleichermaßen für Ärzte und Pflegekräfte. Noch arbeiten seine vier Häuser in Rosenheim, Bad Aibling, Wasserburg am Inn und Prien am Chiemsee "insgesamt kostendeckend". Berlin plane nun aber eine Krankenhausreform, "bei der außen Hilfe draufsteht, und innen auf uns hauptsächlich Belastungen warten". Vergessen sei wohl schon die letzte Grippewelle im Februar. "Da mussten wir die Patienten quer über die Landkreise verfrachten, weil wir kein freies Bett für sie hatten", sagt Pfaffeneder. Wenn inzwischen mehr als 50 Prozent der Kliniken defizitär seien, dann sei das "kein Manager-, sondern ein Systemversagen". Als einzige Konsequenz blieben Personalabbau und Arbeitsverdichtung. "Es geht ja gar nicht anders, um das Überleben zu sichern", glaubt Pfaffeneder. Dabei weiß er: "Das Personal arbeitet jetzt schon überwiegend am Anschlag."

Der Angehörige

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München - Michael Danhardt, selbständiger Lektor in München, hat harte Zeiten hinter sich: Im März 2013 hatte seine Mutter zwei Schlaganfälle. Seitdem ist sie halbseitig gelähmt, geistig aber klar. Anfang 2015, kurz vor Beginn ihrer Reha, wurde sie "enorm unruhig". Unmittelbar vor Eintreffen der Rettungskräfte hatte sie einen Herzstillstand, wurde reanimiert und in ein Münchner Krankenhaus gebracht. Die Blutwerte waren so schlecht, dass der Arzt meinte, die 70-Jährige werde in kurzer Zeit sterben. Das verabreichte Medikament erbrach sie. Daraufhin wurde ein anderes Mittel gespritzt, die Schmerzen hörten nicht auf. " Wir hatten nie das Gefühl, dass sich ein Arzt umfassend und dauerhaft um meine Mutter kümmerte", sagt Danhardt. Als sie immer weniger Luft zum Atmen bekam, intervenierte er - ihr Glück. Die Menge des zugeführten Sauerstoffs wurde erhöht. Was Danhardt ärgert: "Das Personal ist trotz schriftlicher Anweisung an einigen Zimmertüren ohne Quarantäne-Schutz zu Patienten gegangen. Hier ist Zeitmangel als Grund zu nennen." Die Mutter wurde schließlich aus der Klinik entlassen. "Offensichtlich hatte sie noch eine Lungenentzündung", sagt ihr Sohn. Die Antibiotika musste wiederum er ihr besorgen.

Der Landrat

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Kelheim - "Es bleibt den Schwestern kaum mehr Zeit, sich mal an ein Patientenbett zu setzen, um dort ein Kind zu trösten oder einen älteren Menschen zu beruhigen, denn der nächste Patient wartet schon", sagt der Kelheimer Landrat Hubert Faltermeier (Freie Wähler). Der Leistungsdruck in Krankenhäusern sei immens. Eines kann er nicht mehr hören: Kliniken seien das liebste Prestigeobjekt von Lokalpolitikern, daher unterblieben notwendige Reformen. "Dass wir in Kreiskliniken Basismedizin vorhalten, hat nichts mit überzogenem Selbstwertgefühl zu tun - etwa im Sinne von mein Auto, mein Krankenhaus, mein sonst noch was", sagt er. Die Wohnortnähe der Klinik sei für die Bevölkerung "ein Sicherheitsfaktor". Auch seien immer mehr alte Menschen auf dem Land auf ein Krankenhaus in ihrer Nähe angewiesen. Der Kreis Kelheim betreibt mit der Goldberg-Klinik ein Haus in Eigenregie. Ein kleineres in Mainburg teilt er sich mit dem Kreis Pfaffenhofen an der Ilm, um Geld zu sparen. Dennoch sei die Vorhaltung an Ärzten und Geräten teuer. Beide Häuser sind defizitär. Faltermeier befürchtet neuerliche Sparbemühungen der Bundesregierung. "Es fragt sich, ob das zum Wohle der Patienten ist", sagt er. Alle Texte: Dietrich Mittler

Um das eigene Haus immer wieder für den Wettbewerb zu trimmen, nimmt der 63-Jährige eine Rolle in Kauf, die andere vielleicht scheuen würden: "Man muss da dauernd der Nörgler sein, der sagt, dass es doch vielleicht auch anders geht." Personalabbau sei aber immer die letzte Schraube, an der ein Krankenhaus drehen dürfe. Doch auch das müsse man feststellen: "Viele Prozesse im Gesundheitswesen laufen nicht optimal, wir schleppen noch viel Ballast mit uns herum." Dazu gehöre etwa, dass in Kliniken das Wochenende Tabu sei. "Wir haben einen Riesenapparat, der am Samstag und Sonntag kaum genutzt wird, eine irrwitzige Infrastruktur, die nur an fünf Tagen richtig läuft", sagt Niklewski. Kritiker, die der Branche vorwerfen, aus finanziellen Gründen vielfach auch dann Patienten zu operieren, wenn dies medizinisch nicht unbedingt geboten ist, nimmt Niklewski durchaus ernst. "Sauberste Indikationsstellung, das ist etwas, was auch ich einfordere", sagt er. Als Beispiel führt er die gestiegene Zahl von minimal invasiven Herzklappenoperationen an. "Die Leistung ist in manchen Häusern explodiert. Und da sage auch ich: Da ist nicht genau hingeschaut worden", sagt er. Als ärztlicher Direktor überprüfe er deshalb schon auch mal den Blutverbrauch in einzelnen Abteilungen, zudem habe er die Altersstruktur von Patienten bei bestimmten Eingriffen streng im Blick. "Da müssen wir immer seriös bleiben und notfalls auch gegensteuern", ist seine Fazit. Angesichts sich verschärfender Rahmenbedingungen müssten Kliniken verstärkt darauf achten, ihre Arbeitsprozesse zu optimieren. "Nur so bleibt man am Ball", sagt Niklewski.

© SZ vom 23.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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