Bayern-SPD-Chef Pronold:"Lernen, positiv über uns zu reden"

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Florian Pronold über die Wahllügen der Union, den Spitzenkandidaten Steinmeier - und welche Lektion die Genossen lernen müssen.

H.-J. Jakobs, B. Kruse, O. Das Gupta

Seit Mitte Juli ist Florian Pronold Landesvorsitzender der BayernSPD. Der 36-jährige Niederbayer tritt damit die Nachfolge von Ludwig Stiegler an. Pronold ist seit 1989 SPD-Mitglied und sitzt seit 2002 im Bundestag.

Florian Pronold: "Wichtig ist doch nur, wie viel sozialdemokratische Politik am Ende dabei rauskommt." (Foto: Foto: ddp)

sueddeutsche.de: Herr Pronold, die SPD steckt in einer Identitätskrise - und in Bayern ist sie seit Jahrzehnten in einer Dauerkrise. Wie fühlen Sie sich als neuer Insolvenzverwalter der Sozialdemokraten?

Florian Pronold: Im Gegensatz zu Guttenberg halte ich eine Insolvenz nicht für eine gute Strategie, wenn man etwas erhalten und aufbauen will. Nein, ich sehe mich wirklich nicht als Insolvenzverwalter - sondern als Teil eines Teams, das die gute sozialdemokratische Substanz wieder zu neuem Leben erweckt. Es gibt viele sozialdemokratische Herzen in Bayern, die wir wiedergewinnen können. Momentan gelingt es noch nicht, bei den Leuten anzukommen.

sueddeutsche.de: Woher nehmen Sie dann Ihren Optimismus?

Pronold: Man kann immer am meisten überraschen, wenn keiner mehr einen Pfifferling auf einen setzt. Das habe ich bei den letzten beiden Bundestagswahlen erlebt. Viele hatten die SPD schon abgeschrieben - und die hat dann doch wieder die Regierungsverantwortung übertragen bekommen. Ich bin sicher, die SPD wird im Berliner Reichstag die stärkste Fraktion stellen.

sueddeutsche.de: Ist Frank-Walter Steinmeier wirklich der Richtige, um der SPD wieder zu besseren Wahlergebnissen zu verhelfen? Als Wahlkämpfer mit knackigen Sprüchen ist er bislang kaum in Erscheinung getreten.

Pronold: Frank-Walter Steinmeier ist der Richtige für uns. Und sein sehr diplomatisches Auftreten wird er sicherlich in den letzten Wochen noch verändern.

sueddeutsche.de: Die SPD als stärkste Bundestagsfraktion - das sieht im Augenblick wie ein großer Traum aus. Wie stellt sich Ihr Sanierungsplan für die Sozialdemokraten dar?

Pronold: Zum einen geht es um die Frage, welche politischen Inhalte wir in den Mittelpunkt rücken. Zum anderen müssen wir lernen, positiv über uns selbst zu reden, unsere Erfolge offensiver zu verkaufen. Das fällt uns Sozialdemokraten gemeinhin am schwersten.

sueddeutsche.de: Was glauben Sie: Welche Themen berühren die Menschen?

Pronold: Das fängt bei der Frage an, wie man von seiner Hände Arbeit leben kann. Ohne uns gäbe es zwei Millionen mehr Arbeitslose. Und ohne Kurzarbeitergeld und die ganzen anderen Maßnahmen, wäre hier Heulen und Zähneklappern. Dann spielt die Atomenergie eine große Rolle: Die CSU befürwortet sie - und schreit auf, wenn es um die Frage nach neuen Endlagern geht. Schließlich muss man sich nur mal das Wahlversprechen der Union für Steuerkürzungen genauer betrachten. Übersetzt heißt das nichts anderes als massive Kürzungen im Sozialbereich. Schwarz-Gelb will das, wir nicht.

sueddeutsche.de: An allen Erfolgen, die Sie für die Sozialdemokraten reklamieren, war letztlich auch der Koalitionspartner CDU/CSU beteiligt.

