Landespolitik:Das revolutionäre Ressort

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Die Aufnahme zeigt Bayerns ersten Sozialminister Hans Unterleitner (vorne rechts) mit dem damaligen Ministerpräsidenten Kurt Eisner und dessen Frau. (Foto: akg-images)

Angesichts des Nachkriegselends gründete die bayerische Regierung erstmals ein "Ministerium für Soziale Fürsorge"

Von Dietrich Mittler, München

Die allerletzten Vorbereitungen laufen noch, aber klar ist bereits jetzt: Am Montag, Punkt 18 Uhr, beginnt im Erdgeschoss des Sozialministeriums die Jubiläumsveranstaltung mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder als Festredner - Rückblick auf "100 Jahre Bayerisches Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales", wie ein Kurzfilm betitelt ist, der zu diesem Anlass gezeigt wird. Sozialministerin Kerstin Schreyer (CSU) hat sich für die Eröffnung schon einige Worte zurechtgelegt, die diesem "großartigen Jubiläum" gerecht werden sollen, fokussiert auf die Botschaft: "Dieses Haus hat wichtige sozial- und familienpolitische Meilensteine geschaffen."

Tatsächlich ist die Geschichte dieses Ministeriums wesentlich geprägt von Menschen, die sich für das Wohl ihrer Mitbürger eingesetzt haben und die politisch Weichen gestellt haben. Sei es in der Frage der Rechte der Arbeiterschaft, sei es bezüglich der Inklusion von Menschen mit Behinderung, sei es im Kampf um eine wirkliche Gleichberechtigung der Frau, der - was insbesondere die Arbeitswelt betrifft - immer noch andauert.

Es ist aber auch eine Geschichte, geprägt von dramatischen Brüchen und geradezu traumatischen Anfangstagen. Im November 1918 hatte der Erste Weltkrieg nach mörderischen Schlachten sein Ende gefunden. Tausende Soldaten kehrten desillusioniert von der Front zurück in ihre bayerische Heimat, in der eine Revolution die Monarchie weggefegt hatte und in der kriegsbedingt viele Menschen in blanker Not lebten. Da meldeten am 15. November 1918 die Münchner Neueste Nachrichten, die Regierung des Volksstaates Bayern habe "ein Ministerium für Soziale Angelegenheiten gegründet". Offiziell erhält das am 14. November geschaffene Ministerium den Namen "Ministerium für Soziale Fürsorge". Es ist nur eines der drei sogenannten Revolutionsministerien: Schon wenige Monate, nachdem der Vorläufer des heutigen Sozialministeriums seine Geschäfte aufnahm, wurde am 1. April 1919 das Ministerium für Landwirtschaft sowie zwei Tage später das Ministerium für Handel, Industrie und Gewerbe gegründet.

Hans Unterleitner, Bayerns erster Sozialminister, ist heute nur noch Historikern ein Begriff. Offiziell erinnert so gut wie nichts mehr an ihn. In der nun zum Jubiläum präsentierten Festschrift findet sich nicht einmal ein Foto von ihm. Unterleitner war der Schwiegersohn von Kurt Eisner (USPD), der am 8. November 1918 Bayern als "Freistaat" proklamiert und bald darauf als neuer Ministerpräsident die Geschäfte übernommen hatte.

Unterleitner - zu dieser Zeit ebenfalls USPD - war Eisner eng verbunden, nicht nur familiär, sondern auch durch seine revolutionär-sozialistischen Ansichten. Der Historiker Josef Anker schildert den gelernten Schlosser und späteren Metallarbeiter als einen Mann, "dem jegliche Verwaltungserfahrung fehlte". Und: "Ohne eigenen Haushalt glich seine Stellung im Kabinett der eines Ministers ohne Portefeuille." Ganz zu schweigen, dass ihm nicht der nötige behördliche Unterbau zur Verfügung stand. Unterleitners weiteres Schicksal ist ein Spiegel der Entwicklung, die Deutschland und damit auch Bayern ins Unheil führte. Nach der Ermordung Eisners blieb er Sozialminister in der kurzlebigen Regierung von Martin Segitz (SPD), dann aber überwarf er sich Anfang April 1919 mit dem auf Segitz folgenden Johannes Hoffmann (SPD). Unterleitner - seit 1922 wieder SPD-Mitglied - wurde Reichstagsabgeordneter. Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten wurde er Ende Juni 1933 verhaftet, im KZ Dachau schwer misshandelt. Nach der Entlassung 1935 konnte er in die Schweiz flüchten und sich schließlich in die USA absetzen. Nach Deutschland zog ihn nichts mehr zurück. Er starb 1971 in New York.

Das Ministerium, das mit ihm seinen Anfang genommen hatte, war bereits 1928 von der Regierung des damaligen Ministerpräsidenten Heinrich Held (BVP) aufgelöst worden. Aus Ersparnisgründen. Dabei hatte dieses - insbesondere unter Unterleitners Nachfolgern - zur Bekämpfung der Armut Unglaubliches geleistet, wie Josef Anker schreibt. Etwa bezuschusste es sogenannte Notstandsprojekte, dazu gehörte "der Bau des Walchenseekraftwerks".

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg - Bayern lag erneut am Boden - wurde wieder ein Sozialministerium geschaffen. Auch deren Minister und Ministerinnen standen immer wieder vor großen Herausforderungen. Nach dem Wiederaufbau änderten sich deren Aufgabenstellungen. Heute geht es insbesondere darum, Arbeitswelt und Familie modern und gerecht zu ordnen und Menschen zu helfen, die nach den Worten der jetzigen Sozialministerin Kerstin Schreyer "nicht auf der Sonnenseite des Lebens" stehen.

© SZ vom 02.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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