Auswilderungsprojekt in Bayern:Die Bartgeier sind zurück

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Das Bartgeierweibchen Wally wartet auf ihre Unterbringung in eine Transportkiste, um anschließend zum Knittlhorn gebracht zu werden. (Foto: dpa)

Mehr als 140 Jahre nach ihrer Ausrottung kehren die mächtigen Vögel nach Bayern zurück. Wally und Bavaria werden in einer Felsnische im Klausbachtal ausgewildert - wo sie möglicherweise später ihre Jungen aufziehen.

Von Matthias Köpf und Christian Sebald, Ramsau

Seine neuen Nachbarn schaut er sich erst einmal aus der Ferne an. Aber der Steinadler, der gerade hoch droben über dem Klausbachtal seine Kreise zieht, sieht mit seinen Adleraugen ja auch auf größere Distanzen gut. Und so wird er an diesem Donnerstagvormittag schon registriert haben, dass in einer Felsnische am Knittelhorn ab sofort zwei junge Bartgeier-Weibchen wohnen. "Wally" und "Bavaria", wie die beiden seit ein paar Augenblicken heißen, scheinen zumindest nach menschlichen Maßstäben noch etwas überfordert in die vielen Objektive zu schauen. Äußerlich sind die beiden vollkommen ruhig, der Stau auf der A 9 von Nürnberg hierher war ja nicht ihr Problem und sie haben sich hinten in der Blockhütte noch ein paar Minuten ausruhen können.

Jochen Grab vom Nationalpark Berchtesgaden und Toni Wegscheider vom Landesbund für Vogelschutz (LBV), die die beiden Vögel halten, spüren dennoch einen aufgeregten Herzschlag - bei Wally und Bavaria und wohl auch ein bisschen bei sich selbst. Denn nach drei Jahren Vorbereitung leben mit Wally und Bavaria seit Donnerstag wieder wilde Bartgeier in Deutschland. Die SZ begleitet das Auswilderungsprojekt schon seit einigen Wochen, die SZ-Leser durften Geier-Weibchen Wally ihren Namen geben.

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Den Himmel über Watzmann, Königssee und Hochkalter werden die Bartgeier vorerst den Steinadlern überlassen, denn Wally ist erst vor 88 und Bavaria vor 91 Tagen geschlüpft, beide in Spanien, von wo sie am Wochenende im Nürnberger Zoo eingetroffen waren. Bis sie sich selbst aus ihrer Felsnische in die Luft erheben, wird es wohl noch mindestens vier bis sechs Wochen dauern. Ihre Eltern brauchen junge Bartgeier zum Fliegenlernen nicht unbedingt, aber Aas und Knochen zum Fressen sollte ihnen bis dahin jemand hinaufbringen. Das werden zum Beispiel Franz Eder und Wolfgang Palzer machen. Die Nationalparkranger sind diejenigen, die oberhalb des Weges an der Halsgrube als Letzte die schweren Kraxen schultern und die Vögel das weglose und von den schweren Regenfällen am Mittwoch noch nasse und rutschige Steilstück bis zur Felsnische tragen.

In zwei Holzkisten tragen die Nationalparkranger Franz Eder und Wolfgang Palzer die beiden Bartgeier auf das Knittelhorn. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Knappe zwei Stunden dauert der Aufstieg über die rund 500 Höhenmeter herauf vom Klausbachhaus, und damit nur ein bisschen länger als die vielen Reden an der Nationalpark-Informationsstelle im Tal. Mit Umweltminister Thorsten Glauber (FW) und Forstministerin Michaela Kaniber (CSU) sind gleich zwei Kabinettsmitglieder gekommen, denn die Auswilderung der beiden ersten Bartgeier in Bayern nach ihrer Ausrottung vor mehr als 140 Jahren ist eine große Sache.

