Bad Füssing:Rentnerparadies in Niederbayern

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Alles ist geordnet, die Pflanzen im Kurpark sind akkurat gestutzt, die Gehwege ordentlich gepflastert. Vielen Rentnern scheint das zu gefallen. (Foto: Gemeinde Bad Füssing)
  • Bad Füssing wird im Jahr 2030 die Kommune mit dem höchsten Altersdurchschnitt in Deutschland sein.
  • Das liegt nicht an den Kurgästen, sondern an den Einwohnern und der Bevölkerungspolitik der Kommune.
  • Der Ort hat sich auf die solventen Rentner eingestellt - mit ihnen lassen sich gute Geschäfte machen.

Von Andreas Glas

Wenn Rudolf Weinberger über die Zukunft spricht, dann meint er eigentlich vorgestern. Er meint die Zeit, in der die Deutschen kein Wellness gemacht haben, sondern Kur. Die Zeit, als die Kanzler Brandt und Schmidt und Kohl hießen und die Krankenkassen jeden, den es irgendwo zwickte, in den Urlaub schickten. Weinberger hat diese Zeit nie losgelassen, auch dann nicht, als der Begriff Kur in den Neunzigerjahren aus dem Sozialgesetzbuch gestrichen wurde. Damals dürften einige gelacht haben über den Bad Füssinger Kurdirektor, der nicht loslassen kann. Heute ist Rudolf Weinberger erfolgreichster Kurdirektor Deutschlands. Man könnte sagen, dass in Bad Füssing alles perfekt gelaufen ist.

Könnte.

Denn plötzlich gibt es da diese Studie und die Studie ärgert Rudolf Weinberger. "Das stört mich", sagt er und klatscht einen Zeitungsbericht auf seinen Schreibtisch. In dem Bericht geht es um die Studie der Bertelsmann-Stiftung, die prophezeit, dass Bad Füssing im Jahr 2030 die Kommune mit dem höchsten Altersdurchschnitt in Deutschland sein wird. Die Hälfte der Bewohner wird dann älter als 63 Jahre sein. Im Bericht ist die Rede von "Vergreisung" und "Entvölkerung", von einem "traurigen Spitzenwert". Das Wort "traurig" hat Weinberger eingekringelt, weil er über das Wort "traurig" höchstens lachen kann. Denn Bad Füssing wollte nie jung sein, Bad Füssing hat sich sein Greisen-Image ausgesucht. "Meine Zielgruppe suche ich dort, wo ich am meisten erwischen kann", sagt Weinberger. Und am meisten erwischt ein Kurdirektor eben dort, wo die Bevölkerungspyramide immer breiter wird: ganz oben.

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Kurgäste lassen sich nieder

Dabei haben die Kurgäste erst mal nichts zu tun mit dem Altersschnitt in Bad Füssing. Zur Statistik zählt nur, wer hier fest wohnt. Wer wissen will, warum der Ort trotzdem alt und grau wird, fragt am besten Franz Lidl. Er muss es wissen, er ist Immobilienmakler. Seine Kunden sind es, die Bad Füssing im Kreis Passau allmählich zur Rentner-Hauptstadt der Republik machen. "Zwischen 90 und 95 Prozent meiner Kunden sind Kurgäste, die sich irgendwann in Bad Füssing niederlassen", sagt Lidl. Er sitzt in seinem Büro mitten im Ort, hinter ihm aufgereiht: etwa hundert graue Ordner. "Wir haben im Schnitt hundert Objekte in der Vermarktung, wir haben uns ganz gut aufgestellt", sagt Lidl und grinst.

Die Alten haben Lidl reich gemacht, sie haben Bad Füssing reich gemacht. So reich, dass die Gemeinde immer weiter gebaut hat an einer Rentner-Enklave, in der ein junger Mensch nicht leben möchte. Die Rentner-Enklave ist kein Schicksal, sie ist Ergebnis kühler Planung, gegründet auf dem Wirtschaftswunder der Fünfziger- und Sechzigerjahre. Einer Zeit, in der das Leben in der Bundesrepublik penibel geordnet war: unter der Woche arbeiten, samstags Auto waschen, sonntags in die Kirche - und einmal im Jahr auf Kur. Weil sie bei der Suche nach Öl Thermalquellen gefunden hatten, witterten die Füssinger das große Geld. Die Füssinger, das waren damals ein paar hundert Leute, die am Reißbrett einen Kurort entwarfen. Sie bauten Straßen und Hotels, alles schachbrettartig, alles im rechten Winkel angeordnet.

Rentner-Enklave als Ergebnis genauer Planung

Bevor in den Neunzigern die Gesundheitsreform kam, bevor die Kassen mit Kur-Rezepten knausrig wurden, da zählten sie in Bad Füssing drei Millionen Übernachtungen im Jahr. Heute sind es immer noch 2,7 Millionen - mehr als in jedem anderen Kurort Europas. Während andere Orte ihre Kurbäder zu Spaßbädern machten, das Wort Kur durch Wellness ersetzten und trotzdem die meisten Gäste verloren, setzte Bad Füssing weiter aufs Kur-Image der Kohl-Republik - und schuf eine Kuschel-Nische für alle, die sich zurücksehnen nach dem gewohnten, geordneten Leben der Wirtschaftswunderjahre. Eine Ordnung, die es in Bad Füssing heute noch gibt. In Extremform.

