Irsee:Kritisches Wohlwollen

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SPD-Chef Martin Schulz zu Gast bei der Landtagsfraktion seiner Partei

Von Lisa Schnell, Irsee

Es ist kalt, als Martin Schulz bei der Fraktionsklausur der SPD in Kloster Irsee einläuft. Die Treppen sind vereist, ein Mitarbeiter streut noch schnell kleine Steinchen. Schulz meistert die Stufen in seinen glatten Anzugschuhen ohne Probleme und trotzdem wünscht ihm noch einer: "Viel Glück in Bayern."

Auf seiner Deutschlandtour hat der SPD-Chef weit größere Hindernisse zu überwinden als glatte Stufen. Sein letzter großer Auftritt in Bayern wurde noch von "Martin"-Sprechchören begleitet. Jetzt ist die Stimmung in der Bayern-SPD verhalten. Auch sie ist hin- und hergerissen. Reichen die Ergebnisse im Sondierungspapier zwischen SPD und Union aus, um Koalitionsverhandlungen aufzunehmen? Bis Sonntag hat Schulz Zeit, seine Basis davon zu überzeugen. Dann entscheidet ein Sonderparteitag in Bonn. Bayern stellt 78 Delegierte, nicht so viele wie Nordrhein-Westfalen, aber nicht wenige. Ihnen die Lust am Regieren wiederzugeben, ist Ziel von Schulz an diesem Mittwoch.

Jetzt also Bayern. Im Klostersaal steht Schulz hinter einem weißen Rednerpult und blickt auf Abgeordnete, die noch viele Fragen haben. Für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen sind die meisten, alles andere wäre "Harakiri", sagt Ulrich Pfaffmann. Die Leute hätten mittlerweile die Schnauze voll, so hört es Inge Aures von der Basis. Das Rumgejammere bringe gar nichts, die SPD müsse sich jetzt entscheiden und zwar für Verhandlungen mit der Union. "Wenn Neuwahlen kommen, sind wir weg vom Fenster."

Auch sehen viele Erfolge etwa bei der Grundrente oder dem Kampf gegen Kinderarmut.

Und trotzdem, richtig wohl fühlen sich die meisten nicht mit dem ausgehandelten Papier. Es geht ihnen so wie den 53 Prozent der SPD-Anhänger in Deutschland, die nach einer ARD-Umfrage das Gefühl haben, bei den Verhandlungen habe sich die Union durchgesetzt. Etwa bei der Flüchtlingspolitik. Auch wenn Schulz die Meinung vertritt, im Papier stehe nichts von einer Obergrenze, lesen einige etwas anderes heraus. Eva Blomberg etwa, die bei den Jusos ist und von der SPD für ihre Arbeit als Flüchtlingshelferin geehrt wurde. "Richtig veräppelt" fühle sie sich, wenn es heißt, die SPD habe keiner Obergrenze zugestimmt. Das schrieb sie auch Kohnen in einem offenen Brief. Auch der Abgeordnete Harald Güller nimmt zumindest den "Geruch einer Obergrenze" wahr und Pfaffmann sagt: "Wenn es da keine Klärung gibt, ist das nicht vermittelbar."

Das Papier sei keinesfalls in Stein gemeißelt, sagt Florian von Brunn. Man müsse jetzt "hart nachverhandeln", um "klare, sozialdemokratische Erfolge" zu erzielen, Leuchtturmprojekte. Leuchttürme sind nur was für Fernreisende, sagt Schulz laut Teilnehmern hinter verschlossenen Türen. Die SPD habe im Sozialen viel erreicht. Es nicht umzusetzen, nur weil es keine Erhöhung des Spitzensteuersatzes gebe, werde den Wählern nicht gerecht. Den Abgeordneten rät er, das Glas halb voll zu sehen. Vor allem die Ergebnisse in der Europa-Politik seien ein enormer Fortschritt. Am Schluss aber kommen die Worte, auf die viele gewartet haben: "Sondierungen sind noch keine Koalitionsgespräche."

Man werde nacharbeiten. Mit "kritischem Wohlwollen" und "halbwegs zufrieden" ließ Schulz die Abgeordneten nach seiner Motivationsrede zurück. Einen aber, bei dem es besonders wichtig gewesen wäre, erreichte er nicht. Güller wird am Sonntag als Delegierter abstimmen. Er ist gegen Koalitionsgespräche, weil er befürchtet, dass der SPD ihre Erfolge in einer weiteren Koalition genauso wenig angerechnet würden wie in der letzten. Lieber hofft er auf eine Minderheitsregierung. Wer sage, die SPD habe die Wahl zwischen Pest und Cholera, liege nicht ganz falsch. Den Vortrag von Schulz hat Güller aus persönlichen Gründen verpasst. Wichtiger als die Worte des Parteichefs aber sind ihm Zuschriften von Mitgliedern. Die werde er sich noch einmal genau ansehen. Dass er seine Meinung aber noch ändert, sei nicht sehr wahrscheinlich.

© SZ vom 18.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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