Volksfeste in Bayern:Vom Untergang der Schiffschaukeln

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Einst war die Rundumschaukel auf Volksfesten die Bühne, auf der Burschen ihren Mädchen imponieren konnten. Inzwischen aber sind die nostalgischen Exemplare ins Abseits gedrängt worden. Daran sind nicht nur Hightech-Fahrgeschäfte schuld.

Von Hans Kratzer, München

Vor etlichen Jahren hat die Münchner Schaustellerin Ramona Ehrhardt auf der Auer Dult erzählt, es gebe da ein Mädchen, das immer nur zum Schaukeln vorbeikomme, sonst interessiere sie nichts. "Sie schaukelt eine Runde und geht zufrieden nach Hause." Heute lässt das Schaukelvergnügen die meisten Kinder kalt. In fast jedem Garten steht mittlerweile ein Trampolin oder eine Hüpfburg, auf den großen Volksfesten sorgen hochgerüstete Hightech-Fahrgeschäfte für Nervenkitzel.

Da kann ein nostalgisches Schaukelgeschäft nicht mithalten. Dabei haben gerade Schiffschaukeln über Generationen hinweg die Kinder quasi aus dem Alltag entschweben lassen und ihre Lebensfreude genährt. Dementsprechend schaute das Angebot auf den Volksfesten und Dulten aus, wie es der Schriftsteller Ödön von Horvath so schön dokumentiert hat: Da gab es "Schießbuden und Spielautomaten, Wahrsagerinnen, Feuerfresser, Messerschlucker, saure Gurken, dazu Karussell neben Karussell, Schaukel neben Schaukel."

Auf dem Oktoberfest findet sich nur noch ein Exemplar

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Nostalgische Szenarien wie diese bieten moderne Volksfeste längst nicht mehr. Die technische Aufrüstung auf dem Sport- und Spielgerätesektor, die Sensationen der digitalen Welt und die Überfütterung mit Reizen haben den meisten Schaukelbetreibern den Garaus gemacht. Die Schiffschaukeln sind rar geworden. Selbst auf dem Oktoberfest findet sich nur noch ein Exemplar. Sich mit eigener Muskelkraft hoch in die Lüfte zu schwingen, das war nicht nur für Kinder eine Herausforderung.

Für Heranwachsende bot die Schiffschaukel günstig die Gelegenheit, um ihren Heldenstatus ins rechte Licht zu rücken und die Mädchen zu beeindrucken. Ein Journalist hat die Schiffschaukel einst sogar als ein Symbol der Liebe gewürdigt, "wenn er schaukelt und sie neben ihm sitzend ihn bewundert".

Können Kinder noch schaukeln?

Vor allem die Rundumschaukel war für Kraft- und Mutproben ideal geeignet. Wer den Überschlag schaffen will, benötigt freilich nicht nur Kraft, sondern auch eine ausgefeilte Technik: Wenn die Schaukel nach oben schwingt, sollte der Schaukelheld aufrecht stehen. Geht es abwärts, drückt ihn die Fliehkraft in die Hocke. Mit der Zeit wird es immer härter, beide Beine durchzustrecken, um den Schwung mitzunehmen. Mit zitternden Oberschenkeln und schmerzenden Oberarmen auszusteigen, das ist der Preis des Angebens. Wer den Überschlag nicht schafft, kassiert obendrein die Schmach der Blamage.

Können denn heutige Kinder überhaupt noch schaukeln? "Nein", sagt der Augsburger Schausteller Edmund Diebold, "diese Technik beherrschen bei weitem nicht mehr alle. In der virtuellen Welt kennen sie sich besser aus." Aber nicht nur deshalb sind für ihn die traditionellen Fahrgeschäfte zum Aussterben verdammt. In den vergangenen 20 Jahren habe sich die Zahl der Kinder halbiert, sagt Diebold, und somit habe sich auch die Nachfrage nach Fahrgeschäften halbiert.

