Urteil um HIV-Infektion:Wenn aus Liebe Hass wird

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Zwei Jahre waren sie ein glückliches Paar - bis einer feststellte, dass er von seinem Partner mit HIV infiziert wurde. Nun hat ihm ein Gericht 75.000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen.

Stefan Mayr

Zwei Jahre lang waren Peter G. und Thomas P. (beide Namen geändert) ein glückliches Paar. "Er war wie ein Vater zu mir", sagt Peter G., "er war sehr liebevoll und hat sogar versprochen, dass er meiner Mutter eine neue Niere organisiert."

Aus der Liebe ist inzwischen Hass geworden. "Thomas ist sehr, sehr teuflisch", sagte Peter G. am Mittwoch im Sitzungssaal 281 des Augsburger Justizpalastes. "Er hat mich angelogen, mich mit HIV angesteckt und mein Leben zerstört." Peter G. forderte von seinem Ex-Liebhaber 200.000 Euro Schmerzensgeld.

Für die 2. Zivilkammer des Landgerichts Augsburg war es eine doppelt ungewöhnliche Klage. Erstens wegen der dramatischen Lebenssituation des 31-jährigen Klägers, zweitens weil es zu einer mutwilligen HIV-Ansteckung in einer homosexuellen Beziehung noch keine Rechtssprechung über Schmerzensgeld gibt.

Strafrechtlich ist die Angelegenheit längst geklärt: Das Amtsgericht München verurteilte Thomas P. im Juli 2010 wegen vorsätzlicher gefährlicher Körperverletzung zu einer 15-monatigen Haftstrafe auf Bewährung. Der Angeklagte hatte gestanden, dass er mit seinem Freund ungeschützten Geschlechtsverkehr hatte, obwohl er wusste, dass er HIV-positiv war. Die ausdrückliche Frage seines Partners, ob er vom HI-Virus infiziert sei, hatte Thomas P. stets mit Nein beantwortet.

"Er hat mich systematisch angesteckt und zugesehen, wie ich krank wurde", berichtete Peter G. mit stotternder Stimme im Gerichtssaal. "Ich habe ihm vertraut, er hat immer gesund ausgesehen, ich hätte nie gedacht, dass er krank ist." War er aber. Und er steckte Peter G. an. Seitdem Peter G. weiß, dass er HIV-positiv ist, hat sich sein Leben radikal verändert. "Meine Mutter und meine Schwester reden nicht mehr mit mir, ich darf meine Nichte nicht mehr berühren."

Er ist zu 70 Prozent schwerbehindert, hat seinen Arbeitsplatz verloren und braucht ständige ärztliche Behandlung. Er lebt von 700 Euro Rente monatlich und von Zuwendungen durch das Opferentschädigungsgesetz. "Ich bin immer erkältet, habe Rückenschmerzen und keine Kraft mehr im Körper." Er leide unter Schlafstörungen und Panikattacken, sei bereits sechs Wochen lang in stationärer psychiatrischer Behandlung gewesen. Freunde und Bekannte habe er kaum mehr. Seine einzige Bezugsperson sei der Psychiater, der ihm zweimal die Woche Trost spende.

Dennoch habe er immer wieder Selbstmordgedanken. Zu einem Treffen mit seinem ehemaligen Partner vor Gericht kam es nicht. Thomas P. war zu dem Prozesstermin nicht erschienen. Offenbar hat das Virus auch seine Gesundheit angegriffen, er ließ sich mit einem ärztlichen Attest entschuldigen. "Ihm geht es miserabel", sagte sein Anwalt Jürgen Leske, "zuletzt konnte er nicht mehr in die Kanzlei kommen."

Thomas P. sei aber "moralisch sehr daran interessiert zu helfen". Allerdings gibt es bei aller Einsicht und Hilfsbereitschaft ein Problem: Der geständige Täter ist mittellos, er hat Privatinsolvenz angemeldet. Sein Opfer Peter G. kommentierte diese Tatsache trocken: "Er tut nur so, er hat schon viele Leute reingelegt." Thomas P.s Anwalt beteuerte hingegen, sein Mandant sei entschlossen, sich wieder hochzuarbeiten und das Schmerzensgeld zu zahlen, sobald er wieder zu Geld komme.

Das Gericht legte den Parteien - ungeachtet der Zahlungsunfähigkeit des Beklagten - ein Vergleichsangebot vor. Die Parteien einigten sich auf 75 000 Euro Schmerzensgeld und Schadensersatz. Zusätzlich wird der Beklagte verpflichtet, auch weitere künftige "materielle Schäden" seines Opfers zu tragen - zum Beispiel, wenn die Krankheit noch akuter ausbricht und weitere kostspielige Behandlungen erfordert.

Der Augsburger Vergleich orientierte sich an einem Urteil des Landgerichts Berlin aus dem Jahr 2008. Damals wurde ein Mann zur Zahlung eines Schmerzensgelds von 80 000 Euro sowie einer monatlichen Rente von 500 Euro verurteilt. Er hatte zuvor mit mehreren Frauen ungeschützten Sex, obwohl er wusste, dass er HIV-positiv war. Peter G. willigte in die Einigung ein, betonte dabei aber, dass sie eigentlich viel zu niedrig sei: "Auch mit zwei Millionen werde ich meine Gesundheit nicht mehr zurückkriegen."

© SZ vom 17.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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