Buddhisten-Treffen in Immenstadt:Der Pfad zur Erleuchtung führt durchs Allgäu

Lesezeit: 3 min

Wer innere Ruhe sucht, der findet sie offenbar in Immenstadt: 3000 Buddhisten meditieren dort bis Samstag - für eine Massenveranstaltung geht es ziemlich gelassen zu.

Nils Nordmann

Der Lama sitzt an einer massiven Holztafel im Gut Hochreute, genannt "die Villa". Das Haus thront hoch über dem spiegelglatten Großen Alpsee nahe Immenstadt. Noch bis Sonntag werden hier 3000 Buddhisten aus 40Ländern die Meditation des bewussten Sterbens erlernen, auf Tibetisch heißt das "Phowa". Der "Internationale Sommerkurs" ist bereits das 18. Treffen der Buddhismus-Anhänger, zum dritten Mal findet es im Allgäu statt. Lama Ole Nydahl ist gebürtiger Däne und hatte im Jahr 1969 in Nepal den Pfad zur Erleuchtung gefunden. Seit Jahren reist er durch die Welt, um zu lehren.

Zum dritten Mal versammeln sich Buddhisten im Europa-Zentrum über dem Großen Alpsee. Lama Ole Nydahl lehrt seine Schüler noch bis Sonntag die Meditation des "bewussten Sterbens". (Foto: picture-alliance/ dpa)

Zorn, Stolz, Eifersucht - bei den Buddhisten Störgefühle - all das soll es auf Gut Hochreute nicht mehr geben. Denn vor drei Jahren errichtete die deutsche Buddhismusstiftung des Diamantwegs, die zur historischen Karma-Kagyü-Linie gehört, dort ihr Europa-Zentrum. Das größte Buddhismustreffen Deutschlands kann man durchaus als die entspannendste Massenveranstaltung des Landes bezeichnen.

Bei den katholischen Nachbarn sind die Anhänger willkommen. "Wir sind schon daran gewöhnt, dass sich hier religiöse Gruppen niederlassen", sagt eine junge Immenstädterin und erzählt von zahllosen Esoterikern und selbsternannten Medizinmännern, die seit Jahren im Hinterland praktizieren. "Die Allgäuer sind grundsätzlich bei allem, was neu ist, sehr sperrig. Buddhismus ist hier etwas Exotisches, aber wir haben uns daran gewöhnt", betont auch Claudia Scheck, Besitzerin einer Lotto-Annahmestelle.

Die Immenstädter sehen es pragmatisch, bei zahlenden Touristen ist jede Konfession willkommen. "Nur wenn wir am Sonntag in die Kirche gehen, ist es schon seltsam, wenn die Buddhisten da oben in der Villa sägen und hämmern", sagt Waltraut Hagenauer, die seit 33 Jahren in Trieblings direkt am EuropaZentrum wohnt, und mutmaßt: "Die kennen wohl keinen Sonntag."

Für Immenstadts Bürgermeister Armin Schaupp sind Buddhisten in dieser Region schon lange eine Selbstverständlichkeit, den Status von liebenswürdigen Sonderlingen haben sie nach seiner Ansicht abgelegt. "Seit 20 Jahren gibt es ein buddhistisches Kloster in Oy-Mittelberg", sagt er. Der parteilose Schaupp freut sich "über das neue Stück Weltoffenheit". Das bisher 4,5 Millionen Euro teure Buddhisten-Zentrum soll bis 2013 weiter ausgebaut werden. Insgesamt 80 Gäste werden dort Platz finden - auch für längere Zeiträume zum Meditieren.

Einige von ihnen suchen sich auch Arbeit in der Umgebung. "Die Buddhisten versuchen, sich in der Region zu integrieren", sagt Schaupp. Seit 2008 bittet er die örtlichen Vertreter der Kirchen zusammen mit den Buddhisten halbjährlich zu Gesprächsrunden. Seitens der Gäste des Sommerkurses kommt gar Bewunderung auf: "Die Religion hier ist tief im Alltag verwurzelt", sagt der gebürtige Vietnamese Thang Tran: "Allein schon die Formel ,Grüß Gott' verleiht dem Alltag viel Stabilität."

131 Zentren und Gruppen unterhält die Stiftung Diamantweg bundesweit, niemand muss Mönch werden, alles lässt sich in den Alltag als Lifestyle einbauen. Nydahl, der nicht nur unter Buddhisten anderer Vereinigungen umstritten ist, und dem Kritiker "Anti-Islam-Tiraden" oder "Instant-Buddhismus" vorwerfen, hat mit seiner medialen Präsenz einen großen Anteil am Erfolg dieser Linie. Etwa bei Lutz und Karin Friedrich, die Nydahl vor 18 Jahren während eines Fernsehauftrittes bei Alfred Biolek sahen und nicht mehr von ihm loskamen. Sie waren nicht die Einzigen: "Unsere Mitgliederzahlen stiegen nach der Sendung ungewöhnlich stark an", sagt Caty Hartung von der Diamantweg-Stiftung.

"Von rekrutieren oder sogar missionieren sprechen wir aber nicht", sagt Paul Partington, der aus London angereist ist. Er trägt ein schwarzes T-Shirt und eine Leinenhose, seine langen Haare hat er zurückgebunden. "Die meisten von uns kommen aus der gehobenen Mittelschicht, sind gut ausgebildet und unabhängig" sagt Partington, der beim IT-Konzern IBM arbeitet. "Wir sind eine Erfahrungsreligion, keine Glaubensreligion. Buddha selbst hat kurz vor seinem Tod angeordnet, dass jeder seine Lehren an sich selbst überprüfen soll", sagt er.

"Eigentlich auf einer Ebene"

Keine Regeln, kein Stress also? Die Gäste des Camps bewegen sich tatsächlich beeindruckend entspannt durch das dichte Gedränge in den Zelten, durch die langen Warteschlangen an der Essensausgabe und zu den spartanischen Sanitäranlagen. Überall begrüßen sich alte Bekannte euphorisch, alle haben sich lieb. Buddhisten aus England, Frankreich, Polen, Russland, Tschechien, Australien und Südamerika haben sich versammelt.

Allumfassende Erleuchtung also an der Hochreute? "Wir haben Distanz zu unserem Wertegefühl gewonnen", sagt der 67-jährige Lutz Friedrich. Dennoch ist er mit seiner Frau im Mercedes angereist. "Ihr Ego haben noch nicht alle vollständig überwunden", sagt Caty Hartung in Bezug auf einen Streit, den es kürzlich um die Belegung der Gästezimmer gab.

Auch wenn es organisatorische Hierarchien im Buddhismus gäbe - "vom Selbstverständnis sind alle Buddhisten eigentlich auf einer Ebene", sagt Jürgen Gräf von der Deutschen Buddhistischen Union, dem Dachverband in Deutschland. Das Oberhaupt der Karma-Kagyü-Tradition konnte übrigens nicht ins Allgäu reisen. Karmapa Thaye Dorje widmet sich derzeit in Indien einer mehrmonatigen Meditation. Auch die großen Meister müssen also noch lernen.

© SZ vom 11.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: