Gropius-Bauten in Bayern:Mehr als eine Fabrik

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Wie eine Kathedrale erhebt sich das Glaswerk Amberg aus der Senke. Glaskathedrale wurde es deswegen schon bald genannt. (Foto: Sebastian Beck)

Der Architekt Walter Gropius hat für den Unternehmer Philip Rosenthal zwei visionäre Firmengebäude in Bayern entworfen. Nun soll dieses Erbe wieder sichtbarer werden.

Von Katja Auer

Der Schweinestall, der wär's noch gewesen. Jahrhundert-Architekt baut Herberge für das Firmenschwein eines visionären Unternehmers, weil er eine Wette verloren hat. Tolle Geschichte. Fast wäre sie wahr geworden, die Wette hat Walter Gropius tatsächlich verloren, als er vor 51 Jahren Philip Rosenthal in Selb besuchte. An jenem 5. Oktober 1967 wurde die Fabrik eröffnet, die Gropius für Rosenthal entworfen hatte. In Selb, dem beschaulichen Städtchen im Fichtelgebirge, das heute gerne genannt wird, wenn es um die Probleme in den ehemaligen Grenzgebieten geht. Früher erlebte die Stadt eine Blüte, der Porzellanindustrie wegen und auch wegen Philip Rosenthal.

Der Unternehmer gilt als Visionär, in vielerlei Hinsicht, auch deswegen, weil er die Zusammenarbeit mit Künstlern suchte. Otto Piene etwa, der die Fassade der Rosenthal-Hauptverwaltung mit einem Regenbogen zum Kunstwerk machte. Und eben Walter Gropius, der 1919 in Weimar das Bauhaus gegründet hatte. Zwischen den Männern entstand eine Freundschaft - und eine fruchtbare Zusammenarbeit. Gropius entwarf für Rosenthal die Porzellanserie TAC, längst ein Designklassiker. Außerdem zwei Firmengebäude, die sollten funktional sein, wie es der Idee des Bauhaus entsprach, und den Mitarbeitern einen angenehmen Ort zum Arbeiten schaffen. Das war Gropius so wichtig wie Rosenthal, der als Unternehmer das Wohlergehen seiner Angestellten stark in den Blick nahm. So gab es neben der Fabrik in Selb einen Feierabendbau mit Kantine und Billardtisch, außerdem spazierten Flamingos über das Werksgelände.

Das Rosenthal-Werk am Rothbühl in Selb wurde im Jahr 1967 eröffnet. Heute steht es unter Denkmalschutz. (Foto: SZ diverse)

Die gibt es im oberpfälzischen Amberg nicht, dort steht der zweite Gropius-Bau. Glaskathedrale wird der Fabrikbau genannt, der Anblick erklärt den Namen. Wie eine Kirche aus Beton liegt das Glaswerk in einer Senke, das Dach bildet gleichzeitig die Fassade, wie Lamellen streben die Betonteile in die Höhe. Licht und hoch ist es, funktional natürlich ebenfalls. Gropius wollte die Hitze bei der Glasproduktion mildern, so sollte die Luft an den Seiten einströmen und nach oben wieder entweichen können. Grüne Innenhöfe bieten Platz für kleine Pausen.

Es sollte der letzte Industriebau von Walter Gropius werden, seine Fertigstellung 1970 erlebte er nicht mehr, er starb im Jahr zuvor. Ein beeindruckender Bau, indes, es kennt ihn kaum jemand. Aber das soll sich nun ändern. Zum 100. Jubiläum des Bauhauses und dem 50. Todestag von Walter Gropius im nächsten Jahr hat sich ein Netzwerk gegründet zwischen Amberg und Selb, welches das architektonische Erbe beider Städte würdigen und bekannter machen will. Der Freistaat wollte dem Bauhaus-Verbund nicht beitreten und sich so am bundesweiten Jubiläum beteiligen, also machen es die Städte, Firmen und Initiativen jetzt alleine. Mit der Hoffnung, die Bedeutung ihrer Bauwerke Touristen näherzubringen, aber vor allem auch der eigenen Bevölkerung stärker ins Bewusstsein zu rufen.

