Ernährung:Warum wir uns bei Kartoffelchips nicht beherrschen können

Lesezeit: 2 Min.

Fettig, salzig, kalorienreich - na und? Bei Chips fallen alle Hemmungen, bis die Tüte leer ist und das schlechte Gewissen anklopft. All das ist wissenschaftlich erklärbar. (Foto: dpa)

Der Bauch ist voll, trotzdem greift der Mensch immer wieder in die Chipstüte: Eine Professorin aus Erlangen hat eine Erklärung für dieses rätselhafte Phänomen gefunden - mit Hilfe von Ratten.

Von Olaf Przybilla, Erlangen

Die Chipstüte ist offen, der Bauch eigentlich voll. Trotzdem muss der Mensch immer weiter in die Tüte greifen. Warum eigentlich? Die Erlanger Professorin Monika Pischetsrieder hat das Chips-Fressverhalten von Ratten untersucht und glaubt, Antworten gefunden zu haben.

SZ: Sind Sie selbst betroffen von diesem Chips-Konsumverhalten?

Monika Pischetsrieder: Aber ja. Ich kann das schon sehr gut nachvollziehen, wenn man sich da nicht so im Griff hat.

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Sie fangen an und können nicht aufhören?

Das ist ganz normal, wir bekommen da recht einheitliche Rückmeldungen: Der Mensch empfindet eine Art Kontrollverlust, wenn ihm Chips vorgesetzt werden.

Was passiert da mit einem? Geht einem mit Sellerie doch auch nicht so.

Unsere Frage war erst Mal: Was macht das mit Ratten? Denn die reagieren auf Kartoffelchips erstaunlicherweise genauso wie wir Menschen. Das scheint ein Phänomen zu sein, das ganz basale Mechanismen in einem Organismus anspricht. Die Ratten waren eigentlich satt. Wenn wir ihnen Standardfutter vorgesetzt haben, dann rührten sie das nicht mehr an. Stellten wir ihnen aber Chips hin, dann haben diese Tiere, ich sag' jetzt mal, ordentlich reingehauen.

Das alte Problem.

Eben. Wir essen Chips ja auch meistens dann, wenn wir eigentlich längst keinen Hunger mehr haben. Wir haben den Tieren dann ins Hirn geschaut, während sie Chips fraßen, per Kernspinmessung. Und sahen, wie dabei das Belohnungszentrum extrem aktiviert wurde. Man spricht vom Nucleus accumbens, einer Struktur im unteren Vorderhirn. Wird dieser Nucleus aktiviert, dann bekommen Lebewesen das Gefühl: Genau damit muss ich jetzt weitermachen.

Suchtverhalten.

Ja, Kokain aktiviert ebenfalls den Nucleus accumbens. Womit ich nicht sagen will, dass Chips Drogen sind. Zwischen einer echten Sucht und dem, was der Mensch beim Kartoffelchips-Essen empfindet, gibt es schon noch Unterschiede.

Warum diese hemmungslose Völlerei ausgerechnet bei Chips?

Es liegt offenbar daran, wie in Chips die beiden Hauptenergieträger Kohlenhydrate und Fette gemischt sind. Wir haben beobachtet: Wenn man Ratten beliebige Nahrung mit exakt dem Kohlenhydrat- und Fettanteil vorsetzt, wie er auch in Chips vorliegt, dann hören sie mit dem Fressen so schnell nicht wieder auf.

Monika Pischetsrieder, 48, lehrt Lebensmittelchemie an der Uni Erlangen-Nürnberg und kennt das Problem mit den Knabbersachen. (Foto: FAU)

Es gilt also nicht: Je fetter die Nahrung, desto süchtiger die Ratte?

Könnte man so denken, wäre evolutorisch auch nachvollziehbar. Fett hat am meisten Kalorien, das wäre dann Futtern auf Vorrat sozusagen. Aber wir haben ein anderes Optimum festgestellt. Das liegt bei 50 Prozent Kohlenhydratanteil und 35 Prozent Fett, das ist exakt das Mischungsverhältnis von Chips. Mischt man noch mehr Fett bei, dann wird die Nahrung für Ratten wieder unattraktiver. Dieses Mischungsverhältnis findet sich übrigens auch in anderer Nahrung: etwa bei Schokolade, bei der viele Konsumenten ja dieselben Probleme haben, aufzuhören. Und es gibt noch andere Lebensmittel: Erdnussflips zum Beispiel. Oder Nuss-Nougat-Creme.

Fürchten Sie nicht, dass Ihre Forschungsergebnisse auf gesteigertes Interesse in der Lebensmittelindustrie stoßen?

Glauben Sie mir: Die Lebensmittelindustrie braucht keine Kernspinforschung, um herauszufinden, was die Menschen zum Essen verführt. Das sehen sie auch so an ihren Verkaufszahlen. Was da genau im Hirn eines Konsumenten passiert, dürfte der Industrie ziemlich egal sein. Der Grund für das, was wir hedonische Hyperphagie nennen, interessiert da sicher weniger.

Hyperphagie . . .

. . . ist das Phänomen, dass ein Mensch mehr Energie aufnimmt, als er verbraucht. Hedonisch nennen wir es, wenn der Grund dafür im Lebensmittel liegt. Ein Spezialfall wäre eine Art individuelle hedonische Hyperphagie: Ein bestimmter Konsument isst immer genau dann doppelt so viel wie normal, wenn es ein fränkisches Schäufele gibt. Das ist aber wissenschaftlich schwer fassbar, das sind individuelle Vorlieben, davon reden wir hier ausdrücklich nicht.

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Werden Sie Ihre Ergebnisse noch mit menschlichen Probanden testen?

Das haben wir zum Teil schon, ist aber deutlich anspruchsvoller. Man kann im Kernspintomografen schwer Chips essen, das geht nicht. Trotzdem planen wir noch einen größeren Versuch und werden in Erlangen dafür noch Probanden suchen, ja.

Die sich dann richtig gehen lassen sollen.

Ja.

© SZ vom 29.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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