Pronold: Stellen Sie sich vor, Guido Westerwelle, Michael Glos und Friedrich Merz hätten dieses Krisenszenario bewältigen müssen! Ohne Frank-Walter Steinmeier, der 80 Prozent des Konjunkturpakets aufgeschrieben hat, würde es ziemlich düster aussehen.

sueddeutsche.de: Zum Leidwesen der Berliner Koalition springt der Finanzmarkt noch nicht wie geplant an. Soll sich der Staat stärker in die Bankgeschäfte einmischen?

Pronold: Die Kreditversorgung klemmt. Wenn das neue Bad-Bank-Modell nicht funktioniert, müssen wir den direkten Weg gehen - und darüber nachdenken, über die Bundesbank oder die Förderbanken direkt die Kreditversorgung bei den Unternehmen sicherzustellen. Das wird sich im Herbst herausstellen. Wir können es nicht zulassen, dass die Banken jetzt wieder das Spekulieren anfangen, anstatt sich ihren eigentlichen Aufgaben zu widmen.

sueddeutsche.de: Sie sind also für die kurze Kette und nicht für die lange Leine. Gleichzeitig wollen Sie aus der SPD eine Partei der Freiheit machen. Ein Widerspruch?

Pronold: Nein. Es geht um die Freiheit aller und nicht um die Freiheit weniger. Das Konzept von Schwarz-Gelb ist die Freiheit für wenige. Es kann nicht sein, dass es völlige Freiheit für Börsenspekulanten gibt und Arbeitnehmer, die vom Jobverlust bedroht sind, nur noch die Freiheit haben zu wählen, ob sie zum Arbeitsamt gehen oder nicht. Freiheit bedeutet auch Freiheit vor Angst. Es muss auch in einer Marktwirtschaft Regularien geben, die für alle gelten - und wo man sich darauf einigt, dass niemand für Hungerlöhne von vier oder fünf Euro arbeitet.

sueddeutsche.de: Was ist denn die wichtigste Lektion, die die SPD in den wenigen Wochen bis zur Bundestagswahl noch lernen muss?

Pronold: Unsere Themen offensiver in die Auseinandersetzung einzubringen. Schwarz-Gelb versucht ja gerade, den Wahlkampf im Schlafwagen zu gewinnen, indem sie sich möglichst nicht festlegen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Florian Pronold von einer Koalition mit der Linken hält und welche wichtige Lektion die Genossen noch lernen müssen.

sueddeutsche.de: Dennoch hat die SPD in den Umfragen das Nachsehen. Warum trauen so viele Menschen Ihrer Partei nicht mehr zu, das Land aus der Krise zu führen?

Pronold: Wir haben im Land das Krisenmanagement übernommen - ohne uns darum zu kümmern, die schrecklichen Alternativen aufzuzeigen. Guttenberg läuft durch die Lande und erzählt den Leuten, Insolvenz wäre eine tolle Geschichte - das Gegenteil ist der Fall. Wir müssen den Menschen klarmachen: Es ist günstiger, Arbeit zu finanzieren als Arbeitslosigkeit. Das Fazit aus der Krise lautet doch: Dort, wo die Freiheit der Märkte besonders groß war, ist der größte Unsinn angerichtet worden.

sueddeutsche.de: Also staatliche Hilfen für alle - ohne Ausnahme?

Pronold: Nein, natürlich nicht. Unternehmen, die von den Eigentümern ausgesaugt worden sind, kann man keine staatlichen Gelder hinterwerfen.

sueddeutsche.de: Für viele Deutsche ist die SPD nicht mehr der Garant für soziale Sicherheit: Sozialleistungen wurden gekürzt, Hartz IV kam zum Einsatz, das gesellschaftliche Leitbild entstand neu. Erst, wenn es knapp wird, entdeckt die Partei ihr sozialdemokratisches Herz wieder. Das kommt bei den Leuten wie Camouflage an.

Pronold: Das ist die Wahrnehmung.

sueddeutsche.de: Das ist die Realität.