Der Mindestlohn bereitet Probleme

Thomas Kreiß gehört zu den letzten Schaustellern in Bayern, die noch eine Schiffschaukel betreiben: "Es wird immer schwieriger, die Leute werden bequemer. Sie setzen sich lieber irgendwo rein, wo sie sich selber nicht bewegen müssen", hat er beobachtet. Schiffschaukeln sind die einzigen Fahrgeschäfte, bei denen der Fahrgast die Bewegung selber erzeugt. Um 1890 kam die heute gebräuchliche Form für zwei Personen auf. Thomas Kreiß betreibt die Schaukel in der fünften Generation. "Ich will diese Tradition unbedingt erhalten", sagt er.

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Bei Kreiß funktioniert der Betrieb nur noch, weil er die Schaukel selber auf- und abbaut und technisch wartet. "Das Aufbauen ist anstrengend und aufwendig", sagt er. Es sind schwere Teile zu bewegen, Verankerungen müssen tief in den Boden getrieben werden. Jene Kunden, die nicht schaukeln können, die also den Impuls im falschen Moment setzen, muss der Schaukelbetreiber kräftig anschieben. Ein Schaukelschiff wiegt gut 100 Kilogramm, dazu kommen zwei Personen mit je circa 50 Kilogramm. Es sind also permanent 200 Kilogramm Gewicht zu beschleunigen oder auszubremsen.

Früher erledigte diesen Job ein Schaukelbursche oder Schiffschaukelbremser, es waren gering qualifizierte Hilfskräfte. Heute bekämen sie den Mindestlohn von 8,50 Euro. "Das ist nicht mehr zu erwirtschaften", sagt Kreiß, der nach einem langen Arbeitstag weiß, was er körperlich geleistet hat.

Auch Roland Schramm, Schausteller in Franken, betreibt noch eine Schiffschaukel. "Ein Geschäft ist das nicht mehr", bestätigt er die Worte seiner Kollegen. "Die Jugend gibt ihr Geld für Handys aus", sagt er. Misslich sei auch, dass viele Märkte und Kleinstädte ihre Volksfeste nicht mehr ausreichend unterstützten. "Die haben das Geld nicht mehr übrig." Die Folge: Auch die Freimarkerl für die Kinder sind damit weg. "Zum Glück gibt's noch die Weihnachtsmärkte", sagt Schramm. "Ohne sie ginge gar nichts mehr."

"Mit einer Nostalgie-Schiffschaukel lockst du heute niemanden mehr an", sagt Günther Haimerl, der Vorsitzende des Schaustellerverbands Ostbayern. "Wir haben als Kinder früher schon neugierig beim Aufbau der Fahrgeschäfte zugeschaut, aber heute ist das uninteressant." "Fressen und Saufen, das geht noch", weiß Haimerl. Deshalb verdienen viele Schausteller mittlerweile ihr Geld mit Imbissständen, Mandeln, glasierten Früchten und Wurfbuden. "Früher waren Volksfeste die Nummer 1 auf dem Vergnügungsmarkt", sagt Haimerl, "heute sind sie im Freizeitgeschäft ein Faktor von vielen. Die Leute können ihr Geld aber nur einmal ausgeben."

Seit 1998 geht es steil bergab

"Auch die alten Varieté-Schaubuden haben ausgedient", sagt Haimerl, "in Zeiten des Internet sind sie nicht mehr interessant." Selbst der Autoscooter - von dem man es nicht meinen sollte - hat viel von seiner einstigen Popularität eingebüßt. Früher war das der beliebteste Jugendtreff auf einem Volksfest. "1998 war unser bestes Autoscooter-Jahr", sagt Edmund Diebold. "Damals spürten wir das Interesse der Zuwanderer aus der DDR und aus Russland. Das hat uns gut getan. Von da an ging es steil bergab."

Den Kopf in den Sand stecken die Besitzer der Traditionsgeschäfte aber nicht. In ihrer oft mehr als hundertjährigen Geschichte haben die Schaustellerfamilien gelernt, sich in Krisenzeiten zu behaupten. "Irgendwie wird's immer weitergehen", sagt Roland Schramm, der seinen Betrieb trotz Schaukel- und Autoscooterkrise kürzlich sogar vergrößert hat.

© SZ vom 22.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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