Dokumentation:Andrei Iwanowitsch sagt Ja zum Leben

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Hannes Farlock arbeitet hauptberuflich bei der deutsch-russischen Handelskammer in Russland. Seine Leidenschaft gilt dem Filmemachen. Vier Jahre lang hat er an seinem Projekt über einen KZ-Überlebenden gearbeitet. (Foto: privat)

Hannes Farlock aus Höchstadt an der Aisch hat in seiner Freizeit einen Film über einen russischen KZ-Überlebenden gedreht

Von Ekaterina Venkina, München

"Trotzdem Ja zum Leben sagen" - Viktor Frankl, der berühmte Psychiater und Begründer der Logotherapie, der vier Konzentrationslager überlebte, hat diesen Refrain der Lagerhymne aus Buchenwald als Titel für sein Buch gewählt. Andrei Iwanowitsch hat bisher keine Bücher geschrieben.

Doch er lebt jeden Tag nach diesem Motto. Das macht er, wenn er Honig auf seiner Datscha erntet und als Nachtwächter arbeitet. Wenn er Fahrrad fährt und mit seiner Freundin ausgeht. Andrei Iwanowitsch lebt in Minsk in Weißrussland, er ist 92 Jahre alt und einer der letzten Überlebenden des Konzentrationslagers Buchenwald. Hannes Farlock aus Höchstadt an der Aisch hat einen Dokumentarfilm über ihn gedreht. "Ja, Andrei Iwanowitsch" lautet der Titel der Produktion.

"Er ist ein unglaublich faszinierender Mensch. In seinem Alter lebt er genauso aktiv, sogar noch aktiver, als mehrere Jugendliche. Er bewirtschaftet seine Datscha komplett, ist mit Freunden unterwegs und pflegt ein aktives Liebesleben", sagt der 36-jährige Farlock am Telefon. Er arbeitet bei der deutsch-russischen Auslandshandelskammer (AHK) in Russland. Er ist kein gelernter Filmemacher, das Projekt betrieb er in seiner Freizeit.

"Als wir uns zum ersten Mal trafen, war er der Hahn im Korb", erzählt Farlock. Sechs Jahre ist das her, damals unterrichtete Farlock Deutsch im Klub "Liebhaber der deutschen Sprache" in Minsk. Iwanowitsch habe ihn "wirklich gelöchert", sagt Farlock. Den ehemaligen Ingenieur hätten alle Aspekte der deutschen Grammatik im Detail interessiert. Deutsche Sprachkenntnisse braucht Iwanowitsch, weil er jedes Jahr zur Gedenkstätte Buchenwald fährt und vor Studenten in ihrer Muttersprache spricht. Sein Lerneifer habe nach dieser ersten Begegnung nicht nachgelassen, und so begannen sich die beiden häufiger auch zum Privatunterricht zu treffen, erzählt Farlock. Langsam erfuhr dieser so mehr über seinen neugierigsten Studenten. Andrei Iwanowitsch Moiseenko wurde 1926 in der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik geboren. Im Alter von 15 Jahren, mitten im Zweiten Weltkrieg, musste er als Ältester die Verantwortung für das Überleben seiner Geschwister übernehmen. Die Mutter war früh an Typhus gestorben, der Vater an der Front gefallen, die Stiefmutter bei einem Angriff der deutschen Wehrmacht gestorben. Als er auf der Suche nach Lebensmitteln für seine Geschwister war, verschleppten ihn Soldaten nach Deutschland. Er wurde zur Arbeit gezwungen, im Mai 1944 landete er in Buchenwald. Er überlebte das Lager und bejahte das Leben auch dann noch, als er viel später seine Frau und einen seiner Söhne verlor.

Als Hannes Farlock die Lebensgeschichte von Andrei Iwanowitsch kannte, sei es ihm immer klarer geworden: er musste sie erzählen. "Vielleicht klingt es pathetisch, aber ich hatte keine Wahl", sagt er.

Langsam suchte sich der Deutsche sein Produktionsteam zusammen: einen Cutter und einen Kameramann, der 2016 zum besten in Weißrussland gewählt wurde. Zusammen haben sie Andrei Iwanowitsch mit der Kamera begleitet. Bei der Ernte, auf einer Geburtstagsfeier und bei der Fahrt nach Buchenwald. Knapp vier Jahre haben die Produktionsarbeiten gedauert. Die Kosten finanzierte er zum Teil aus eigener Tasche, zum Teil mit der Unterstützung eines Freundes. "Ich wollte unsere Unabhängigkeit bewahren, deswegen haben wir uns an keine Stiftung gewandt", sagt Farlock.

Zurzeit kümmert sich eine Berliner Filmagentur um die Promotion. Die Vorpremieren fanden bereits in Buchenwald, Leipzig und in Höchstadt statt. Farlock versucht nun, das Stück auf europäischen Festivals und in Programmkinos zu zeigen. Sein Ziel sei es, vor allem die Jugendliche zu erreichen, die sich keine düsteren und belehrenden Kinoproduktionen über Zeitzeugen anschauen wollten. "Ich hatte es vor, den Film zu drehen, der die junge Generation anspricht. Ein Film über den Mann, der das Leben absolut positiv sieht", sagt er. "Ich behandle ihn nicht wie: Oh Gott, er hat den Holocaust überlebt."

Für ihn ist Andrei Iwanowitsch auch einfach ein Freund.

© SZ vom 25.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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