Advent:Wie aus dem Weihnachtsfest ein Event wurde

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Mittlerweile leuchten die Christbäume auf diversen öffentlichen Plätzen bereits eine Woche vor dem ersten Advent. (Foto: dpa)

Christbäume leuchten schon vor dem ersten Advent, aus Weihnachtsmärkten werden Wintermärkte. Die Kommerzialisierung verändert die stade Zeit auf groteske Weise.

Von Hans Kratzer

Wer sich mit dem Gedanken trägt, demnächst Plätzchen zu backen, der sollte sich beeilen. Eigentlich hat die Plätzchenzeit noch gar nicht richtig begonnen, und doch läuft der Kunde schon jetzt Gefahr, keine Backzutaten mehr zu bekommen. Alles ausverkauft!, hieß es in den vergangenen Jahren mitten in der Kernzeit des Plätzchenbackens. So absurd das auch klingen mag, der Zutatenmangel ist die Folge einer kommerziellen Spinnerei: Die Backindustrie bietet das Plätzchen- und Lebkuchenzubehör immer früher feil, weil sich in den Kaufhäusern bereits Ende September die Lebkuchen und Schoko-Nikolause türmen.

Die Wucht der Kommerzialisierung verzerrt die Abfolge des Jahresbrauchtums auf eine groteske Weise. Zuletzt ist der Christbaumbrauch immer weiter in den Advent vorgerückt, mittlerweile leuchten die Christbäume auf diversen öffentlichen Plätzen bereits eine Woche vor dem ersten Advent. Dabei beginnt die Weihnachtszeit offiziell erst am Weihnachtstag (25. Dezember).

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Der Filmemacher Gerhard Ledebur hat diese Entwicklung bereits in den frühen Siebzigerjahren kommen sehen. In seinen Filmen für das Bayerische Fernsehen ließ Ledebur deshalb Menschen zu Wort kommen, die noch vom alten Jahresrhythmus geprägt und ohne die Segnungen des Wohlstands aufgewachsen waren. Sie sagen unisono, sie hätten in ihrer Kindheit den schönsten Advent und das schönste Weihnachtsfest erlebt, das man sich vorstellen kann. Doch schon damals begann der Kommerz den Advent umzuformatieren, und zwar bis in die Sprache hinein.

Nicht nur, dass alte Christkindlmärkte in Weihnachtsmärkte umbenannt wurden. Mit dem Begriff Wintermarkt wird der Weihnachtsbezug neuerdings gänzlich unterschlagen. Der Münchner Flughafen musste für seinen 2006 installierten Wintermarkt viel Kritik einstecken.

Der Integrationsbeauftragte der Staatsregierung, Martin Neumeyer, kritisierte, hier würden ohne Not um einer vermeintlichen Toleranz und politischen Korrektheit willen alte Traditionen christlichen Ursprungs geopfert, obwohl die meisten Andersgläubigen überhaupt keinen Anstoß daran nähmen. Der Flughafen argumentierte, der Markt im München Airport Center stehe bis zum 7. Januar offen, also zwei Wochen länger als die klassischen Weihnachtsmärkte.

Michael Ritter, der Brauchtumsexperte des Landesvereins für Heimatpflege, sagt, er habe kein Problem mit Wintermärkten, denn: "Es ist fast der ehrlichere Begriff." Man dürfe sich nichts vormachen, sagt Ritter. "Auf den Christkindlmärkten überwiegen die Essensstände, nur dort werden noch Umsätze erzielt." Traditionsstände, die Krippen und Weihnachtsschmuck vertreiben, könnten von ihren Erlösen längst nicht mehr existieren. Sie seien, wie die Weihnachtsmusik, nur noch ein dekoratives Element der Märkte.

Im Allgäu sind es finstere, anonyme Gestalten wie die Perchten, die im Advent in Aktion treten. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Die religiöse Prägung des Advents schwindet dahin wie das Eis in der Sonne. Bis 1917 waren diese Wochen noch eine kirchlich vorgeschriebene strenge Fastenzeit. Sie begann nach dem Martinstag (11. November) und dauerte, wie jene vor Ostern, 40 Tage.

Überhaupt der Martinstag: Bis heute gilt es als ausgemacht, die traditionelle Martinsgans gehe auf jene Legende zurück, wonach schnatternde Gänse das Versteck des heiligen Martin verraten hätten. Diese Legende ist aber höchstens 500 Jahre alt. Tatsächlich wurde früher am Martinstag wegen der bevorstehenden Fastenzeit üppig geschmaust. Die Menschen schlugen sich noch einmal die Bäuche voll - wie an den Faschingstagen vor dem Aschermittwoch.

Auch im katholisch geprägten, aber rasant säkularisierten Bayern treten die christlichen Elemente des Brauchtums immer weiter in den Hintergrund. Die Grenzen zwischen Figuren wie Nikolaus, Weihnachtsmann und Christkind verschwimmen. "Wir müssen akzeptieren, dass sich Bräuche an eine veränderte Welt anpassen müssen. Das ist nichts Negatives", sagt Ritter, der seine These mit einem schlagenden Argument untermauert. "Wenn wir keine Veränderungen zuließen, hätten wir keinen Christbaum." Der wurde nämlich erst im späten 19. Jahrhundert in den Bürgerhäusern populär. Auch der Krippenbrauch setzte erst im 19. Jahrhundert ein.

