Fall Mollath:Wenn der Zeuge nicht gefragt wird

Er hat das Ehepaar Mollath lange gekannt, als Zeuge wurde er jedoch nicht befragt: Weil Edward Braun aber noch immer von Gustl Mollaths Unschuld überzeugt ist, gab er von sich aus eine eidesstattliche Erklärung ab - und bekam dafür Ärger vom Gericht.

Olaf Przybilla, Nürnberg

Fall Mollath: Gustl Mollath wurde vom Gericht als "wahnhaft" abgestempelt - dabei wurden einige Zeugen gar nicht gehört.

Gustl Mollath wurde vom Gericht als "wahnhaft" abgestempelt - dabei wurden einige Zeugen gar nicht gehört.

(Foto: BR)

Was muss einer tun, der wahrnimmt, dass einem anderen möglicherweise grobes Unrecht widerfährt? Und der gute Gründe für diese Vermutung zu haben glaubt? Es dürfte kaum zu bestreiten sein, dass dieser Mensch moralisch verpflichtet ist, sich bei der zuständigen Stelle zu melden und seine Begründung dafür, dass da einem anderen Menschen vielleicht Unrecht widerfährt, darzulegen.

Genau das hat Edward Braun im November 2011 getan: Er hat in einem Schreiben an die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth - und zugleich an die Justizministerin Beate Merk (CSU) - dargelegt, dass er sich an ein Gespräch mit der damaligen Frau von Gustl Mollath erinnere. Und dass die Frau, seiner Erinnerung nach, in dem Gespräch gesagt haben soll: Ihr Mann, Mollath also, sei doch irre, den lasse sie auf seinen Geisteszustand überprüfen, dann hänge sie ihm was an. Und sie wisse auch schon, wie.

Edward Braun, Zahnarzt aus Bad Pyrmont, hat das Ehepaar Mollath lange gekannt, gemeinsam teilte man die Begeisterung für Ferraris. Dann aber hat man sich aus den Augen verloren, wohl auch, weil es ständig Streit gab beim Paar Mollath. Und so hat Braun, so schildert er es, in Niedersachsen nichts mitbekommen vom Verfahren vor dem Nürnberger Landgericht aus dem Jahr 2006, in dem sich Mollath gegen den Vorwurf wehren musste, er habe seine Frau geschlagen und gewürgt.

Als er dann Jahre später vom Fall Mollath erfahren habe, sagt Braun, habe er sich verpflichtet gefühlt, seine Erinnerung an das Gespräch der Staatsanwaltschaft mitzuteilen. Mollath war zwar freigesprochen worden, aber wegen Gefährlichkeit in eine Psychiatrie eingewiesen worden.

Der Zeuge soll zahlen

Als eidesstattliche Versicherung hat Braun seine Erinnerungen an das Gespräch mit der Frau der Staatsanwaltschaft übermittelt. Zurück kam: Eine Zahlungsaufforderung über 60 Euro.

Die Begründung lautet, Braun habe ein Wiederaufnahmeverfahren beantragt. Er sei dazu aber gar nicht berechtigt. Denn so ein Verfahren beantragen dürften der Verteidiger des Verurteilten (im Fall Mollath ein Anwalt des in die Psychiatrie Eingewiesenen) oder die Staatsanwaltschaft. "Der Antragsteller", heißt es im richterlichen Beschluss, "hat die durch seinen Antrag verursachten Kosten zu tragen."

Völlig fassungslos sei er gewesen, sagt Braun, als er die Zahlungsaufforderung in den Händen gehalten habe. In der Tat habe er in seinem Anschreiben für ein Wiederaufnahmeverfahren plädiert. Aber wie er das nun genau hätte formulieren müssen, dass er dafür die Staatsanwaltschaft in der Pflicht sehe, das sei ihm weder klar noch wichtig gewesen. "Ich bin Zahnarzt", sagt Braun. Wichtig sei ihm seine Aussage gewesen, die im Strafverfahren zweifelsohne ein wichtiges Indiz hätte sein können. Eines freilich, das er im Prozess nicht habe beitragen können - weil er eben gar nichts von dem Prozess gewusst habe.

"Möglicherweise hätte man nachfragen sollen"

Dass Braun zahlen muss, hatte das Landgericht Regensburg beschlossen. Die Justiz in Regensburg ist für Wiederaufnahmeanträge zuständig, die in Nürnberg eingehen. Möglicherweise, sagt Gerichtssprecherin Bettina Mielke, wäre es in so einem Fall sinnvoll gewesen, direkt bei Braun "nachzufragen, ob das vorliegende Schreiben als Antrag auf Wiederaufnahme zu verstehen" sei. Und auch darauf hinzuweisen, dass der vermeintliche Antragsteller gar nicht antragsberechtigt ist. "Aber das ist immer eine Gratwanderung", sagt Mielke.

Braun hat die Kostenaufforderung jedenfalls nicht auf sich sitzen lassen, aus prinzipiellen Gründen, sagt er. Und tatsächlich erging im April 2012 vom Oberlandesgericht Nürnberg (OLG) der Beschluss: Zwar sei Brauns Beschwerde unzulässig, weil der dafür "erforderliche Beschwerdewert von 200 Euro" nicht erreicht sei. Von der Kostenerhebung aber werde nun trotzdem abgesehen. Ein salomonischer Beschluss? "Könnte man so formulieren", sagt Anita Traud, Sprecherin des OLG.

An ein Wiederaufnahmeverfahren im Fall Mollath, sagte am Montag die Sprecherin der Nürnberger Staatsanwaltschaft, Antje Gabriels-Gorsolke auf SZ-Anfrage, werde aber auch weiter nicht gedacht. Für ein solches sähe die Staatsanwaltschaft keine hinreichenden Gründe vorliegen.

Das OLG Nürnberg hat sich unterdessen gegen die Vorwürfe des Regensburger Strafrechtsprofessors Henning Ernst Müller gewehrt. Müller hatte der Justiz in einem SZ-Gespräch gravierende Fehler im Mollath-Verfahren vorgeworfen. Der Präsident des OLG Nürnberg, Peter Küspert, sah sich aufgrund der Vorwürfe veranlasst, darauf hinzuweisen, dass für die Überprüfung von Urteilen nach dem Gesetz "einzig und allein der Bundesgerichtshof zuständig" sei. Dieser habe die gegen das Urteil des Landgerichts gerichtete Revision des Angeklagten verworfen. Das Urteil sei damit rechtskräftig. Es könnte allenfalls durch ein Wiederaufnahmeverfahren beseitigt werden. Generalstaatsanwalt Hasso Nerlich wies zudem den Verdacht des Strafrechtsprofessors zurück, bei der Staatsanwältin, die die aufgrund der Anzeige Mollaths kein Ermittlungsverfahren eingeleitet habe, liege der Anfangsverdacht der Strafvereitelung im Amt vor. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft habe sich gerade "kein Anfangsverdacht im Sinne der Strafprozessordnung" ergeben.

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