Kriminalistik:Wie Morde nach langer Zeit noch aufgeklärt werden können

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Etwa 30 Jahre nachdem eine Frau vergewaltigt und fast ermordet wurde, konnte die Polizei den Täter überführen - dank moderner Erbgutanalysen. Doch das Verfahren ist kompliziert.

Von Vinzent-Vitus Leitgeb

Phantombilder in Zeitungen, Flugblätter, 5000 Mark Belohnung für Hinweise: Die Polizei Aschaffenburg hatte 1988 alles versucht, um den Täter zu fassen. Ein Unbekannter hatte eine junge Frau stundenlang vergewaltigt, mehrmals auf sie eingestochen und sie dann - tot geglaubt - in einem Waldstück verscharrt. Die Frau schleppte sich zurück zu einer Straße und überlebte, eine Großfahndung wurde eingeleitet. Doch erst vor eineinhalb Wochen, fast dreißig Jahre nach der Tat, konnte die Polizei einen Verdächtigen festnehmen.

Neu ausgewertete DNA-Spuren haben das ermöglicht. Michael Zimmer von der Polizei Aschaffenburg sagte, so einen Fall zu klären, sei etwas ganz Besonderes. Und tatsächlich kommt es nicht häufig vor, dass jahrzehntealte Kriminalfälle über DNA-Analysen doch noch gelöst werden. Seit 2001 arbeitet das bayerische Landeskriminalamt (LKA) mit dieser Mikrospurenmethode. Laut Wolfgang Voll, Leiter der Abteilung DNA-Analytik, wurden seither nur 20 Altfälle mit neuer Technik analysiert. Die Arbeit ist teuer und zeitintensiv. Ob ein Täter ermittelt werden kann, hängt nicht nur von Laborergebnissen ab.

Aschaffenburg
:Polizei nimmt Tatverdächtigen fast 30 Jahre nach Mordversuch fest

Der heute 55-Jährige gesteht, im Januar 1988 eine Frau vergewaltigt zu haben - nicht aber, dass er sie in einem Waldstück in Aschaffenburg verscharrt hat, wie ihm zur Last gelegt wird.

Der Fall aus Aschaffenburg wurde im Januar 2015 wiedereröffnet. Mehrere Beamte gingen nochmals systematisch durch die Akten. Schließlich wurde das LKA eingeschaltet, das die Spuren erstmals auf DNA untersuchte. Vier Monate dauerte die Auswertung der Beweisstücke. In vielen Altfällen handelt es sich hierbei neben Kleidungsstücken oder Tatwaffen vor allem um Klebestreifen. Die sind zwischen 20 und 30 Zentimeter lang. Die Ermittler klebten damit früher zum Beispiel den Körper eines Opfers oder einen Gegenstand am Tatort ab. So wollten sie einzelne Fasern sichern, die womöglich Rückschlüsse auf den Täter zuließen. Etwa über ein Kleidungsstück.

Dass darin genauso DNA-Spuren enthalten sind, die heute ganz neue Möglichkeiten eröffnen, war vor 1990 noch nicht bekannt. Am LKA baute Wolfgang Voll 2001 ein Labor zu deren Untersuchung auf. Von 15 Mitarbeitern sind die meisten mit aktuellen Fällen beschäftigt. Den Großteil der Altfälle bearbeitete er bislang selbst. Aus Erfahrung wisse er, dass Klebefolien bei Altfällen die aussichtsreichsten Spuren liefern. Und selbst, wenn noch eine Tatwaffe aufbewahrt wurde und daran keine offensichtliche Spur gefunden werde, greife er noch heute zum Klebeband, um mögliche menschliche Spuren zu sichern.

Die Klebebänder werden dann zuerst unter dem Mikroskop auf Hautpartikel oder andere Spuren untersucht. Bringen die einzelnen Partikel keine DNA-Ergebnisse, wird es schnell kompliziert. Das Klebeband muss dann in kleine Stücke zerteilt werden, keines größer als zehn Millimeter. Jedes einzelne Stück wird weiter auf DNA-Gehalt getestet. Laut Voll brauche es dann Hunderte, wenn nicht Tausende Tests. Eine technische Assistentin führe diese im Labor durch. Um die Arbeit möglichst effektiv zu gestalten, versuche der zuständige Sachbearbeiter schon davor, mit Hilfe der Ermittlungsergebnisse sinnvolle Beweisstücke für jene Untersuchungen auszuwählen. Wurde das Opfer gefesselt, könne man beispielsweise zuerst an den Ärmeln der Kleidung nach Spuren suchen - sofern diese überhaupt noch vorhanden ist.

