Das Ende einer Ära:Hier steht er, er kann nicht anders

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Chef der AOK Bayern, Helmut Platzer. (Foto: Steffen Leiprecht/AOK)

Helmut Platzer lehrte 20 Jahre lang an der Spitze der AOK Bayern Ärzte, Pharmafirmen und Politiker das Fürchten. Als einer der Mächtigsten im Gesundheitswesen will er bis zum letzten Arbeitstag kämpfen

Von Dietrich Mittler, München

Der erste Eindruck von Helmut Platzer, dem Chef der AOK Bayern: ein Mann wie ein Monolith - einer, der sich nicht mehr von der Stelle bewegt, wenn er diese für sich als die einzig wahre ausgemacht hat. Zweiter Eindruck: Dieser Mann legt keinen großen Wert auf Status-Symbole im Büro. Dritter Eindruck: Platzer spricht wie jemand, der gerade dabei ist, als neuer Chef die AOK Bayern in die Zukunft zu führen. "Mir ist daran gelegen, dass in zehn, zwanzig Jahren das System der Sozialversicherung noch genauso stabil ist wie heute", sagt er. In einem solchen Moment scheint es fast so, als ob der 64-Jährige gerade selbst vergisst, dass er nach mehr als 20 Dienstjahren bei Bayerns größter Krankenkasse nun zum 1. März sein Amt niederlegen will.

Im Grunde aber verhält es sich mit Helmut Platzer so: Er kann gar nicht anders, als diese Kasse bis zur letzten Minute mit voller Kraft zu leiten. "Ich habe eine Aufgabe übernommen bei der AOK, und ich werde dafür bezahlt, dass ich die so gut wie möglich wahrnehme", sagt er. In der Konsequenz heißt das aber für die ersten Monate nach dem 1. März: "Nach so einem Berufsweg muss man sich erst einmal ins Abklingbecken begeben", sagt er.

Doch bis dahin, um im Bild zu bleiben, denkt Helmut Platzer gar nicht daran, Strahlungsaktivität und Betriebstemperatur herunterzufahren. Qua Amt ist er einer der mächtigsten Männer im bayerischen Gesundheitswesen - dafür spricht schon das Budgetvolumen der AOK Bayern: Inklusive Pflegeversicherung liegt dieses 2018 bei 17, 5 Milliarden Euro. Das sei "der zweitgrößte öffentliche Haushalt in Bayern - nach dem des Freistaats". "Auf 220 Arbeitstage im Jahr runtergerechnet, sind das rund 75 bis 80 Millionen Euro an Ausgaben pro Tag", sagt Platzer. Augenblicklich liegt der Marktanteil der AOK in Bayern bei 40,5 Prozent, die Kasse hat aktuell gut 4,55 Millionen Versicherte.

Beim Aufzählen dieser Geschäftsdaten fällt Platzer umgehend eine Geschichte ein - so wie er generell wenig vergisst, was sich einmal gegen seine Kasse oder gegen ihn selbst gerichtet hat. Aber diese eine Geschichte hier, die gehört für ihn inzwischen zu den amüsanten. "Wenn ich daran erinnern darf", hebt er an, "da gab es ein wunderbares Zitat damals, von unserem Noch-Ministerpräsidenten Horst Seehofer." Seehofer, seinerzeit Bundesgesundheitsminister, war gefragt worden: Wann bitte funktioniert der Wettbewerb zwischen den Krankenkassen? "Wenn die AOK 25 Prozent ihrer Versicherten verloren hat", habe der CSU-Politiker darauf geantwortet. "Wenn es danach ginge, würde der Wettbewerb nach wie vor nicht funktionieren", sagt Platzer trocken.