Pronold: Dann lassen Sie uns doch mal tief in die Realität eintauchen. Wir hätten ohne die Finanz- und Wirtschaftskrise im nächsten Jahr eine Nettoneuverschuldung von null. Das haben wir nicht über Steuererhöhungen erreicht, sondern über eine stabile Steuerquote und Wachstum. Derzeit erleben wir, dass die Steuereinnahmen sinken und das Wachstum ausbleibt. Wer sagt, dass man mit weniger Staat und mit weniger Steuern aus der Krise kommen kann, der lügt die Menschen an.

sueddeutsche.de: Sie plädieren also für ein weiteres Konjunkturprogramm?

Pronold: Wir haben ein tolles Konjunkturprogramm aufgelegt. Sollte sich im Herbst dennoch die Notwendigkeit eines weiteren Programms abzeichnen, dann stellen sich zwei Fragen: nach einer europäischen Koordination - und nach einer schnellen Wirksamkeit.

sueddeutsche.de: Statt über Konjunkturpakete wird derzeit aber über die Rente mit 67 oder sogar 69 diskutiert.

Pronold: Von der Debatte halte ich nichts. Sicher, es gibt bei der Rentenfrage eine ganze Menge Probleme. Aber die sind nicht so groß, wie sie dargestellt werden. Mit den letzten Reformen sichern wir für die nächsten zehn bis 15 Jahren die Stabilität. Unterschätzt wird, dass wir von einer Rente mit 67 in 20 Jahren reden. Bis dahin gilt es, die Arbeitswelt so umzugestalten, dass eine längere Arbeitszeit in vielen Bereichen möglich ist. Es geht um flexible und differenzierte Lösungen.

sueddeutsche.de: Die SPD ist nur noch in wenigen Bundesländern in der Regierungsverantwortung. Jetzt droht auch noch in Schleswig-Holstein die Oppositionsbank. Sind diese Entwicklungen nicht schlechte Vorzeichen für die Bundestagswahl?

Pronold: Das ist ein Vorzeichen für die Bundestagswahl. Aber ein anderes, als Sie meinen: Peter Harry Carstensen belügt die Leute. Daran kann man ablesen, was Schwarz-Gelb mit den Wählern machen wird: Sie belügen die Leute in der Frage der Steuersenkung. Es kann ja auch ein Warnsignal sein.

sueddeutsche.de: Im Bund könnte die SPD womöglich eine Regierung nur zusammen mit der FDP stellen.

Pronold: Wir haben die Union in der Regierungsarbeit dazu gebracht, überwiegend sozialdemokratische Politik zu machen. Solange das so ist, ist es in Ordnung. Ich glaube, das würde uns auch in einer Ampelkoalition gelingen. Wichtig ist doch nur, wie viel sozialdemokratische Politik am Ende dabei rauskommt.

sueddeutsche.de: Also könnten Sie sich auch eine Koalition mit den Linken im Bund vorstellen?

Pronold: In der Praxis wird das nicht funktionieren. Gerade weil es uns wichtig ist, dass wir möglichst viel sozialdemokratische Politik umsetzen, sehe ich für diese Konstellation auf Bundesebene überhaupt keine Chance. Ich glaube nicht, dass wir mehr sozialdemokratische Politik durchsetzen könnten, wenn wir uns im Bund auf ein solches Experiment einlassen würden. Mit den Linken kann man keine dauerhafte Regierung bilden, weil sie nicht regieren wollen. Ich erlebe in den letzten Jahren im Bundestag immer wieder, wie die Linken versuchen, der SPD an den Karren zu fahren und keinerlei Interesse daran haben, selber in die Verantwortung zu gehen. Ich sehe sie im Bund auf absehbare Zeit nicht regierungsfähig.

sueddeutsche.de: Was müsste sich ändern?

Pronold: Die Linke muss erst einmal die ganzen Verrückten, die sie da angesammelt hat, dazu bringen, die Partei zu verlassen. Die, die übrig bleiben, müssten bereit sein, auch unter schwierigen Rahmenbedingungen Verantwortung zu übernehmen. Es reicht nicht, in der Opposition davon zu reden, wie man es besser machen würde, man muss auch bereit sein, es besser zu machen.

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