2008 ist in Schwabach so ein viel beachteter Durchbruch geglückt. Eine 86-Jährige wurde dort 32 Jahre zuvor vergewaltigt und erwürgt. Die Spuren führten direkt zu einem 45-jährigen Mann. Ihm konnte allerdings nichts nachgewiesen werden. Wie viele Altfälle wurde auch dieser Jahre später routinemäßig wiedereröffnet. Weil der Tatbestand des Mordes nie verjährt, waren die Beweise aufbewahrt worden. Aus der Kleidung der Rentnerin konnte schließlich eine DNA-Probe des Täters gewonnen werden. Sie stammte von dem schon 1977 verdächtigten Mann.

Die Lösung des Falls war ein Erfolg, doch hatten die Ermittler doppeltes Glück: zum einen dank der Qualität der alten Spuren. Zum anderen, weil die DNA des Täters bereits wegen weiterer Straftaten in der Datenbank am LKA registriert war. Diese umfasst in Bayern derzeit rund 205 000 Personenprofile. Bundesweit stellt der Freistaat damit 20 Prozent aller Datensätze zur Verfügung. Fehlen solche Treffer, verlaufen sich einige Altfälle auch leicht wieder. Die Polizei ist dann auf neue Speichelproben von Verdächtigen angewiesen.

Die Ermittlungen in Altfällen ist immer eine Kostenfrage

So wie beim Mord an der Irin Sharon H. Sie wurde 1990 in Würzburg erstochen. Jahre später griff Hauptkommissar Karl Eberhard auf DNA-Analysen zurück. Er fand aber trotz klarer Spuren auf der Hose des Opfers keinen Täter. Bei keinem der registrierten Verdächtigen gab es einen Treffer. Einige andere waren nicht mehr aufzufinden, da Eberhard vor allem im Kreis von US-Soldaten ermittelte, die 1990 in Würzburg stationiert waren. Er kooperierte sogar mit US-Behörden, doch blieb ein Erfolg aus.

Letztlich ist die Fortführung solcher Ermittlungen in Altfällen immer auch eine Kostenfrage. Alleine für die DNA-Untersuchungen fallen schnell Beträge von 100 000 Euro und mehr an, sagt Wolfgang Voll. In erster Linie, weil es länger dauert, Spuren zu finden. Oft müssen Experten geholt werden, die etwa dabei anleiten, eine Schusswaffe auseinanderzubauen, bevor die Einzelteile analysiert werden können. Externe Labore haben solche Möglichkeiten nicht immer. Deshalb werden dort vermehrt solche Verbrechen untersucht, die häufiger vorkommen und routinierter bearbeitet werden können. Etwa wenn es um die Auswertung von Massenspeichelproben geht, wie bei einem aktuellen Vergewaltigungsfall in Rosenheim, wo 800 Männer ihre DNA abgeben mussten. Ihre Proben kommen in solchen Fällen auch nicht in die allgemeine DNA-Datenbank, sondern werden nur für den jeweiligen Fall gespeichert und später wieder gelöscht.

Sicherheit sei gerade beim Thema DNA-Analyse wichtig, sagt auch Voll. Viele Menschen haben Angst, unschuldig verdächtigt zu werden. Am LKA gelte deshalb ein Vier-Augen-Prinzip bei Ergebnissen. Gibt es später einen Datenbank-Treffer, komme es zu einem zweiten Labortest. "Danach gibt es auch nicht direkt den Haftbefehl", sagt Voll. "Der DNA-Treffer ist nur der Anstoß für weitere Ermittlungen." Weitere technische Entwicklungen sollen die Sicherheit außerdem erhöhen. Künftig soll festgestellt werden, aus welchem Gewebe die DNA gewonnen wurde: Aus Sperma, Speichel oder Haut? Das letzte könnte noch eher zufällig auf das Opfer kommen, das erste eher nicht.

© SZ vom 04.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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