Letzte Plenarsitzung vor der Sommerpause:Jetzt aber mal die Krawatte lockern

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Ministerpräsident Seehofer flirtet wieder mit der FDP, die SPD macht die Nacht zum Tag, und nur die Grünen stänkern: Beobachtungen von der letzten Plenarsitzung des Landtags. Nach der Sommerpause ist es vorbei mit der Betulichkeit.

Frank Müller und Mike Szymanski

Und es war Sommer. Einmal noch hasten, schlendern, plaudern sich die Seehofers, die Rinderspachers, die Zeils, Bauses und Aiwangers durch die Gänge und Säle des Bayerischen Landtags. Es ist der letzte Sitzungstag im Landtag vor den Sommerferien, und es sind die letzten richtigen Sommerferien vor der Wahl. Die findet zwar erst im September 2013 statt, aber der Sommer des nächsten Jahres wird ein Großkampf. Darauf haben sich alle Beteiligten schon längst eingestellt. Wer jetzt also keinen Urlaub macht, der macht so schnell keinen mehr.

Zufrieden mit sich und der Welt: Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) sitzt am Mittwoch im Maximilianeum während der 107. Plenarsitzung des Landtags. Das Parlament befasste sich in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause mit der geplanten Klage des Freistaats gegen den Länderfinanzausgleich. (Foto: dapd)

Seit Wochen ist es schwül, mal gewittrig, mal heiß. Es gibt die übliche Hektik, man schwirrt vom Sommerfest zu Sommerfest, Tagesordnungen müssen noch abgearbeitet und Gesetze auf den Weg gebracht werden. In anderen Zeiten hätte sich diese Stimmung vielleicht in einem anständigen Sommerkrach entladen, in einer deftigen Koalitionskrise.

Diesmal ist das nicht so. Martin Zeil steht draußen auf der Landtagsterrasse in der Sonne. Die letzten Wochen waren gut für den FDP-Wirtschaftsminister. Seehofer hat die Liberalen wie einen ernst zu nehmenden Partner behandelt, was in den vergangenen Jahren wirklich nicht immer der Fall war.

Vor einem Jahr hatten sich CSU und FDP noch einen heftigen Krach geleistet, bevor die Fraktionen in die Sommerpause starteten. Alle waren froh, als der letzte Plenartag vorbei war. Höchste Zeit zum Abkühlen, fanden viele. Seehofer und Zeil hatten sich um den richtigen Zeitpunkt für den endgültigen Atomausstieg so heftig zerstritten, dass zwischenzeitlich mal Funkstille herrschte. Es war nicht so, dass man das Gefühl hatte, CSU und FDP gehörten wirklich zusammen.

Jetzt begrüßt Seehofer die FDP-Abgeordneten im höflicheren Ton als seine CSU-Minister. FDP-Expertin Renate Will umgarnt er regelrecht, damit sie sich mal zum Ministerpräsidenten herstellt. Seinen Innenminister Joachim Herrmann hatte er neulich noch herzitiert. Nun sagt Zeil: "Seehofer stimmt sich ab, er ruft an, es läuft höchst professionell und wirklich gut im Moment. Seehofer ist sehr stabil." Stabil also. Das sagt einer, der erlebt hat, wie schnell die Stimmung bei diesem Mann umschlagen kann.

Die größtmögliche Unstimmigkeit zwischen CSU und FDP entzündet sich an einer skurrilen Kleiderfrage. Am Vorabend waren Minister und Abgeordnete beim traditionellen Sommerfest von Landtagspräsidentin Barbara Stamm auf Schloss Schleißheim. 2011 war Seehofer dort ohne Krawatte aufgetreten, das war der Auftakt für viele aufreizend lässige Aktionen des Ministerpräsidenten.

Danach ging es los mit Facebook-Partys und Alles-Senden-Interviews. Es ist wiederum eine Spaß-Aktion, mit der sich der Kreis schließt: Seehofers Kabinett beschließt vor dem Empfang, diesmal herrsche Krawattenzwang. Nur einer versteht das falsch: Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch (FDP) läuft ohne Krawatte in Schleißheim ein und hört noch auf dem Weg dorthin im Radio, wie der Beschluss richtig lautete. Doch da ist es zu spät, Heubisch trägt den Kragen offen.

Das Kabinett hatte schon größere Probleme mit der Disziplin. Auch zwischen Seehofer und Ude, die in Schleißheim aufeinandertreffen, herrscht an diesem Abend friedliche Koexistenz und freundliches wechselseitiges Ignorieren. Als um Mitternacht SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher mit einer fröhlichen SPD-Runde in seinen 43. Geburtstag hineinfeiert, sind beide längst schon weg.

Viele sind am Mittwochvormittag übernächtigt, doch in Seehofers Augen blitzt es schon wieder. In ihm arbeitet die immer aktive Maschine schon an den nächsten Themen, er spielt derweil den Unterforderten, als er mit den Journalisten im Steinernen Saal herumsteht.

Ein Tag ohne Knaller und größere Provokationen steht bevor: "Ich seh' schon, heute ist Mittwoch oder?", frotzelt der Regierungschef. "Meistens so ein Durchhängertag." In den letzten Monaten waren Durchhängertage bei Horst Seehofer jedoch nur Täler, aus denen er sich zu immer neuen Überfliegeraktionen aufraffte - ein fast schon täglichen Wechsel aus Attacke und Laissez-faire. An diesem letzten Plenumstag ist der Seehofersche Biorhythmus eher in der Talsohle.

Dabei ist Seehofers letzte Großdrohung, der Beschluss zur Klage gegen den Länderfinanzausgleich im Kabinett, noch nicht einmal 24 Stunden alt. Im Plenum gibt es darüber noch einmal eine Debatte, die CSU will die Opposition zum Schwur zwingen, ob sie nun die Klage mitträgt als "Ultima Ratio", wie es SPD-Spitzenkandidat Christian Ude angekündigt hatte.

Zu einer Frage des bayerischen Patriotismus wolle er den Streit hochziehen, hatte Seehofer angekündigt. Das weckt Emotionen. Der Grünen-Abgeordnete Eike Hallitzky vergreift sich im Ton, als er einen Slogan aufgreift, mit dem Finanzminister Markus Söder (CSU) die Klage begründet hatte. "Wir sind doch nicht blöd", hatte Söder gesagt. "Sie sind unsolidarisch und blöd sind sie auch noch", sagt Hallitzky an Söders Adresse.

Nur: Söder kann den Anwurf gar nicht hören. Die Reihen im Plenum sind gelichtet, die Regierungsbank ist fast leer. Seehofer jedoch sitzt da, fast allein, hält das Kinn in die offene linke Hand geneigt und hört zu. Das macht er oft, es sieht zumindest so aus, als ob der Regierungschef echtes Interesse an den Debatten hätte.

Nur für Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger läuft es nicht so gut. Er humpelt aus dem Landtag, nachdem er sich beim Fußball schwer verletzt hat. Sein Unterschenkel liegt in einer festen Schiene. Aiwanger sagt, schlimmer wäre es, wenn er auf den Mund gefallen wäre.

© SZ vom 19.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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