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Das federführend vom LBV mit dem Nationalpark angestoßene Projekt ist auf zehn Jahre angelegt, insgesamt sollen in der Nische im Klausbachtal 20 bis 30 Bartgeier in die Wildnis entlassen werden. Sie werden einander trotzdem kaum in die Quere kommen, denn das Streifgebiet von Bartgeiern kann auch bis zu 10 000 Quadratkilometer groß sein - der Nationalpark Berchtesgaden selbst hat eine Fläche von etwa 200 Quadratkilometern. Gleichwohl soll die Ansiedlung in Berchtesgaden, so betonen es unter anderem Nationalparkleiter Roland Baier und der LBV-Vorsitzende Norbert Schäffer, eine Lücke schließen. Eine weitere tut sich momentan noch am Balkan auf, doch ansonsten sollten die Bartgeier sich wieder von Marokko über Spanien und den Alpenbogen bis nach Zentralasien ausbreiten, fortpflanzen und sich genetisch miteinander mischen können.

Wally und Bavaria werden wohl erst in sechs oder sieben Jahren geschlechtsreif sein, und wenn die Pläne von LBV und Nationalpark so aufgehen, wie sie das anderswo in den Alpen schon getan haben, dann werden sie vielleicht irgendwann zurückkehren, um ihre Jungen auf bekanntem Terrain aufzuziehen.

Etwa 300 Bartgeier leben seit den ersten Auswilderungen in den Hohen Tauern in den Achtzigerjahren wieder im Alpenraum, und etwa 60 davon tragen GPS-Sender, wie sie Wally und Bavaria an die Hüften geschnallt werden. Sie werden damit idealerweise über Jahre lokalisierbar sein. Daheim in der Nische werden sie vorerst von Kameras überwacht, darunter eine für nächtliche Infrarotaufnahmen. Bei Tageslicht werden außerdem Projektmitarbeiter von LBV und Nationalpark die Vögel von einem weiter unten gelegenen Beobachtungsstand mit Ferngläsern und Spektiven im Auge behalten.

Neben all den Kameras gibt es auch Komfort für die Geier: Ihre Horste bestehen zuunterst aus Steinen, dann aus dürren und darüber grünen Ästen und zuoberst aus Schafwolle. Wenn LBV-Projektleiter Wegscheider wetten müsste, wer den Horst zuerst verlässt, würde er nach eigenen Worten wohl eher auf die zwar ein paar Tage jüngere und etwas zartere, aber deutlich temperamentvollere Wally tippen. Ihr traut er auch eher zu, per Flügelschlag mal einen Steinadler in die Schranken zu weisen, der sich ebenso wie die Kolkraben am Futter für die Bartgeier bedienen könnte.

Das Bartgeierweibchen Wally (l) und Bavaria (r), bevor sie zum Knittelhorn transportiert werden. (Foto: dpa)

Wally war es auch, die bald nach der Ankunft im Nürnberger Zoo die Voliere erkundet hat, während sich die etwas wuchtigere, aber weit bedächtigere Bavaria da deutlich mehr Zeit gelassen hat. Auf die Waage bringen sie trotzdem beide ungefähr fünf Kilogramm, was zusammen mit den jeweils 21 Kilogramm schweren, mit Luftlöchern und metallenen Außenkanten versehenen Sperrholzkisten ein stattliches Gewicht ergibt, das die Träger da bis auf 1100 Meter Seehöhe hinaufschleppen. Ganz droben kann Franz Eder endlich die Kiste mit Wally von den Schultern nehmen.

Das Gefolge von Wally und Bavaria ist da doch deutlich kleiner geworden und besteht nur noch aus einer kleine Gruppe von Rangern und Fachleuten, die teils auch schon an etlichen anderen Bartgeier-Auswilderungen im Alpenraum mitgewirkt haben. Der größere Tross aus Mitarbeitern, Vogelfreunden und Medienvertretern hatte spätestens an der Halsgrube zurückbleiben müssen, doch Nationalpark-Projektleiter Jochen Grab überträgt das Geschehen zunächst per Livekamera auf seinem Kletterhelm. Später bricht die Verbindung ab und es fängt doch wieder an zu regnen. Wally und Bavaria sind da aber schon am Ziel, und Toni Wegscheider und Jochen Grab sind es fürs Erste auch. Sie werden durch den Regen absteigen müssen. Die Vögel haben es trocken, aber was jetzt erst einmal das Wichtigste ist: Sie sind wieder da.

© SZ vom 11.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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