"Für die Amberger war es halt ein Bereich, wo sie ihre Arbeit gefunden haben", sagt Oberbürgermeister Michael Cerny. Welch architektonisches Juwel da an der Rosenthalstraße steht, ist nicht nur außerhalb der Stadt kaum bekannt, sondern auch von den Ambergern lange wenig geschätzt worden. Eine Pyramide soll Gropius und Rosenthal bei einer Reise inspiriert haben. Wie bei seinen anderen Bauten ordnete Gropius auch bei der Glaskathedrale alles der Funktion unter. "Bis an die Grenze des statisch Machbaren", sagt der Amberger Baureferent Markus Kühne, so wurde sogar die Schneelast herausgerechnet, um den Bau so schlank und leicht wie möglich zu halten. Tatsächlich blieb ohnehin kein Schnee liegen auf dem Dach, da 24 Stunden, sieben Tage die Woche gearbeitet wurde. Bei der großen Hitze der Öfen hätte sich keine Schneeflocke gehalten.

Die Teekanne TAC, ein berühmter Entwurf von Walter Gropius aus dem Jahr 1969 für Rosenthal. (Foto: Rosenthal)

450 Menschen arbeiteten einmal in dem Werk, produzierten Glas von Hand, das ist vorbei. Rosenthal gab die Produktion in Amberg 1997 auf, heute produziert das Glaswerk Amberg etwa Weingläser und Dekanter für Riedel und Nachtmann. 150 Menschen arbeiten noch dort, in der lichten Halle stehen Maschinen und Paletten mit Kelchgläsern. Die Produktion ist voll automatisiert und damit sicher für die Zukunft, sagt Geschäftsführer Armin Reichelt. "Der Kosten- und Konkurrenzdruck ist hoch", sagt er. 18,19 Millionen Gläser werden in dem Werk pro Jahr produziert.

Weil die Glaskathedrale für Amberg mehr sein soll als eine Fabrik, machte sich Kulturreferent Wolfgang Dersch auf, das zu ändern. Er machte den früheren Assistenten von Gropius ausfindig, Alexander Cvijanovic, den mit dem Stararchitekten ein Vater-Sohn-Verhältnis verband. Bei den Entwürfen ging er ihm zur Hand, auch bei der Glaskathedrale, da war Gropius immerhin schon 85 Jahre alt. Cvijanovic lebt in Boston und ist fast 95 Jahre alt. Reisen will er nicht mehr, also flogen Dersch und Kühne hin. Alexander Cvijanovic sei ein Türöffner gewesen, sagt Dersch, zum Beispiel am MIT, dem Massachusetts Institute of Technology, wo Unterlagen Gropius' lagern. Die Originalpläne der Glaskathedrale, die Korrespondenz zwischen Walter Gropius und Philip Rosenthal - das durften Dersch und Kühne zwar nicht mit nach Amberg nehmen, Kopien gibt es aber, die in einer umfangreichen Dokumentation erscheinen sollen. Im nächsten Jubiläumsjahr, 2020, wenn die Glaskathedrale 50 Jahre alt wird.

Schon vom Wochenende an gibt es im Amberger Stadtmuseum eine Ausstellung über Gropius und das in Amberg produzierte Glas, das ist der Auftakt für zahlreiche Veranstaltungen im Jubiläumsjahr. Zum Netzwerk gehören neben den beiden Städten, der Firma Rosenthal und dem Porzellanikon etwa die staatliche Fachschule für Produktdesign und das Walter-Gropius-Gymnasium in Selb. Die Zusammenarbeit soll das Jubiläum überdauern, das Bauhaus-Erbe künftig sichtbarer sein. In der Glaskathedrale wird im Frühjahr 2019 eine Dauerausstellung eingerichtet, beide Gropius-Werke sollen künftig für Besucher etwa bei Führungen zugänglich sein.

Zurück zum Schweinestall. Den sollte Gropius bauen, weil er nicht glauben wollte, dass der schwarze Rand an einem Porzellanteller nach dem Brand golden werden würde. Rosenthal hielt dagegen, er wusste es natürlich - und Gropius verlor. Den Entwurf fertigte der Architekt an, es wurde kein Stall, es wurde ein Palazzo. Der "Palazzo RoRo", so hießt das Hausschwein, das Rosenthal zur Fabrikeröffnung geschenkt bekommen hatte, benannt nach Rosenthal am Rothbühl. Der Stall sollte dem Werksgebäude gleichen, ein Kubus mit schmalen, hoch gelegenen Fenstern, Flachdach und einem kreisrunden Bullauge. Gebaut wurde er dann doch nicht, weil die Mitarbeiter protestierten. Schön wäre es aber schon gewesen.

© SZ vom 06.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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