Horst Seehofer:Der König der Schwachen

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Als künftiger Parteichef und Ministerpräsident hält Seehofer viel Macht in seinen Händen. Die CSU will nun ihren Streit beenden, doch sie hat sich einem Mann ausgeliefert, der als unberechenbar gilt.

K. Auer und P. Fahrenholz

Es ist der Tag, an dem sich die CSU endlich nicht mehr streiten will. Erwin Huber und Horst Seehofer tun das ihre dazu. Freundlich lächelnd, die Hand locker in der Hosentasche, posieren sie für die Fotografen vor der CSU-Zentrale. Der Kleine und der Große, der geschasste Parteichef und sein Nachfolger. Darüber strahlt der Himmel weiß und blau.

Horst Seehofer ist am Ziel. (Foto: Foto: AP)

Günther Beckstein ist auch gekommen, der Zweite, den Seehofer beerben soll. Auf das gemeinsame Foto drängt es ihn allerdings nicht. "Ich wünsche ihm sehr, dass er erfolgreich ist", sagt Beckstein. Er hat für Seehofer geworben und viel telefoniert in den vergangenen Tagen. Innenminister Joachim Herrmann und Wissenschaftsminister Thomas Goppel habe er geraten, ihre Kandidatur aufzugeben, sagt Beckstein.

Die beiden, tags zuvor noch Bewerber ums Ministerpräsidentenamt, sind zurück im Glied. Weil Horst Seehofer jetzt beides macht, und weil jetzt wieder die Geschlossenheit beschworen wird. Das hat schon oft funktioniert. "Wenn es immer so bei der CSU geht und gegangen wäre, wären wir eine super Partei", sagt Thomas Goppel und will sich damit selbst loben.

Im gewohnt verschrobenen Duktus sagt er noch mehr solche Sätze, die ausdrücken sollen, dass eigentlich alles optimal gelaufen sei in den vergangenen Tagen. Nun gehe es darum, "unser Vertrauen in seine Hände zu legen, für die nächsten Jahre", sagt Goppel. Auch Herrmann ergeht sich in Phrasen über das Wohl Bayerns und die Einigkeit der CSU. In der Art, "die Dinge mit Bedacht anzugehen", seien sich er und Seehofer gar nicht so unähnlich, findet er außerdem noch.

Kein Zuckerl für Herrmann

Nachdem Goppel und Herrmann am Dienstagnachmittag ihren Rückzug erklärt hatten, verlautete offiziell, Seehofer solle es machen, um dem Wunsch in der CSU nach einer "Zusammenführung der Spitzenämter in Staat und Partei" nachzukommen. Nur aus Taktik hätten die beiden anderen so lange an ihrer Kandidatur festgehalten, heißt es in der CSU, um sich einen guten Posten im neuen Kabinett Seehofer zu sichern.

Besonders für Goppel, 61, hätte es angesichts der lauter werdenden Rufe nach einer Verjüngung knapp werden können. Er wolle Wissenschaftsminister bleiben, betont er nun. Herrmann, so ist zu hören, soll zweiter stellvertretender Ministerpräsident werden, ein Amt, das es bislang gar nicht gibt. "Mir wurde kein Zuckerl versprochen, Sie sehen doch, dass ich gut genährt bin", sagt er und zeigt lächelnd die kleine goldene Füllung zwischen seinen Vorderzähnen.

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"Balu", nennen sie Herrmann in der CSU-Landtagsfraktion, wie den Bären aus dem "Dschungelbuch", weil ihn nahezu nichts aus der Ruhe bringen kann. Und selbst Parteifreunde witzeln, der sei so behäbig, dass man ihm beim Gehen die Schuhe binden könne. Wer es positiv ausdrücken will, der nennt ihn überlegt. Aber zumindest findet sich an diesem Tag keiner, der glaubt, dass Herrmann seine einwöchige Ministerpräsidenten-Kandidatur geschadet hat. 52 Jahre ist er alt, für vieles noch jung genug.

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Horst Seehofer gibt sich an diesem Tag weniger locker denn demütig. Dass er "ein wenig Bammel" habe, erklärt er, und dass einer alleine eine solch gigantische Aufgabe eigentlich gar nicht bewältigen könne. Er will auf Teamarbeit setzen. Diskutieren will er, und das bedeute keine Führungsschwäche. "Basta wird's nicht geben, und Befehl und Gehorsam wird's nicht geben", sagt Seehofer.

Ausgerechnet Seehofer

Er kann sich jetzt Demut leisten, denn er ist am Ziel. An einem Ziel allerdings, das er so anfangs gar nicht angestrebt hat. Parteichef, ja das wollte er immer werden. Aber Ministerpräsident? Vor wenigen Monaten hätten die meisten CSU-Landtagsabgeordneten noch herzlich gelacht, wenn ihnen jemand prophezeit hätte, sie würden im Herbst Horst Seehofer zum Regierungschef wählen.

Ausgerechnet Seehofer. Von allen Gremien und Zirkeln, die es in der CSU gibt, hat die Landtagsfraktion immer die größte Dichte an Seehofer-Gegnern aufgewiesen. Und auch er selbst hat bis vor kurzem keinen Gedanken daran verschwendet, von Berlin nach Bayern zu wechseln, um dort das schönste Amt der Welt zu übernehmen, wie Franz Josef Strauß den Posten des Ministerpräsidenten gern genannt hat. "Das lag außerhalb meines Vorstellungsvermögens", sagt Seehofer.

Doch spätestens in der Endphase des Wahlkampfes muss ihm gedämmert haben, dass er am Schluss beide Ämter bekommen könnte. Zu schlecht ist die Stimmung gewesen, zu katastrophal die Wahlkampagne der CSU gelaufen. In den letzten Tagen vor der Wahl war plötzlich ein Wahlergebnis denkbar geworden, das sowohl Parteichef Huber als auch Ministerpräsident Beckstein kippen würde.

Dass es in so einer Situation nicht mehr reicht, wenn Seehofer nur den Parteivorsitz übernimmt, weil es für die Beckstein-Nachfolge unter den Landespolitikern im Grunde keine überzeugende Alternative gibt. "Wenn es da jemanden gäbe, wäre ich der Erste, der sagen würde: Auf geht's", sagte Seehofer noch vor wenigen Tagen. Doch es gab keinen. "Was dem Horst zugute kommt, ist die Schwäche der anderen Kandidaten", sagt ein CSU-Präside.

Politik als Droge

Aber in Wahrheit hatte es Seehofer da auch schon längst nicht nur gefallen, dass sich ein Bezirksverband nach dem anderen für ihn ausgesprochen hat - es hat ihn beflügelt. Denn wie kein anderer in der CSU, außer Edmund Stoiber natürlich, ist Seehofer ein Polit-Junkie. Politik ist wie eine Droge für ihn. "Ja", sagt er, "das hat mich nicht mehr losgelassen, seit ich 20 bin."

Dass es nicht ohne Wunden und Narben abgeht, wenn man ganz nach oben kommen will, hat ihm Helmut Kohl schon vor Jahren prophezeit. Und Narben hat Seehofer viele, die meisten davon stammen von den eigenen Parteifreunden. Kein anderer in der CSU war schon so oft unten, ja fast schon ausgeschieden aus dem politischen Geschäft, und ist doch immer wiedergekommen. "Meine größte Stärke ist das Stehvermögen", sagt Seehofer über sich selbst.

Schließlich hatte er ja schon im letzten Jahr, nach dem Sturz Stoibers, Parteichef werden wollen, doch das Funktionärskartell der CSU hat das verhindert. Dabei wurde auch eine außereheliche Affäre Seehofers ausgeschlachtet, so etwas funktioniert in Deutschland vermutlich nur noch in der CSU.

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Am Schluss hat er im Duell gegen Erwin Huber trotzdem 39 Prozent bekommen, angesichts der Prognosen zuvor hätten es höchstens 20 sein dürfen. Seehofer hat auf dem Parteitag damals keine wirklich brillante Rede gehalten, aber sie hatte jene Alpha-Ausstrahlung, nach der sich die CSU stets gesehnt hat. Es war die Chef-Rede, während die von Erwin Huber eher die Sekretärs-Rede war.

Seehofers Charisma ist schwer zu fassen. Er ist, obwohl ein sehr guter Redner, kein adrenalingesteuerter Demagoge wie Lafontaine. Aber er hat dieses Wölfische, das auch Gerhard Schröder hat. Sein Lächeln kann alles bedeuten und das Gegenteil davon. Und er hat eine Gabe, die man nicht erlernen kann: Ihm werden seine politischen Manöver nicht lange übelgenommen, jedenfalls nicht von der Basis. Horst Seehofer ist bisher aus jeder Ecke wieder herausgekommen, in die er sich hineinmanövriert hatte.

