Statistik:Reiche werden ärmer, Arme reicher

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Arm, aber idyllisch: Der Landkreis Berchtesgadener Land gehört zu den Regionen, die laut Statistik noch ärmer wurden. (Foto: dpa)

Eine Studie zeigt: Die Einkommensunterschiede in Bayern gleichen sich an - allerdings gilt das nicht für alle Landkreise.

Von Maximilian Gerl, Fürth

Das Problem mit gefühlten Wahrheiten ist, dass sie Erkenntnissen der Wissenschaft gern widersprechen. So ist es auch mit einer Studie aus dem Monatsheft des Bayerischen Landesamts für Statistik. Gefühlt nehmen ja die Einkommensunterschiede im Freistaat weiter zu, etwa zwischen Stadt und Land. Doch laut jener Studie der Statistiker in der Dienststelle Fürth wird zumindest diese Lücke gar nicht größer. Sie wird im Gegenteil kleiner - weil die armen Regionen schneller reicher werden als die reichen.

Die Studie widerspricht damit nicht nur einem Gefühl. Sie birgt interessante Erkenntnisse für die Politik. Offenbar funktioniert in Bayern die Stärkung des ländlichen Raums mindestens ein bisschen, vielleicht auch ganz anders als gedacht. Das liegt auch daran, wie man wissenschaftliche Arbeiten - egal zu welchem Thema - verstehen will.

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In diesem Fall heißt die Studie "Einkommensungleichheit zwischen den bayerischen Kreisen 1991 bis 2016". Im Zentrum steht die Frage, wie sich die verfügbaren Einkommen der Privathaushalte in diesem Zeitraum entwickelt haben. Genauer: Wie sich das durchschnittliche Haushaltseinkommen in den einzelnen Regionen entwickelt hat - und was diese Entwicklung im Vergleich bedeutet. Als Maß gilt der bayerische Durchschnitt. Wer 1991 weit darüber lag und sich jetzt näher am oder sogar unter dem Mittel wiederfand, dessen Einkommen wuchs weniger stark als das Einkommen der Gesamtheit. Gleiches gilt natürlich auch andersherum. Das Ergebnis: 44 arme Regionen in Bayern werden relativ gesehen reicher. 34 reiche Regionen werden dagegen ärmer. Dadurch nähern sich beide Seiten einander an, die Ungleichheit schrumpft.

Natürlich sind damit Einkommensunterschiede nicht obsolet. Sie bestehen auch weiterhin. Zum Teil sind die Differenzen zwischen den Kreisen und Städten "beträchtlich", wie es in der aktuellen Studie heißt. Doch aus ihrer Sicht klappt die Schere eben eher zu als weiter auf. Die "Aufholer" liegen vor allem im ländlichen Raum, nämlich in Niederbayern und der Oberpfalz. Beide Regierungsbezirke profitierten besonders vom wirtschaftlichen Aufschwung. Die Regionen mit unterdurchschnittlichem Wachstum liegen dagegen fast alle in den Boomräumen München und Nürnberg, eingeschlossen den beiden Städten selbst. Regionen mit starkem Bevölkerungswachstum wachsen tendenziell schwach im Einkommen und umgekehrt.

Damit läge die Vermutung nahe, dass mehr Menschen weniger Einkommen bedeuten. Wer will, könnte also das Ergebnis wahlweise als Aufruf gegen Migration deuten - oder als Plädoyer für mehr Landflucht. Ganz so einfach ist indes beides nicht. Größere Wirkung entfalten da schon statistische Effekte. In der Oberpfalz war zum Beispiel das Ausgangsniveau bei den Löhnen recht niedrig. Schon der Zuzug von einigen wenigen Personen mit hohem Einkommen kann das Ergebnis dort theoretisch weit nach oben treiben. In den boomenden Großräumen verteilt sich der Zuzug über mehrere Kreise, was sich auch an den Pendlerströmen ablesen lässt. Dadurch verteilt sich auch das Einkommen automatisch mehr in der Fläche.

Zusätzlich kompliziert wird die Sache durch die berühmten Ausnahmen von der Regel. So wurden zehn reiche Regionen noch reicher - darunter die Landkreise Miesbach und Aschaffenburg sowie die Stadt Memmingen. Für acht arme Regionen verlief die Entwicklung genau andersherum. Sie wurden ärmer. Dazu zählen die Landkreise Hof, Kronach, Lichtenfels und Berchtesgadener Land sowie die Städte Passau, Schweinfurt und Augsburg.

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Was sich sagen lässt: Die Studie gibt Hinweise, dass die Stärkung des ländlichen Raums zu funktionieren scheint, wenn auch nicht überall gleich erfolgreich. Gerade die Ausreißer-Regionen wären eine Angelegenheit für weiterführende Untersuchungen. Zumindest für den Fall Miesbach liegt der Verdacht nahe, dass sich die hohe Millionärs- und Villendichte am Tegernsee in der Statistik bemerkbar macht - was weniger vermögenden Menschen im Landkreis ein eher schwacher Trost sein dürfte. Augsburg dagegen war einst Hochburg der Textilindustrie. Die in der Branche gezahlten Löhne waren schon damals vergleichsweise niedrig. Das scheint der Stadt noch einen Strukturwandel später nachzuhängen. So gelten Augsburger Rentner laut einer Studie des Deutschen Gewerkschaftsbunds Bayerns als besonders armutsgefährdet. 662 Euro gesetzliche Rente bekommt hier der (männliche) Durchschnitt - bayernweit sind es 1141 Euro.

Auch einen weiteren Punkt beleuchtet die vorliegende Untersuchung nicht: Was sich die Haushalte für ihr Einkommen in ihrer Region überhaupt leisten können. Mindestens gefühlt bestehen deutliche Unterschiede, wie viel zum Beispiel eine Leberkässemmel in München und wie viel eine in Cham kostet. Genug Anlass also für weitere Nachforschung. Und vielleicht ja Überraschungen.

© SZ vom 04.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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