Selbst das Christkind spielte lange Zeit nur eine untergeordnete Rolle, die dominierende Adventsgestalt war einst der Nikolaus, dessen Festtag (6. Dezember) auch der Tag der Bescherung war. Eine Handschrift des Klosters Tegernsee aus dem 15. Jahrhundert bestätigt den Nikolaus als den Gabenbringer. Die oft beklagte Pervertierung des Brauchtums ist ein zeitloses Phänomen.

Ausschreitungen und Unfälle sind kein Privileg heutiger Perchtenläufe. Diese dunkle Seite des Advents hat es immer gegeben. Anno 1601 vermerkte der Landrichter von Berchtesgaden "ain merckliche große Unzucht mit dem Perchtlauffen". Über Jahrhunderte hinweg gab es Übergriffe und Schlägereien. Alte Polizeiakten aus München belegen Tumulte, phasenweise wurde das Herumfahren des Nikolaus und seines Gefolges verboten. Der Übergang zwischen Brauchtum, Betteln und Kriminalität war stets fließend.

Dies verwundert insofern nicht, als den großen Heiligen der Adventszeit - Nikolaus, Lucia, Thomas - jeweils unheimliche Figuren zur Seite stehen. Sie heißen Knecht Ruprecht, Krampus, Klaubauf, schiache Luz und blutiger Dammerl. Im Berchtesgadener Land begleiten Buttenmandln den Nikolaus. Sie tragen Tiermasken, ihre Körper sind mit Stroh umwickelt, und mit ihren Kuhglocken schlagen sie einen Heidenlärm. Wenn diese maskierten Schreckgestalten über die Stränge schlagen, dann reiht sich ihr Übermut nahtlos ein in die Exzesse der Eventgaudi, die sich vom Oktoberfest bis hin zum Fasching und zur Starkbierzeit fortsetzen.

Anmutig: In Nürnberg hat das Christkind namens Barbara Otto seinen großen Auftritt. (Foto: dpa)

Der Kulturkampf zwischen Nikolaus und Weihnachtsmann war in den vergangenen Jahren ein großes Thema in den Medien. Aber auch dieser Konflikt ist viel älter, als man denkt. In München hat der Weihnachtsmann schon vor mehr als hundert Jahren Einzug gehalten. Bezeichnend, dass das Neue Münchner Tagblatt im Jahr 1900 vor der "Entchristlichung des Weihnachtsfests" warnte.

Die Amerikanisierung der Adventszeit setzte ein, als der Freistaat Bayern vom armen Agrarstaat in eine Industrieregion umgemodelt wurde. Bis dahin hatte eine überreiche Volkstradition mit ihren Bräuchen, Liedern und Erzählungen eine gefühlsbeladene Identität gestiftet. Am Fuße der Alpen gab man sich allzu gerne der Illusion hin, das Geschehen von Bethlehem müsse sich doch irgendwo in den heimischen Bergen abgespielt haben.

Für die Generation der heute 70-Jährigen ist diese Welt mit ihren Barbarazweigen, Rorateämtern und Losnächten in der Erinnerung immer noch präsent. Der Generation der 20-Jährigen aber ist sie so fremd wie der Mars. Der Advent zeigt, dass die Erlebnishorizonte in der bayerischen Gesellschaft noch nie so weit voneinander entfernt waren wie heute.

Noch nie gab es so viele Bräuche wie heute

Zweifellos ist bei der Eventisierung des Advents manches aus dem Ruder gelaufen. Aber man hat sich an die Happy-X-Mas-Partys, hampelnden Weihnachtsmänner, halbnackten Bunnys und grellen Lichterketten gewöhnt, selbst wenn sie das adventliche Bayern in eine Atmosphäre tauchen, die bisweilen doch mehr an das Rotlicht-Milieu als an die "Stille Nacht" erinnert. Es zeigt sich aber auch, dass manche Geschmacksverirrung ihren Höhepunkt überschritten hat. Selbst dem medial gehypten Halloweentreiben scheint bereits die Luft auszugehen.

Eines ist erstaunlich: "Es hat noch nie so viele Bräuche gegeben als heute", sagt der Regensburger Kulturwissenschaftler Daniel Drascek. Auch wenn sie sich ständig verändern, so zeichnet die Bräuche immer noch aus, dass sie einen Tag vom andern unterscheiden, "sie sind ein Haltepunkt im Zeitenstrom", sagt Drascek.

Wie schnell sich Bräuche neuen Verhältnissen und Bedürfnissen anpassen, zeigt sich sehr nachhaltig in Fürstenfeldbruck, wo die Schulkinder jedes Jahr im Dezember aus Pappe Modelle von Stadthäusern basteln und diese nach der Segnung auf der Amper davonschwimmen lassen.

Diese Veranstaltung geht auf das Hochwasser von 1785 zurück und zeigt, dass Bräuche nicht vom Himmel fallen, sondern erfunden werden, wenn man sie braucht. Die Globalisierung hat diesen dynamischen Prozess extrem beschleunigt, natürlich auch mit allen negativen Folgen. Das ist nicht zuletzt am Nürnberger Christkindlesmarkt zu erkennen, der am Freitag eröffnet wurde.

Stabile Glühweinpreise und neue Tassen täuschen nicht darüber hinweg, dass ein dunkler Schatten über der Großveranstaltung liegt, der langfristig imstande ist, jedes Brauchtum und jede Freude zu zerfressen. Wegen der Angst vor einem Attentat haben im Vorjahr zehn Prozent weniger Besucher den Christkindlesmarkt besucht.

© SZ vom 26.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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