Doch was unten gut ankommt, ist der Funktionärsebene unheimlich. Seehofer hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass ihm die Funktionäre herzlich egal sind. "Ich habe mir das alles ohne Hausmächte erarbeitet", sagt er. Vom Kreisvorsitzenden aufwärts gilt Seehofer als schwer kalkulierbarer Einzelkämpfer, eine brisante Mischung aus enormem Fachwissen und Unberechenbarkeit.

Ein Mann der "Leberkäs-Etage"

Unangenehmen Sitzungen ist er oft einfach ferngeblieben, war dann tagelang abgetaucht, andererseits hat er aber auch immer wieder Flagge gezeigt im Kampf um seine politischen Anliegen. Bei aller Wendigkeit im Detail, seinen politischen Prinzipien ist Seehofer sein Leben lang treu geblieben. Er war immer der Mann der "Leberkäs-Etage", wie Strauß das genannt hat, hat stets gegen die neoliberalen Kräfte in der Union gekämpft und davor gewarnt, die Interessen des kleinen Mannes aus den Augen zu verlieren.

Im eigenen Laden zu polarisieren, das geht jetzt nicht mehr. Jetzt ist Seehofer auch der oberste Chef aller Neoliberalen und Konservativen seiner Partei, und auch die Frömmler und Bigotten, die ihm seinen privaten Fehltritt ankreiden, muss er überzeugen. Leicht wird das nicht.

Auch wenn Seehofer am Ende durchmarschiert ist, ist in der CSU nicht über Nacht die große Liebe zu ihm ausgebrochen. "Der Horst muss einen Kurs steuern, der die CSU wieder zusammenführt", sagt ein langjähriger Weggefährte und lässt seine Zweifel gleich mit anklingen. "Wir haben bei ihm schon viele Überraschungen erlebt."

Seehofer übernimmt das Kommando in einer schwierigen Lage. Die Partei ist zutiefst verunsichert, die chaotischen Tage nach der Wahl haben die alten regionalen Animositäten wieder aufleben lassen. Erstmals seit mehr als 40 Jahren muss sich die CSU mit einem Koalitionspartner herumplagen, und außerdem muss die Regierungsmannschaft deutlich verjüngt werden.

Und dann geistert da ja auch noch Edmund Stoiber durch die Kulissen. Die Meldung, Stoiber versuche seinen alten Vertrauten Martin Neumeyer an die Schaltstelle in der Staatskanzlei zu hieven, hat unter den Beamten dort wahre Schockwellen ausgelöst. Dass Seehofer mit der alten Stoiber-Seilschaft weiterregieren könnte, weckt Ängste in der CSU. Er hoffe nur, "dass der Horst da klug genug ist", sagt einer.

Noch immer nicht begriffen

"Klug genug waren am Mittwochmittag auch die Abgeordneten, den ungeliebten Seehofer nun zum Regierungschef-Kandidaten zu wählen - wenngleich das Ergebnis kein allzu schillerndes ist. Zehn Gegenstimmen und sechs Enthaltungen hat er in der Fraktion mit ihren gerade noch 92 Abgeordneten bekommen, nach CSU-Rechnung, bei der die Enthaltungen nicht einbezogen werden, ergibt das 88,4 Prozent - da kennt die CSU andere Abstimmungen.

"Es ist sehr bedauerlich, dass manche noch nicht begriffen haben, in welcher Lage wir sind, und dass wir zusammenhelfen müssen", kommentiert die abgesetzte CSU-Generalsekretärin Christine Haderthauer das Ergebnis. Es gibt sie also doch noch, die alten Vorbehalte gegen Seehofer. Doch das Ergebnis sei in der Fraktion emotionslos aufgenommen worden, heißt es, auch von Seehofer.

Aber an diesem Tag geht es ja auch nicht um Glücksgefühle oder um die ganz großen Abstimmungsergebnisse, es geht darum, dass niemand mehr streiten will. Schon am Morgen haben einige Oberbayern bei einigen Franken angerufen und darum gebeten, die Gräben doch nicht zu tief werden zu lassen. "Samma wieder guat".

Und wenn das alles nicht reicht? Eine Alternative zu Seehofer hat die CSU auf absehbare Zeit nicht, sie muss hoffen, dass es gutgeht mit ihm an der Spitze. "Wir müssen den Seehofer wählen", sagt einer aus der Führungsspitze der Fraktion, "und dann in Altötting eine Kerze stiften."

© SZ vom 09.10.2008/ssc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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