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Was zuerst auffällt, sind die Alleen, sie teilen die rechte und linke Fahrspur, die durch den Ort führt. Dutzende Bäume in Reih und Glied, zentimetergenau angeordnet, die Kronen zu geometrischen Formen getrimmt: quadratisch, kegelförmig. Jede Verkehrsinsel, jeder Kreisel ist mit bunten Blumen bepflanzt, der Rasen ist so eben wie ein Golfplatz-Grün. Der ganze Ort ist eine Tempo-30-Zone, zum Teil gilt Schritttempo, langsamer sind nur die Menschen, die ihre Rollatoren durch das - natürlich barrierefreie - Zentrum schieben. Und weil Ordnung halt sein muss, herrscht zwischen 13 und 15 Uhr Fahrverbot für Lastwagen und Motorräder, nach Mitternacht dürfen auch Autos nicht mehr fahren. "Ruhe ist den Menschen hier ganz wichtig", sagt Kurdirektor Weinberger, "die würden uns lynchen, wenn wir sagen würden, wir heben das Nachtfahrverbot auf."

Aber ruhig ist nicht ruhig genug, jedenfalls nicht in Bad Füssing und nicht für Günter Ruzicka, 78, Stirnglatze, weißes Haar, weißer Schnauzer, weißes Polohemd. Er sitzt im Clubraum eines Seniorenwohnheims und grantelt: "Hier wird zu schnell gefahren, die Leute nehmen keine Rücksicht. Und die Musik, die man jetzt macht. An jeder Ecke. Laut, laut, laut." Seit Oktober wohnt Günter Ruzicka mit seiner Frau Gerda im Seniorenwohnheim des Roten Kreuzes an der Münchener Straße. Zuvor waren die beiden, klar, Kurgäste. Das erste Mal waren sie vor 28 Jahren da, seitdem jedes Jahr zweimal. Immer im Frühjahr, immer im Herbst, immer zwei Wochen, ganz geordnet eben. Dann haben sie ihr Haus in Schwaben verkauft, davon zahlen sie nun die Miete fürs Wohnheim. Die Möbel haben sie mitgenommen. Die Eckbank, das Blümchensofa, die Lampe mit der Rüschenhaube. Sie haben die Sachen angeordnet wie früher im Haus in Schwaben. "Das ist wichtig, dann fühlt man sich daheim", sagt Gerda Ruzicka.

Wer hier wohnt, sucht Gewohnheit, Ruhe und Ordnung. Wer hier wohnt, kann es sich leisten. Es ist kein Altenheim, es ist "ein Seniorenwohnheim mit Hotelcharakter", sagt Gerold Mueck-Krell. Er ist der Einrichtungsleiter, so steht es auf dem Schild, das an seinem Hemd steckt. An der Wand in seinem Büro hängen Werbeplakate des Heims. Ein grauhaariger Mann gibt einer grauhaarigen Frau einen Handkuss. Auch so ein Motiv, so eine Geste, die sich überlebt hat. Dass Bad Füssing bald Rentner-Hauptstadt sein könnte, "ist kein trauriger Rekord", findet Mueck-Krell. Traurig sei es im Bayerischen Wald, wo Dörfer "wirklich aussterben, weil die Jungen wegziehen und die Alten zurückbleiben". In Bad Füssing sei das anders, hierher werden die Leute auch in Zukunft kommen, da sei er sich sicher. Weil die Gesellschaft älter werde, weil es nirgendwo eine so altersgerechte Infrastruktur gebe wie hier.

Die Therme ist kein Spaßbad

Das sagt auch Rudolf Weinberger, der Kurdirektor. Okay, manchmal ist den Füssingern selbst die Ruhe zu laut, aber vom Freizeitangebot schwärmen sie alle. Es gibt endlose Radwege, die Innauen sind gleich in der Nähe, es gibt Tanzlokale und fast täglich Konzerte. "Die leichte Musi', die volkstümlichen Sachen sind die begehrtesten", sagt Weinberger, "da lass ich mich berieseln. Oper, Operette, so was ist schon schwieriger."

Aber mal ehrlich: Ist es ihm nicht manchmal fad, so ganz ohne Kinderlärm? "Ich will ja keinen Zaun ziehen zwischen den Jungen und den Alten. Aber in der Therme kann ich keine Kinder brauchen, das ist kein Spaßbad", sagt Weinberger. Dann erzählt er, dass tags zuvor zwei Kabarettistinnen im Ort gewesen seien. Kurz vorm Auftritt sei plötzlich ein Fanbus aus Stuttgart vorgefahren, lauter Vierzig-, Fünfzigjährige. "Die kamen daher in kurzen Hosen und sauber durchgeschwitzt, das muss man sich mal vorstellen", erzählt Weinberger. "Da habe ich gesagt: Tut mir leid, wir sind ein Kurort. Da möchte ich schon, dass ein gewisses Niveau herrscht." Am Ende hat er sie doch reingelassen, aber wohl war ihm nicht dabei.

In Zukunft, sagt Weinberger, wolle er den Akzent noch stärker auf die Natur rund um Füssing setzen. Ansonsten darf es hier bleiben, wie es ist und wie es vorgestern war. "Von der klassischen Kur", sagt er, "wollen wir nicht ablassen."

© SZ vom 14.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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