Fastnacht in Franken:Stolzer "Dreggsagg"

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Zur Fastnacht in Veitshöchheim erscheint die Politprominenz alljährlich in schönster Kostümierung - um von Top-Kabarettist Michl Müller "notgeschlachtet" zu werden.

Uwe Ritzer

Er zappelt auf dem Stuhl, seine wachen Augen fliegen hin und her, und ständig fuchtelt er mit Armen und Händen. Nur die kurzen Haare stehen festgegelt in alle Richtungen. Dieser Typ ist immer in Bewegung, vor allem auf der Bühne. Da stapft er mit raumgreifenden Schritten auf und ab, egal ob er gerade schweigt, spricht oder singt. "Das passiert einfach so", sagt Michl Müller und lacht, "wahrscheinlich markiere ich da unbewusst mein Revier".

Kabarettist Michl Müller nimmt sich mit Vorliebe die bayerische Politprominenz - wie hier Joachim Herrmann (links) und Markus Söder (beide CSU) - zur humoristischen Brust. (Foto: Foto: dpa)

Am Ende der Markierungsarbeiten kommt es vor, dass auf sein Geheiß hin ein Saal voller Menschen ganz beseelt eine Fleischereifachverkäuferin besingt. Oder sie klopfen sich vor Lachen auf die Schenkel, nur weil Michl Müller alle zehn Vornamen des Bundesministers zu Guttenberg aufgezählt hat. Aufgezählt, mehr nicht.

Die Spezies der gemeinen Rampensau

Es gibt Menschen, die bekommen beim Erzählen einfachster Witze nie eine Pointe hin, schon gar nicht klingt es lustig. Und es gibt solche wie Michl Müller, 37, gelernter Werkzeugmacher und Landwirtssohn, die zur Spezies der gemeinen Rampensau gehören. Die können ihr Publikum binnen Minuten so begeistern, dass sie auch aus einem Computerhandbuch vorlesen könnten - die Leute würden dennoch lachen.

An diesem Freitagabend lachen im Idealfall mindestens dreieinhalb Millionen Fernsehzuschauer. So viele hat erfahrungsgemäß Fastnacht in Franken, die erfolgreichste Sendung des Bayerischen Fernsehens. Innerhalb von nur drei Jahren hat es der bis dahin allenfalls einem engen Kreis unterfränkischer Kabarettfreunde bekannte Müller zu einem der Top-Stars dieser Sendung gebracht. "Der hebt fast ab, so eine unglaubliche Bühnenpräsenz hat der", schwärmt Bernhard Schlereth, Präsident des Fastnachtsverbandes Franken (FVF).

Vor sechs Jahren stand Michl Müller noch acht Stunden am Tag beim Kugellagerhersteller SKF in Schweinfurt an einem Stahl-Härteofen. Allenfalls in seinem Heimatort Garitz, einem 4000-Einwohner-Dorf bei Bad Kissingen, stand er in jungen Jahren in einer Fastnachts-Bütt. Auf dem Bauernhof seiner Familie lebt er noch heute. "Wurzeln sind wichtig für mich", sagt Müller. "Es ist schön, wenn man heimkommt und weiß, hier bin ich aufgehoben."

Seit er jedoch als Müllmann, als fränkischer Bayer und im vergangenen Jahr als Metzger von Veitshöchheim die Fernsehzuschauer begeisterte, wachsen auch außerhalb der Faschingszeit der Radius und die Zahl seiner Auftritte. Im vergangenen Jahr waren es fast 200. Neben Franken trat er vor allem in Hessen, Baden-Württemberg und Südbayern auf.

"In diesem Jahr darf sich der charming Horst schon was anhören", sagt Michl Müller und grinst. "Unser kleines Wetterfähnlein, der Ministerpräsident." Im Kostüm eines Försters wird Michl Müller bei der Livesendung am heutigen Abend irgendwann ab 19 Uhr eine gute Viertelstunde lang über die Bühne der Veitshöchheimer Mainfrankensäle stapfen, über Politiker spötteln und sie imitieren. Das kann er besonders gut.

Lesen Sie auf Seite 2, welchen Spitznamen Müller dem Ex-Wirtschaftsminister Michael Glos verpasste.

An einem der Probentage vor der Show sitzt Müller während einer Pause entspannt in den hinteren Reihen im Saal und versucht sich einzuordnen. Komiker? Comedian? Kabarettist? "Schon Kabarettist", sagt er, weil vieles in seinen Programmen politisch sei. "Aber die Grenzen zwischen Comedy und Kabarett verschwinden, weil Politik immer komplizierter wird und vor allem, weil die Leute immer weniger Zeit haben, sich mit ihr zu beschäftigen." Lieber wird gelacht.

Zum Beispiel wenn Michl Müller - wie bei der Fastnacht in Franken 2009 - den bedächtig-langsamen Ex-Minister Michael Glos "den schnellen Brüter aus Prichsenstadt" nennt, Erwin Huber einen "sprechenden Haferlschuh" oder CSU-Fraktionschef Georg Schmid "die Ausstrahlung einer Duftkerze" bescheinigt.

Als politischer Notschlachter trat er voriges Jahr auf, der kurz nach den Landtagswahlen über schwarze Wurst ("schmeckt nach Filz, 17 Prozent Einbruch beim Verkauf"), rote Würste ("bei uns noch nie gut gelaufen") und gelbe Würste ("sind wieder gefragt, aber etwas Grünes muss mit drin sein") fabulierte.

Stahlofen oder Kabarett-Bühne

Müllers Humor ist direkt, schnörkellos, aber nie verbissen. Auf die Idee mit der Försterrolle in diesem Jahr kam er beim Joggen durch den Wald.

Vor acht Jahren trat Müller bei einem kabarettistischen Frühschoppen in Bad Bocklet noch vor 40 Besuchern auf. Heute kommen alle vier Wochen 200 und die Veranstaltung ist bis Sommer ausverkauft. Bereits 2004 bat Müller bei SKF vergeblich darum, Teilzeit arbeiten zu dürfen. Die Firma lehnte jedoch ab: Stahlofen oder Kabarettbühne. Müller musste sich entscheiden und kündigte.

Das Fernsehen hat ihn bekannt gemacht, sagt Michl Müller. "Das ist toll, aber es darf nicht zu viel werden, um die Leute nicht zu übersättigen", sagt er. Die sollen ihn lieber auf der Bühne erleben, schwitzend, Grimassen schneidend und sich am Humor abarbeitend.

Bleibt zum Schluss nur zu klären, warum er als "Dreggsagg aus der Rhön" firmiert, wo er doch gar nicht aus der Rhön kommt. Ein Fernsehmensch habe ihm das Etikett verpasst, lacht Michl Müller. "Macht aber nichts", findet er. "In Unterfranken ist Dreggsagg kein Schimpfwort, sondern ein Synonym für Schlitzohr."

© SZ vom 05.02.2010/jobr/mati - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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