Ingolstadt:Lehmann räumt überraschend Fehler ein

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Alfred Lehmann, 69, war von 2002 bis 2014 Rathauschef von Ingolstadt. Seit März steht er vor Gericht. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Eigentlich waren die Plädoyers im Ingolstädter Korruptionsprozess geplant, da legt der angeklagte frühere OB ein Geständnis ab - auch wenn die Staatsanwaltschaft das nicht so wertet. Nun zieht sich der Prozess in die Länge

Von Johann Osel, Ingolstadt

Alfred Lehmann wirkt nervöser als sonst. Da ist - wie immer - zwar der selbstsichere Blick in die Zuschauerreihen beim Korruptionsprozess am Landgericht Ingolstadt; im Gespräch mit seinem Verteidiger aber knetet der ehemalige Oberbürgermeister die Hände, tippelt mit den Beinen, ist angespannt. Man ahnt bereits vor Eröffnung der Sitzung, dass heute etwas passiert. Und tatsächlich beginnt die Verhandlung am Dienstag mit einem Geständnis des Angeklagten - so deutet es zumindest die Verteidigung, als Lehmann erklärt, er habe "Fehler gemacht" und "Vorteile angenommen", die er als Amtsträger nie hätte akzeptieren dürfen. Zweifel kommen aber von der Staatsanwaltschaft: Die Einlassungen hätten "mit einem Geständnis überhaupt nichts zu tun". Auch der Vorsitzende Richter Jochen Bösl merkt an, es sei fraglich, ob "so ein Geständnis" aufklärend sei. Lehmann räume im Grunde das ein, was nach der Beweisaufnahme auf der Hand liege. Die Kammer zieht sich schließlich zur Beratung zurück, eigentlich waren für diesen 20. Verhandlungstag die Plädoyers geplant. Nun wird der Prozess bis zum Oktober dauern - allerdings nicht wegen des Quasi-Geständnisses, sondern weil es an dem turbulenten Sitzungstag auf den letzten Drücker neue Beweisanträge gibt.

Seit März steht Lehmann, 69, wegen Bestechlichkeit in zwei Fällen vor Gericht. Er hatte zum Auftakt und auch später alle Vorwürfe bestritten: Er habe stets "im Interesse der Stadt gehandelt", "mit Herzblut"; Bestechung habe es keine gegeben. Der CSU-Politiker, von 2002 bis 2014 Rathauschef, soll laut Anklage Wohnungen vergünstigt erhalten und dafür als Chef kommunaler Gremien bei Bauprojekten zugunsten zweier Firmen getrickst haben. Im ersten Fall geht es um eine luxuriöse Wohnung in der Innenstadt für ihn selbst, auf dem Areal des einstigen städtischen Krankenhauses. Er soll sie zum Schein als Rohbau gekauft und gratis ausgebaut bekommen haben. Als Gegenleistung für einen Deal, als der Krankenhauszweckverband das Teilgelände an den Bauträger vergab. So soll er im Bieterkampf und später bei der Preisberechnung Unkorrektheiten veranlasst haben. Beim zweiten Fall steht ein Kasernenareal mit Backsteinbauten im Fokus, in dem Lehmann und sein Vater in 16 Buden für Studenten und Soldaten investierten, ebenfalls weit unter Marktpreis. Bei einem Notartermin für den Kauf des Areals wurden einem Bauunternehmer abweichende Zuschnitte und weitere Forderungen zugestanden, ohne dass die zuständigen Gremien eingebunden waren. In der Anklageschrift ist von einem Vorteil von insgesamt einer Dreiviertelmillion Euro die Rede; Gutachter im Prozess haben dies nach unten korrigiert, es seien aber, so Richter Bösl, immer noch "gewaltige Summen".

Zur City-Wohnung blieb Lehmann bei seiner Erklärung, ein Ausbau des Rohbaus durch den Bauträger sei zunächst gar nicht geplant gewesen; es habe aber ein Angebot bestanden, von dem zu vermuten war, dass es "nicht kostendeckend und marktgerecht" war. "Das war mein Fehler, ich hätte das zu keinem Zeitpunkt annehmen dürfen." Er habe später "Bedenken bekommen, dass das alles zu billig ist" - und Nachzahlungen veranlasst. Aus eigenem Antrieb, nicht wegen anonymer Briefe, die damals im Zuge eines aufkeimenden Skandals um Vetternwirtschaft am Ingolstädter Klinikum kursierten. So legt es die Staatsanwaltschaft nahe. Zudem, so Lehmann, habe es keine Gegenleistungen gegeben, da derlei Dinge dem operativen Geschäft des Klinikgeschäftsführers F. zufielen, nicht seinem Aufsichtsgremium. F., im Zentrum der Klinik-Affäre, hatte sich Ende 2017 in Untersuchungshaft das Leben genommen. Auch den "zu preisgünstigen" Ausbau der Kasernenbuden und damit "einen Vorteil" räumte Lehmann ein. Er habe dem Bauunternehmer bei dessen Kalkulation vertraut. Auf den Vorwurf von Mauscheleien hierbei ging der Alt-OB nicht ein. Lehmann droht eine mehrjährige Haftstrafe. In Gesprächen mit der Verteidigung hatte Bösl jüngst auf die Möglichkeit eines Geständnisses hingewiesen. Denn in dem einen Fall komme auch lediglich Vorteilsnahme in Frage, im anderen Bestechlichkeit nicht in einem besonders schweren Fall, wie ursprünglich angeklagt. Ohne Geständnis bewege man sich wohl oberhalb der Grenze von zwei Jahren Freiheitsstrafe, die automatisch ohne Bewährung sei. Damit wolle man niemanden unter Druck setzen, so Bösl, der Hinweis sei vielmehr eine "reine Geste der Fairness" gewesen. Jedoch erwarte die Kammer dann auch ein Geständnis, das "zum Rechtsfrieden beiträgt" und "einen Schlussstrich zieht", "nicht nur ein großes Lippenbekenntnis". Laut der ersten Reaktion auf Lehmanns Vortrag dürfte sich das Gericht klarere Einlassungen vorgestellt haben. Inwiefern die Flucht nach vorne dennoch Pluspunkte bringt, wird sich zeigen.

Allerdings werden sich die Plädoyers und das weitere Verfahren eine ganze Weile hinziehen. Der Anwalt des mitangeklagten Bauträgers (das Verfahren gegen die Witwe des zweiten Bauunternehmers wurde gegen Auflage eingestellt) brachte überraschend neue Anträge ein: Unterlagen über Sonderwünsche Lehmanns in seiner Wohnung, zum Beispiel ein weiteres Dachfenster. Diese Dokumente sollen belegen, dass ein Gespräch zwischen Lehmann und einem Baumanager 2014 erst nach dem Ausscheiden aus dem OB-Amt stattgefunden habe; die Causa wäre womöglich anders zu bewerten, auch wäre wohl strittig, welchen Einfluss Lehmann zu dem Zeitpunkt hatte. "Wir lassen uns nicht unter Druck setzen", sagte Bösl. Weitere Verhandlungstage sind, auch wegen Urlaubs, Mitte August und im September anberaumt. Ein Urteil könnte am 11. Oktober fallen. Ursprünglich war Ende Mai vorgesehen.

© SZ vom 31.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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