Bayern sei "ein interessanter Markt", betont er. Heißt: ein umkämpfter Markt, in dem es kein Pardon gibt. In diesem Sinne streiten sich die gesetzlichen Kassen derzeit um den Finanzausgleich aus dem Gesundheitsfonds. Im Fach-Jargon gesprochen, geht es aktuell um den "Morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich", kurz: um den "Morbi-RSA". Laienhaft ausgedrückt dreht es sich darum, dass Kassen mit relativ vielen gesunden, weil meist jüngeren Versicherten Ausgleichszahlungen an ihre Konkurrenz hinnehmen müssen, wenn deren Versicherte zu einem höheren Anteil an Krankheiten leiden.

Für die Ersatzkassen etwa steht da einwandfrei fest: "Durch die einseitige Bevorteilung der AOKen entstehen gefährliche Ungleichgewichte." Das bedrohe "die Stabilität der Gesetzlichen Krankenversicherung" insgesamt, bis hin zum Konkurs einzelner Kassen. Andere wiederum fordern "eine ehrliche, unvoreingenommene und differenzierte Analyse der vorgelegten Zahlen". Das sind Momente, in denen Helmut Platzer zumindest innerlich seine Hemdsärmel hochkrempelt. "Die Diskussion ist schräg, weil sie unehrlich ist", sagt er. Und: "Offenbar meint momentan der eine oder andere, wenn das mit den Fake-News so gut funktioniert, dann könnte das ja auch beim Morbi-RSA klappen."

Namen nennt er nicht - man versteht sich auch so in der Branche. Natürlich fallen auch der Konkurrenz Episoden zu Helmut Platzer ein. Ohne Namensnennung. Einmal etwa, da konnten sich die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassenverbände in Bayern (Arge) nicht einig werden. Kurzum: Die AOK Bayern - immerhin die viertgrößte Krankenkasse Deutschlands - wurde überstimmt. "Das war das erste Mal in der Geschichte der Arge, dass ein solches Abstimmungsverfahren eingeleitet wurde, und danach blieb Helmut Platzer über lange Zeit dem Jour fixe auf Vorstandsebene fern und schickte seiner statt einen Stellvertreter."

Ein geradezu historisches Ereignis führte Platzer jedoch zurück in die Runde: Bayerns Hausärzte - damals unter der Leitung des Verbandschefs Wolfgang Hoppenthaller - waren drauf und dran, aus dem Kassensystem auszusteigen, was aber letztlich 2010 kurz vor Weihnachten in der Nürnberger Arena daran scheiterte, dass viele Ärzte vor diesem radikalen Schritt doch zurückschreckten. In dieser Zeit sammelte Platzer die Kassen um sich zum Gegenschlag; die AOK kündigte ihren rentablen Hausarztvertrag auf. Bis heute streiten sich die AOK und der Bayerische Hausärzteverband vor Gericht über den aktuellen Vertrag. Dass es wieder einen AOK-Hausarztvertrag gibt, ist letztlich darauf zurückzuführen, dass der damalige Gesundheitsminister Markus Söder die AOK dazu drängte. "Das Tribunal im Landtag", so sieht es Platzer bis heute.

Für ihn als Juristen sind indes Prozesse nichts Außergewöhnliches. An die 200 Verfahren seien nötig gewesen, die Pharma-Industrie zu Rabattverträgen zu bewegen. Unter Platzers Regie geht die AOK zudem gegen betrügerische Ärzte und Pflegedienste vor, nicht zu vergessen die Qualitätsoffensiven - Kampf auf ganzer Linie also. "Alles im Sinne der Versicherten", sagt er. Und dann die bevorstehende AOK-Reform: Er denke gar nicht daran, die 39 regionalen AOK-Direktionen in Bayern aufzulösen. Im Gegenteil sollten sie neue Aufgaben bekommen, um so ihren Bestand zu sichern. Aber das, so sagt er, habe er alles mit seiner Nachfolgerin Irmgard Stippler besprochen, die dann das Ruder übernehme. Und wie geht es mit ihm weiter? "Also ich werde mich nicht aus der Sklaverei eines Terminkalenders in die eines anderen Terminkalenders begeben", sagt er.

© SZ vom 05.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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