Porträt:Der Mann mit dem 900-Kilometer-Blick

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Hier wurde ein riesiges Waldstück abgeholzt, um den Befall mit Baumschädlingen eindämmen zu können. (Foto: DLR/Thonfeld)

Frank Thonfeld vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt wertet als Fernbeobachtungsexperte Satellitenbilder aus. Seine neueste Studie zeigt: Um den deutschen Wald steht es nicht besonders gut.

Von Lisa Bögl, Oberpfaffenhofen

In Oberpfaffenhofen, am größten Standort des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), wird nicht nur ins All geschaut, das funktioniert dort auch umgekehrt, vom Weltraum mit Blickrichtung Erde. Über Satelliten werden dort Oberflächenveränderungen registriert, zum Beispiel bei Wäldern und bei Gletschern. Der promovierte Geograf Frank Thonfeld ist einer dieser sogenannten Fernbeobachtungsexperten, die am DLR Satellitenaufnahmen auswerten. Als Naturmensch und Waldliebhaber hat er in den vergangenen eineinhalb Jahre den kompletten Waldbestand in Deutschland untersucht. Eine solch umfassende Studie über die gesamten Waldflächen habe es in der Bundesrepublik davor noch nie gegeben, so der 42-Jährige. Und das, was Thonfeld auf den Bildern gesehen hat, geschossen in bis zu 900 Kilometern Höhe, ist nicht gerade ermutigend.

In der Mitte Deutschlands zeichnet sich ein deutlicher Gürtel mit stark von Waldschäden betroffenen Flächen ab - von der Grenze zu Belgien bis rüber nach Polen im Osten. Schaut man sich alleine die Nadelwälder an, ist das Ergebnis noch dramatischer: Im Sauerland sind bereits zwei Drittel der Waldflächen kahl. "Das ist schon gewaltig", sagt Thonfeld. Gründe dafür könne man mehrere aufführen, so der Fachmann, aber für alle gebe es eine gemeinsame Klammer - den Klimawandel.

Die Struktur der Wälder sei ein großes Problem, sagt Thonfeld. Vielerorts seien Fichten-Monokulturen zu finden, die sehr anfällig für Schädlingsbefall seien. Diese schnell wachsenden Monokulturen seien vor 60 bis 100 Jahren weiträumig auch in Gebieten gepflanzt worden, in denen Fichten eigentlich gar nicht heimisch seien. Wegen der zusätzlichen Belastung durch die Klimaveränderungen würde das Kieferngewächs nun an den Rand seiner Existenzmöglichkeiten gedrängt.

Frank Thonfeld wertet am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt Satellitendaten aus, um das Waldsterben in Mitteleuropa beobachten zu können. (Foto: privat/oh)

Die Idee für die Studie hatte Thonfeld schon vor einigen Jahren. Auch in seiner Freizeit hält er sich gerne im Wald auf, im Winter etwa bei einem seiner Hobbys, dem Skilanglauf. Auf seinen Touren durch den Wald zu sehen, was dort mit den Bäumen passiert, das war der Auslöser dafür, dass er das Waldsterben deutschlandweit wissenschaftlich untersuchen wollte. Waldflächen, in denen man seit Jahren unterwegs sei, mit kahlen Stellen zu sehen, das sei schockierend, sagt der Forscher. Die jetzige Studie aber war nur der Anfang, sie ist lediglich der Startpunkt für weitere Beobachtungen, die irgendwann eine Diagnose für den Patient zulassen sollen.

Besonders seit dem Hitzesommer 2018 haben die Kahlschläge stark zugenommen

Aber auch die vorliegende Studie zeigt eindrücklich: Besonders seit 2018 haben die Kahlschläge stark zugenommen. Zur Illustration zeigt Thonfeld eine bunte Karte aus dem Jahr 2020. Ein großer Teil der Fläche ist schwarz, dazwischen tummeln sich orange Flecken. Es handelt sich bei dem abgebildeten Gebiet um die Steinbachtalsperre. Die schwarzen Flächen sind Wälder, orange bis rot werden die kahlen Flächen dargestellt. Die gleiche Karte gibt es noch einmal von 2017. Diese Version hat eine fast durchgängige schwarze Fläche. Der Wald war noch fast nirgendwo kahl. Die seitdem aufgekommenen Schäden sind das Ergebnis von Trockenheit und Borkenkäferbefall, beides setzt dem Wald seit dem Hitzesommer 2018 zunehmend zu.

Die Auswirkungen seien gravierend, so der Geograf. An einem normalen Sommertag betrage der Unterschied in der Oberflächentemperatur zwischen einer gesunden Waldfläche und einem Kahlschlag bis zu 25 Grad. Das könne lokal katastrophale Auswirkungen haben. Fichtenwälder gebe es häufig auch an steilen Hängen, die besonders von Trockenheit betroffen seien. Dort, so Thonfeld, könnte es zu Erdrutschen kommen - und das war bisher in Deutschland ein noch eher seltenes Problem. In Zukunft aber muss man sich damit verstärkt beschäftigen. Zudem steigt bei zunehmendem Waldsterben die Gefahr für Flächenbrände.

Waldbestand in Arnsberg 2017 und 2021: Grün heißt in diesem Fall, nichts ist dort mehr grün. (Foto: DLR)

Einfache Gegenmaßnahmen, die man aus Thonfelds Studie ableiten könnte, gibt es nur wenige. "Wenn noch weitere Trockenjahre kommen, und davon muss man ausgehen, dann wird man nichts tun können, um den jetzigen Wald vor dem Absterben zu schützen", erklärt der Experte. Von jetzt an müsse man sich darauf konzentrieren, den Wald der Zukunft so zu gestalten, dass er widerstandsfähiger gegen weitere Klimaerwärmungen, Stürme, Feuer und Insektenbefall werde. Das sei vor allem mit Mischkulturen möglich.

Die große Herausforderung dabei sei, dass der Wald aber sehr viel Zeit brauche. "Die Dinge, die wir heute tun, wirken erst in 50 bis 100 Jahren", so der DLR-Fernbeobachter. Es gebe aber auch Raum für vorsichtigen Optimismus. "Die Kahlschläge sehen erst einmal immer furchtbar aus", so Thonfeld. "Allerdings gibt es dort auch extrem hohes Entwicklungspotential." Wo der Wald stirbt, könnten neue Ökosysteme mit mehr Struktur entstehen. Keine Monokulturen mehr, sondern eine nischen- und abwechslungsreiche Landschaft. "Da können dann auch wieder neue Tierarten heimisch werden." Es gibt also auch Hoffnung für den Wald, auch wenn es für manch bestehende Waldflächen schon zu spät ist.

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